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Fragen und Antworten: am 15. Tag des Libanonkrieges

Von Uri Avnery

Als die israelische Armee 1982 in den Libanon einfiel, wurde sie von den Schiiten mit Reis und Süßigkeiten empfangen. Sie hofften, wir würden die PLO-Kräfte vertreiben, die damals die Kontrolle über das Gebiet hatten. Aber als ihnen klar geworden war, dass unsere Armee dort ist, um zu bleiben, begannen sie einen Guerillakrieg, der 18 Jahre lang andauerte. In diesem Krieg ist die Hisbollah entstanden und breitete sich aus, bis es die stärkste Organisation des ganzen Libanon wurde.



Frage: Wer wird diesen Krieg gewinnen?

Am 15. Tag des Krieges funktioniert die Hisbollah noch immer und kämpft weiter. Allein dies wird in die Geschichtsbücher der arabischen Völker als glänzender Sieg eingehen. Wenn ein Leichtgewichtler gegen einen Schwergewichtler kämpft und in der 15. Runde immer noch steht – so ist dies ein Sieg, egal wie das Ende aussieht.

F.: Kann die Hisbollah aus dem Grenzgebiet vertrieben werden?

Die Frage beruht auf einem Missverständnis über das Wesen der Hisbollah.
Nicht zufällig wird die Organisation Hisb-Allah ( „Partei Allahs“) und nicht Jeish-Allah („Armee Allahs) genannt. Es ist eine politische Organisation, die in der schiitischen Bevölkerung des Süd-Libanon verwurzelt ist. Praktisch vertritt sie diese Gemeinschaft. Die Schiiten machen 40% der libanesischen Bevölkerung aus – und zusammen mit den anderen Muslimen sind sie die Mehrheit (im Libanon).

Hisbollah kann nur „entfernt“ werden, wenn die ganze schiitische Bevölkerung vertrieben wird – das wäre eine ethnische Säuberung, und ich hoffe, dass keiner an so etwas denkt. Nach dem Krieg wird die Bevölkerung in ihre Städte und Dörfer zurückkehren, und Hisbollah wird weiter wachsen und gedeihen.

F.:Was wird geschehen, wenn die libanesische Armee an der Grenze entlang aufgestellt wird?

Dies ist vom ersten Augenblick an einer der Slogans der israelischen Regierung gewesen. Dann wird sie dies als Sieg verkaufen. Das klingt für denjenigen sehr überzeugend, der keine Ahnung über die Komplexität des Libanon hat.
Jeder der 1982 im Libanon war und die libanesische Armee in Aktion gesehen hat, weiß, dass es keine ernst zu nehmende Armee ist. Außerdem sind viele ihrer Offiziere und Soldaten Schiiten. Solch eine Militärkraft wird nicht gegen die Hisbollah kämpfen.
Ihre Aufstellung im Süden hängt auf jeden Fall von einem Abkommen mit der Hisbollah ab – und das wird für jeden Tag gelten, an dem sie dort ist.

F.: Könnte eine internationale Streitkraft hilfreich sein?

Dito. Das ist ein Slogan, der besonders für Diplomaten zugeschnitten wurde, die nach einer Idee Ausschau halten, der sie zustimmen können. Sie klingt gut, besonders wenn man noch das Wort „robust“ hinzufügt.
Was genau soll eine „robuste internationale Truppe“ dort tun?
Man schlägt vor, sie solle die Hisbollah in einem bestimmten Abstand von der Grenze halten. Nicht durch Worte - wie die glücklose UNIFIL, die jeder von Anfang an ignorierte - sondern durch Gewalt.

Wenn die Aufstellung dieser Kräfte in Absprache mit beiden Seiten stattfinden sollte, d.h. mit Israel und der Hisbollah – dann ist das in Ordnung. Dies mag dann als Leiter für die israelische Regierung dienen, um mit ihr vom Baum herunterzukommen, auf den sie geklettert war.
Aber wenn diese Kräfte gegen den Willen der Hisbollah dort aufgestellt werden, wird sich ein Guerillakrieg entwickeln. Wird die internationale Streitkraft an einem Ort standhalten und kämpfen, von dem die mächtige israelische Armee vor sechs Jahren mit eingezogenem Schwanz geflohen ist?
Für Israel wird dies ein spezielles Dilemma sein: Was wird geschehen, wenn die Hisbollah Israel trotz der Pufferkräfte angreifen wird? Wird Israel wieder in das Gebiet einmarschieren und einen Zusammenstoß mit der internationalen Truppe riskieren, z.B. mit deutschen Soldaten?

F.:Olmert sagte, wir sollten nicht mit Syrien verhandeln. Ist das durchführbar?

So sagte er. Er sagte überhaupt eine Menge und seine Zunge ist immer noch aktiv.
Syrien ist eine zentrale Figur auf diesem Feld. Es wird keine Abmachung mit dem Libanon ohne - direkte oder indirekte - Teilnahme Syriens Erfolg haben.

Eigentlich wurde die Hisbollah von uns geschaffen. Als die israelische Armee 1982 in den Libanon einfiel, wurde sie von den Schiiten mit Reis und Süßigkeiten empfangen. Sie hofften, wir würden die PLO-Kräfte vertreiben, die damals die Kontrolle über das Gebiet hatten. Aber als ihnen klar geworden war, dass unsere Armee dort ist, um zu bleiben, begannen sie einen Guerillakrieg, der 18 Jahre lang andauerte. In diesem Krieg ist die Hisbollah entstanden und breitete sich aus, bis es die stärkste Organisation des ganzen Libanon wurde.

Aber das wäre nicht ohne massive syrische Unterstützung geschehen. Syrien verlangt die Rückgabe der Golanhöhen, die Israel annektiert hat. Deshalb ist es für die Syrer so wichtig, Israel keine Ruhe zu gönnen. Da sie keine Unruhe an ihrer eigenen Grenze mit Israel haben wollen, benützen sie die Hisbollah, damit diese die Grenze zum Libanon unruhig hält.

Die libanesische Grenze wird nicht ruhig werden, bis wir nicht ein Abkommen mit Syrien abschließen werden. Das bedeutet: bis wir die Golanhöhen zurückgegeben haben. Die Alternative wäre ein Krieg mit Syrien mit seinen ballistischen Raketen, chemischen und biologischen Waffen und einer Armee, die sich bewährt hat. Präsident Bush drängt Israel dazu, dies zu tun, um vielleicht die Aufmerksamkeit von seinen Fiaskos im Irak und in Afghanistan abzulenken.

F.: Wie kann man die Durchführung der militärischen Kampagne bewerten?

Dan Haluz wird in die israelischen Geschichtsbücher nicht als der größte Feldherr aller Zeiten eingehen.
Er hat die Regierung in diesen Krieg gestoßen, um zwei beschämende militärische Fehlschläge zu vertuschen: die palästinensische Kommando-Aktion in Kerem Shalom und die Hisbollah-Aktion an der libanesischen Grenze. Kein Offizier wurde deshalb zur Rechenschaft gezogen. Die Hauptverantwortung ruht natürlich auf dem Generalstabschef.

Haluz, der erste Generalstabschef, der aus den Reihen der Luftwaffe kommt, war davon überzeugt, dass er die Hisbullah mit einem Bombardement aus der Luft und der Hilfe von Artillerie und mit Kriegsschiffen erledigen könne. Er hat sich gewaltig geirrt. Selbst nach der vielfältigen Zerstörung der Infrastruktur im Libanon gelang es ihm nicht, den Gegner zu besiegen.
Jetzt ist er gezwungen, das zu tun, wovor alle Angst hatten: Bodentruppen in den libanesischen Sumpf zu schicken. Am 15. Tag des Krieges war kein einziges Ziel erreicht worden. Was Haluz betrifft, als Stratege und Kommandeur, so ist seine Benotung nahe Null.

F.:Haben die Zivilisten an der Spitze der Regierung sich unter Beweis gestellt?

Nach den Wahlen dachten viele Leute in Israel, eine bürgerliche Ära habe begonnen, da beide, der Ministerpräsident und der Verteidigungsminister, komplette Zivilisten waren, ohne militärischen Hintergrund. Es hat sich herausgestellt, dass das Gegenteil der Fall ist.

Die Geschichte zeigt, dass politische Funktionäre, die starken Führern folgten, in der Lage sind, schreckliche Dinge zu tun. Sie wollen beweisen, dass auch sie starke Führer sind, dass sie den Schneid haben, einen Krieg zu führen. Harry Truman, der Franklin Roosevelt folgte, ist für das vielleicht größte Kriegsverbrechen der Geschichte verantwortlich: er ließ die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki fallen. Antony Eden, der Winston Churchill folgte, begann den dummen Suez-Krieg in Verschwörung mit Frankreich und Israel.
Die Olmert-Regierung hat diesen Krieg begonnen, war in einer schockierenden Unverantwortlichkeit, ohne ernsthafte Debatten und Beratung. Sie scheute sich, sich gegen die Forderungen des Generalstabschefs zu stellen.

F.: Olmert hat versprochen, dass nach dem Krieg die Situation anders sein würde als vorher. Gibt es dafür eine Chance?

Absolut. Aber die Situation wird für uns viel schlimmer als vorher sein.
Eines von Hassan Nasrallahs Zielen ist, die Schiiten und die Sunniten in einem gemeinsamen Kampf gegen Israel zu vereinigen.
Man sollte wissen, dass Sunniten und Schiiten Jahrhunderte lang Todfeinde waren. Viele orthodoxe Sunniten betrachten die Schiiten als Ketzer. Indem sie den Palästinensern zu Hilfe kamen, die Sunniten sind, hofft Nasrallah, u.a. eine neue Allianz zu schmieden.

Im Nahen Osten könnte eine neue Achse entstehen, eine die die Hisbollah, die Palästinenser, Syrien, den Irak und den Iran einschließt. Syrien ist ein sunnitisches Land. Der Irak wird jetzt von den Schiiten kontrolliert, die die Hisbollah voll unterstützen. Aber die irakischen Sunniten, die einen harten Guerillakrieg gegen die Amerikaner führen, unterstützen auch die Hisbollah.

Dieser Block erfreut sich großer Beliebtheit bei der Masse der Bevölkerung in der ganzen arabischen Welt, weil er gegen die USA und Israel kämpft. Der andere Block, der Saudi- Arabien, Ägypten und Jordanien einschließt, verliert täglich an Popularität. Diese Regime werden von der Bevölkerung als Söldner der Amerikaner und als Agenten Israels betrachtet. Mahmoud Abbas tut alles, damit er nicht in diese Kategorie mit eingeschlossen wird.

F.: Was kann also getan werden?

Den israelisch-palästinensischen Konflikt beenden, der den ganzen Nahen Osten am Brodeln hält.
Die Hamas aus dieser feindlichen Front herausholen, indem man mit ihr als der gewählten palästinensischen Regierung verhandelt.
Ein Abkommen mit dem Libanon erreichen. Damit dieses andauert, müssen in diesem Abkommen die Hisbollah und Syrien mit eingeschlossen sein. Das verpflichtet uns, den Golan zurückzugeben.

Man sollte sich daran erinnern, dass Ehud Barak schon damit einverstanden war und fast einen Friedensvertrag unterzeichnet hatte, ähnlich dem mit Ägypten – aber unglücklicherweise im letzten Augenblick aus Furcht vor der öffentlichen Meinung gekniffen hat.

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)

Quelle: Website von Uri Avnery: www.uri-avnery.de


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