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Machtspiele im Libanon

Die Ermordung Al-Hassans nutzt jenen, die auf eine Destabilisierung des Libanon aus sind

Von Emran Feroz *

Nach dem Tod des libanesischen Geheimdienstgenerals Wissam Al-Hassan in Beirut werden weiterhin Syrien und pro-syrische Kräfte für das Bombenattentat verantwortlich gemacht. Die Opposition um Exregierungschef Saad Al-Hariri, Sohn des 2005 ermordeten Expremiers Rafik Al-Hariri, forderte den Rücktritt der Regierung, der sie vorwirft, die Verantwortlichen des Anschlags zu decken. Tatsächlich erwägt Staatspräsident Michel Suleiman nun die Bildung eines neuen Kabinetts. Der Staatschef habe dazu Beratungen mit den wichtigsten Persönlichkeiten des Landes aufgenommen, verlautete am Mittwoch aus dem Präsidentenpalast.

Der sunnitische Al-Hassan hatte beste Kontakte nach Saudi-Arabien. Ein Großteil seiner Familie besitzt neben der libanesischen Staatsbürgerschaft auch die saudiarabische. Es ist bekannt, daß er kein Freund des Assad-Regimes war, und auch bei der schiitischen Hisbollah war er ein verhaßter Mann. Zu dem Attentat hat sich bisher niemand bekannt. Es ist deshalb keine Überraschung, wenn all jene, denen das syrische Regime ein Dorn im Auge ist, Damaskus als Drahtzieher verdächtigen.

Es stellt sich jedoch die Frage, welche Kräfte aus dem Attentat politischen Nutzen ziehen können. Syrien und die schiitische prosyrische Hisbollah sind es sicherlich nicht. Im Falle einer Kabinettsauflösung würde vor allem die Hisbollah erheblich an Macht verlieren. Warum sollten pro-syrische Kräfte mit einer solchen Aktion einen der wichtigsten Verbündeten im Libanon schwächen?

Die Ermordung Al-Hassans nutzt dagegen jenen, die auf eine Destabilisierung des Libanon und des gesamten Nahen Ostens aus sind. Durch das Attentat auf den sunnitischen General werden die alten Feindschaften zwischen libanesischen Schiiten und Sunniten wiederbelebt. In der Vergangenheit war der Libanon oft Schauplatz solcher blutigen Auseinandersetzungen. Nun hat ein weiterer Konflikt, der Syrien-Krieg, den Libanon erreicht. Eine Krise der Hisbollah spielte vor allem den wahhabitischen Saudis, die seit Beginn des Krieges die Drecksarbeit für den Westen leisten, und anderen antisyrischen Kräften in die Karten.

Nutznießer der entstandenen Lage sind so auch der Westen und Israel. Um zur Isolierung des Iran die »schiitische Achse« zu brechen, müssen zuerst das Assad-Regime in Syrien und die Hisbollah im Libanon aus dem Weg geräumt werden. Wobei die israelische Regierung um Benjamin Netanjahu auch in anderer Weise von der chaotischen Lage in Syrien und Libanon profitiert. Während sich die Muslime in den arabischen Staaten gegenseitig massakrieren, kann man weiterhin ungestraft Menschenrechte verletzen und die Unterdrückung des palästinensischen Volkes durch Luftangriffe in Gaza, den illegalen Siedlungsausbau im Westjordanland und andere Maßnahmen weiter verschärfen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 26. Oktober 2012


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