Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

In der Hitze der geteilten Stadt

Ein Jahr nach dem Krieg scheint Libanons politisches Leben erstarrt

Von Karin Leukefeld, Beirut *

Ein Jahr nach Ende des Libanon-Kriegs scheint das Land wie gelähmt. Aber nicht nur der Schock der israelischen Angriffe wirkt nach. Auch das politische System erscheint vielen Libanesen als erneuerungsbedürftig.

Juli 2007, die Nächte sind heiß in Beirut. Wer es sich leisten kann, flieht im Sommer in die nahe gelegenen Berge. Doch die Einwohner von Hret Hreik und den südlichen Vororten von Beirut können der sommerlichen Hitze nicht entkommen. Die Suche nach Arbeit, geringes Einkommen, ihr Status erlaubt ihnen keine Sommerfrische. Sie bleiben in der Stadt. »Wenn ich nach Hause komme und meine Mutter sehe, wie sie mit einem Pappkarton versucht, sich Kühle zuzufächern, weiß ich Bescheid«, sagt Taxifahrer Hamza resigniert. Dann gibt es keinen Strom, wie die meiste Zeit dieser Tage.

In Südbeirut leben vor allem schiitische Muslime, die sich von der Regierung im Stich gelassen fühlen. »Man bestraft uns, indem man uns keinen Strom gibt«, schimpft ein Mann in die Kamera des Fernsehsenders »Al Manar«, der der Hisbollah nahe steht. »Die Regierung bestraft uns, weil wir den Widerstand unterstützen.« Zweimal habe er schon den Motor seines Kühlschranks auswechseln müssen, weil der ständige Strommangel dem alten Kasten den Rest gegeben habe. »Wir können nichts frisch halten, die Milch für die Kinder wird schlecht und nachts können wir nicht schlafen, weil die Wohnungen ohne Ventilator zu heiß sind.«

Die von der Hisbollah nach dem Krieg 2006 in den südlichen Vororten aufgestellten Generatoren können den Strommangel nicht ausgleichen. Demonstranten haben Reifen angezündet und protestieren gegen den »Diebstahl der Elektrizität«, die ihrer Meinung nach denen vorbehalten bleibt, die es mit dem Regierungslager halten. Familien, die mit Löhnen von 300 Euro und weniger den Monat überstehen müssen, können sich private Generatoren nicht leisten, zumal der Benzinpreis steigt.

In den westlichen und nördlichen Vierteln Beiruts ist die Lage besser. Hier schaffen Generatoren Ausgleich, wenn der Strom abgeschaltet wird, von Strommangel merkt man wenig. Manche Hotels sind besser besucht als noch vor einem Jahr, als der Krieg mit Israel das Leben praktisch lahm legte. Doch nur wenig ausländische Touristen kommen, es sind Libanesen, die im Ausland leben und im Sommer ihre Familien besuchen. Auch irakische Flüchtlinge aus Syrien, die über etwas Privatvermögen verfügen, bevölkern die Hotels der Weststadt von Beirut. Um ihr Visum für den Aufenthalt in Syrien zu erneuern, kommen sie für einige Tage nach Beirut, bevor sie wieder zurück nach Syrien reisen.

Organisiert werden die Touren von syrischen Tourismusunternehmen, die für eine Fahrt bis zu 500 US-Dollar kassieren. Manche Familien allerdings nehmen die Gelegenheit wahr und tauchen ab, erzählt ein Hotelangestellter in Hamra. Sie erhoffen sich von einem illegalen Leben in Libanon mehr als von dem zwar geduldeten, ökonomisch aber extrem problematischen Aufenthalt in Syrien. Viele versuchen, mit Hilfe von Schleppern ins westliche Ausland zu gelangen, berichtet John Stephan vom Gemeindezentrum in Ain al Roummaneh in Ostbeirut. Das Zentrum, das seit Februar 2007 mit Unterstützung des UNO-Flüchtlingshilfswerk arbeitet, bietet irakischen Flüchtlingen psychosoziale und medizinische Beratung, Spielgruppen für Kinder, Sprachkurse und Computerlehrgänge an. 570 Iraker wurden registriert, viele von ihnen Christen. Nicht alle kommen wieder, wenn sie feststellen, dass es keine finanzielle Hilfe für sie gibt. Die meisten, weiß Stephan, hoffen, nach Kanada oder Australien auswandern zu können.

Wirtschaft stagniert seit Monaten

Die libanesische Wirtschaft stagniert, seit sich das Regierungslager um Fuad Siniora und die Opposition der Hisbollah und ihre Verbündeten im November 2006 in einen politischen Stillstand manövriert haben. Beide Seiten geben zu, in einer Sackgasse zu stecken. Es geht vor allem darum, das Gesicht zu wahren. Die Zeltstadt der protestierenden Opposition im Zentrum der nach dem Bürgerkrieg neu gebauten Altstadt von Beirut verschwindet nicht. Und ebenso hartnäckig weigert sich Ministerpräsident Siniora, der Opposition einen Schritt entgegenzukommen. Stattdessen wurden die Sicherheitsmauern um seinen Amtssitz erhöht und mit Stacheldraht bewehrt. Der einzige Wirtschaftszweig, der ungebremsten Aufschwung erlebt, ist die private Sicherheitsindustrie.

Privater Waffenbesitz ist Usus in einem Land, in dem 25 Jahre lang ein blutiger Bürgerkrieg herrschte. Selbst der Händler eines kleinen Lebensmittelladens in Hamra, in Westbeirut, hat seine Waffe Tag und Nacht griffbereit neben sich. »Es ist gefährlich hier«, erklärt der Mann, der seinen Namen nicht nennen möchte. »Da drüben wohnt Saad Hariri, auf der anderen Seite ist der Palast von Fuad Siniora. Wir hatten hier schon viele Explosionen und die Syrer wollen uns immer weiter Probleme machen.« Die einzigen, die Frieden für Libanon wollten, seien Saad Hariri und Walid Jumblatt, meint der Mann. Die Freunde Syriens und Irans aber – womit er die Oppositionskräfte um die Hisbollah meint – würden weiter für Unruhe sorgen. »Harram Syrien«, flucht er schließlich, was so viel heißt wie, man müsste Syrien das Handwerk legen. Obwohl der Rückzug der ehemaligen Besatzungs- und Ordnungsmacht aus Libanon zwei Jahre zurück liegt, wird die Regierung in Damaskus noch immer von vielen Libanesen fast reflexartig für jede Explosion, jeden Kampf im Lande verantwortlich gemacht.

Tief gespaltene Gesellschaft

Der politische Streit hat die libanesische Gesellschaft tief gespalten, was das Land vor der Präsidentenwahl Ende September in eine noch größere Krise treiben könnte. Angesichts der Unfähigkeit und zunehmend auch Unwilligkeit von Regierung und Opposition, den politischen Streit zu lösen, ziehen sich die Libanesen in ihre jeweiligen Religionsgruppen zurück. Der Konfessionalismus ist in der Verfassung Libanons verankert und soll den Religionsgruppen, Christen, sunnitischen und schiitischen Muslimen, die Teilhabe an der Politik garantieren. Entsprechend ist der Präsident ein Maronit (Christ), der Ministerpräsident ein Sunnit und der Parlamentsvorsitzende ein Schiit. Was Libanon einst zu einem politischen Modell im Nahen Osten gemacht hatte, verhindert heute die nationale Einheit des Landes. Die Bevölkerungszusammensetzung hat sich zugunsten der Schiiten verändert, doch die alten Eliten wollen ihre Macht nicht teilen.

»Der Konfessionalismus regelt nicht mehr das politische System, sondern ist zu einer Lebensart geworden«, sagt Timor Göksel, der seit 2003 an der Amerikanischen Universität von Beirut (AUB) lehrt. Davor war Göksel 24 Jahre Sprecher der UNIFIL-Truppen. »Das System des Konfessionalismus hat versagt, es muss erneuert werden.« Sein Sommerbüro hat Göksel unter einem Sonnendach im Restaurant unterhalb des Manara-Leuchtturms aufgeschlagen. Auf den vorgelagerten Felsen stehen Angler in der gleißenden Morgensonne, Kinder toben im Wasser, nur wenige Besucher sitzen an den Tischen. Göksel kritisiert die endlosen Treffen der verschiedenen Parteien mit ihren ausländischen Partnern, wie zuletzt in Frankreich. Nichts komme dabei heraus, außer Schlagzeilen, Spekulationen und einem Foto. »Die Politiker müssen Macht und Einfluss abgeben, wenn sie gewaltsame Auseinandersetzungen vermeiden wollen«, sagt er, ohne Namen zu nennen. »Der Vater vererbt seine Macht an den Sohn, sie verhalten sich wie Feudalherren, die über das Land herrschen, als sei es ihr Eigentum.« Loyal verhielten sie sich zu ihren Bankkonten, nicht aber zum libanesischen Staat.

Die einzige Macht, die in Libanon glaubwürdig sei und von allen unterstützt werde, sei die Armee, meint Göksel. Sollte Michel Sleimann, der Oberkommandierende der libanesischen Streitkräfte, für den Präsidentenposten kandidieren, bekäme er sicher eine Mehrheit.

Allgegenwärtig sind überdimensionale Plakate und Transparente, die den Kampf der libanesischen Soldaten in Nahr al Bared gegen radikalislamische Rebellen unterstützen. 120 Soldaten sind in zwei Monaten gefallen. Die Armee sei schlecht ausgerüstet, erklärt Timor Göksel den hohen Verlust. Die medienwirksam eingeflogene Militärhilfe Ende Mai sei nur Show gewesen, meint Göksel. »Gute Ausrüstung würden die Amerikaner der libanesischen Armee nie geben.« Sie könnten sie eines Tages gegen Israel einsetzen.

* Aus: Neues Deutschland, 26. Juli 2007

"Offensichtlich vorsätzlich"

Rückblick: Vor einem Jahr bombardierte Israel einen UN-Posten im Libanon

Von Karin Leukefeld **


Es war vor einem Jahr. Am 25. Juli 2006 um 19.30 Uhr machte die israelische Luftwaffe das Gebäude der UN-Beobachtergruppe bei Khiam im Südosten Libanons dem Erdboden gleich. Das Personal, vier Männer aus Österreich, China, Finnland und Kanada, wurde unter den Trümmern begraben. Keiner überlebte.

Tel Avivs Airforce hatte bereits während des gesamten Tages intensiv die Umgebung von Khiam als vorgeblicher Ausgangsort von Hisbollah-Angriffen bombardiert. 14 Einschläge waren in unmittelbarer Nähe der deutlich als Posten der UN gekennzeichneten Stellung gezählt worden. Der Kommandeur der Blauhelmtruppen in Naqoura und auch das Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York hatten sich eingeschaltet und die israelische Seite insgesamt sechsmal aufgefordert, die unmittelbare Bombardierung des UN-Postens einzustellen. Zehnmal telefonierte die Besatzung des Postens selbst mit der israelischen Einsatzzentrale – vergeblich. Um 18.30 Uhr landeten vier Granaten direkt auf dem Gelände und zerstörten Teile des Gebäudes sowie den Bunker. Eine Stunde später folgte der tödliche Angriff. Nachdem der Kontakt mit dem UN-Posten abgebrochen war, startete ein Rettungsteam, das trotz der Zusage, es könne sicher passieren, ebenfalls von Israels Armee beschossen wurde.

UN-Generalsekretär Kofi Annan reagierte scharf und verurteilte den »offensichtlich vorsätzlichen Angriff« auf den UN-Posten bei Khiam. Die Erklärung wurde von israelischer Seite heftig kritisiert. Sie zeige die antiisraelische Haltung der UN, so der israelische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Dan Gillermann. Der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert kondolierte und sagte eine Untersuchung zu. Die ergab, daß es sich bei der Bombardierung um einen Fehler gehandelt habe. Man habe den UN-Posten für eine Hisbollah-Stellung gehalten. Die mindestens zehn Anrufe der UN-Soldaten des Postens bei Khiam wurden nicht erwähnt.

UN-Berichte bestätigten später, daß sich Stellungen der Hisbollah in der Umgebung der UN-Posten – meist auf freiem Feld – befanden. Damit begründete Israel seine Angriffe. Als am 30. Juli eine Luftattacke in Kana 28 Menschen, darunter 16 Kinder, tötete, kam es zu Massenprotesten gegen die UN in Beirut. Der Angriff löste Erinnerungen an das Jahr 1996 aus, als in derselben Stadt 106 Menschen bei einer Luftattacke starben, die in einer UNIFIL-Stellung Zuflucht gesucht hatten.

** Aus: junge Welt, 25. Juli 2007




"Hisbollah kontrolliert jede Ameise"

In Südlibanon kommt der Wiederaufbau voran, UNO-Soldaten beschränken sich auf Präsenz

Von Kartin Leukefeld, Beirut ***

Ein Jahr nach dem verheerenden Sommerkrieg 2006 geht der Wiederaufbau in Südlibanon allmählich voran. Der Libanon-Mission UNIFIL II begegnet die Bevölkerung mit gemischten Gefühlen.

In Libanon herrscht rege Betriebsamkeit. Straßen und Brücken werden repariert, Häuser aufgebaut, Felder und Gärten von den Streubomben gereinigt, die die israelische Armee bei ihrem Rückzug im August 2006 hinterlassen hatte. Die Aufbauarbeiten in Südlibanon, wo die schiitische Hisbollah die größte Unterstützung hat, werden von Iran und dem Scheichtum Katar unterstützt. Zum Ärger der Regierung von Fuad Siniora geben beide Staaten ihre Hilfsgelder teils indirekt durch die Hisbollah, teils direkt an die Betroffenen weiter. Sie tun das, weil Hilfsgelder in den Banken von Beirut gebunkert wurden oder an Bittsteller flossen, die zwar als Parteigänger des Regierungslagers bekannt sind, deren Hab und Gut aber nicht im Krieg zerstört worden war.

Präsent ist auch die UNIFIL, deren 13 300 Soldaten aus 30 Staaten rund um die Uhr patrouillieren. Grundlage des Mandats ist die Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrates. Die Truppe arbeite eng mit der libanesischen Armee zusammen, die zum ersten Mal seit 30 Jahren wieder in Südlibanon stationiert ist, erläutert Leutnant Stefano Catano vom italienischen Kontingent während einer Patrouillenfahrt entlang der »Blauen Linie«, der Grenze zwischen Israel und Libanon. Man koordiniere sich mit der libanesischen Armee, die eingreife, falls es nötig erscheine. Deutsche Marinesoldaten patrouillieren derweil ein Gebiet von 5000 Quadrat-Seemeilen vor der Küste. 7000 Schiffe wurden abgefragt, 33 kontrolliert, keines habe Waffen transportiert, erläutert Leutnant Daniel Auwermann aus Flensburg im UNIFIL-Pressebüro in Naqoura. Die UNIFIL-II-Mission, Nachfolger von UNIFIL I (1978 bis 2006), sei eine »Erfolgsgeschichte«, ergänzt UNIFIL-Sprecherin Yasmina Bouziane, besonders die trilaterale Zusammenarbeit zwischen den Israelis, Libanesen und der UNIFIL als Vermittler gebe Hoffnung auf Frieden und Stabilität. UNIFIL sucht den Kontakt zur Bevölkerung, veranstaltet Sprach-, Yoga- und Computerkurse, hilft bei der Beseitigung der Kriegsschäden und bei der medizinischen Versorgung.

Am 25. Juli wird in Naqoura ein Park eingeweiht, das Gelände war zuvor von UNIFIL-Truppen entmint worden. Ob die Terminwahl etwas mit dem 25. Juli 2006 zu tun hat, ist unklar. Damals zerstörte die israelische Luftwaffe einen UN-Beobachterposten bei Khiam. Das Gebäude war deutlich als UN-Einrichtung gekennzeichnet, wurde aber den ganzen Tag von israelischen Panzern und aus der Luft beschossen. Das UN-Hauptquartier in New York hatte sich zuvor eingeschaltet und forderte sechs Mal die israelische Seite auf, die Bombardierung des UNO-Postens einzustellen. Zehn Mal telefonierte die Besatzung des Postens selber mit der israelischen Einsatzzentrale, vergeblich. Um 18.30 Uhr zerstörten vier Granaten den Bunker, eine Stunde später folgte der tödliche Angriff. Das UNO-Personal, vier Männer aus Österreich, China, Finnland und Kanada, starben in den Trümmern des Gebäudes.

Der Angriff auf einen UNIFIL-Konvoi Ende Juni, bei dem sechs spanische UNO-Soldaten getötet wurden, mag böse Erinnerungen geweckt haben. Die Hintergründe werden derzeit von der UNO, der libanesischen Armee und der Polizei untersucht. Zwei Wochen lang hätten die Soldaten die Stützpunkte nicht verlassen, berichtet Sami al Borderlais, der direkt gegenüber vom UNOHauptquartier in Naqoura ein kleines Restaurant betreibt. Als Mitte Juli erneut eine Bombe neben einem UNO-Fahrzeug explodierte, gab es wieder zwei Tage Ausgangssperre. Für Sami al Borderlais ist UNIFIL ein Glücksfall, ohne die Soldaten hätte er kein Einkommen. Doch nicht alle sind glücklich mit den Truppen in Südlibanon. »Ein Stau in einem Dorf, haben sie so etwas schon einmal gesehen«, kritisiert Haydar Hassan (30), der im Café seines Bruders in Bayada arbeitet. Die schweren UNO-Fahrzeuge verursachten Lärm, Staub und Abgase, meint Hassan weiter, aber die Soldaten seien »ganz nett«, viel tun könnten sie freilich nicht. »Die UNIFIL braucht selber Schutz«, sagt er nachdenklich. Besser wäre, sie würden mit Hisbollah kooperieren, denn »die kontrollieren hier jede Ameise, die sorgen für Sicherheit.«

*** Aus: Neues Deutschland, 25. Juli 2007


Zurück zur Libanon-Seite

Zur Israel-Seite

Zurück zur Homepage