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"Das ist eine Fortführung des Kalten Kriegs"

Ausstellung zu Nazismus in baltischen Staaten in Brüsseler Räumen des Europäischen Parlaments verboten. Gespräch mit Tatjana Ždanoka *


Tatjana Ždanoka ist Antifa-Aktivistin und Abgeordnete des Europäischen Parlaments für die »Union Russischsprachiger Letten«, der ehemaligen PCTVL, einem Teil des Bündnisses »Die Grünen/Europäische Freie Allianz im Europäischen Parlament«.


Auf das Poster zu Ihrer Ausstellung »Aufbau der Demokratie oder Rehabilitation des Nazismus – die baltischen Staaten am Scheideweg« haben Sie die Worte »Verbotene Ausstellung« gedruckt. Was ist passiert?

Unsere Ausstellung sollte in der Woche vor dem Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust am 27. Januar stattfinden, der an die Befreiung von Auschwitz erinnert und gleichzeitig der 70. Jahrestag der Befreiung Leningrads von der Blockade ist. Wir bekamen daher einen Ausstellungsplatz für die Woche ab dem 20. Januar angeboten, den hatten wir ein halbes Jahr vorher gebucht. Nach den Regeln des Europäischen Parlaments mußten wir den Text unserer Ausstellung einen Monat im voraus übermitteln. Die zuständige Einheit, die aus fünf Quästoren, alles Mitglieder des EU-Parlaments, besteht, hat dann noch nach Fotos und dem gesamten Design gefragt. Da haben wir schon geahnt, daß etwas falsch läuft, die Materialien aber übermittelt. Kurz vor der Eröffnung bekam ich den negativen Bescheid. Wir haben dann statt dessen am Montag eine Konferenz in unseren Parteiräumen organisiert und die Ausstellung dort eine Stunde lang gezeigt.

Interessant war übrigens auch die Antwort des zuständigen Quästors: Wenn unsere Anschuldigungen wahr wären, würden die Regierungen der baltischen Staaten Verbrechen begehen, die bestraft werden müßten, wie das Verbreiten des Gedankens der Überlegenheit einer Nation über andere.

Aber wie soll das denn bestraft werden, wenn die interne Zensureinheit die Information verbietet?

Ja, ja, sehen Sie, das jüngste Ereignis, das uns dazu gebracht hat, diese Ausstellung zu organisieren, war der Versuch, die lettische Verfassung zu modifizieren. Es geht um einen Slogan, der denen der 1920er und 1930er Jahre sehr ähnlich ist: Deutschland den Deutschen, Frankreich den Franzosen, Lettland den Letten. Und jetzt soll es in der Verfassungspräambel heißen, daß ethnische Letten die Basis des Staats sind und daß Lettisch einzige Landessprache sein soll. Eine unserer Tafeln zeigt die praktischen Auswirkungen: Es gibt den Fall eines lettischen Nazis, der wegen Volksverhetzung bestraft wurde, weil er Juden und »Zigeuner« als »Unmenschen« bezeichnet hat, die »liquidiert« werden müßten. Das Oberste Gericht hat das Urteil aber wieder aufgehoben, und der Mann hat sogar Haftentschädigung bekommen.

Was waren denn die politischen Gründe der EU, die Ausstellung zu verbieten?

Doppelstandards. Das sind nur Versuche, die Augen vor dem Fakt zu verschließen, daß in den baltischen Staaten der Mainstream den rechten Rand positiv sieht. Politiker, die keine Ämter bekleiden, unterstützen offen die Veteranen der SS-Legionen und nutzen das für sich. Selbst Offizielle machen mit, der estnische Verteidigungsminister zum Beispiel hat über seine Internetseite Grüße und Glückwünsche an eine »Freiheitskämpfer-Reunion« gesendet. Aber diese sogenannten Freiheitskämpfer haben gegen die Rote Armee gekämpft, gegen die Befreiung Leningrads.

Wem nützt dieses Erstarken des auch deutlich antirussischen Neonazismus?

Das ist einfach eine Fortführung des Kalten Kriegs. Im Entwurf des EU-Rußland-Partnerschaftsvertrags standen die Worte »strategische Partnerschaft«. Dann ist das Wort strategisch verschwunden, und in der neuen Resolution des Europäischen Parlaments lautet die Formulierung »kritische Auseinandersetzung mit Rußland«. Das ist meiner Meinung nach eine Erklärung des Kalten Krieges. Dieser Kurswechsel in der Außenpolitik passiert im Interesse unseres atlantischen Partners, der USA. Europa, inklusive Rußland und inklusive der Ukraine sowie anderer kleinerer Länder an der östlichen EU-Grenze, kann ein mächtiger geopolitischer Akteur sein. Aber es gibt jemanden, der das nicht will, und der alles daran setzt, einen Konflikt zu kreieren.

Sie sprechen die Ukraine an. Dort ist eine faschistische Partei, »Swoboda«, Teil des Pro-EU-Lagers, auch wenn das in vielen Medien der EU gern unter den Teppich gekehrt wird. Offensichtlich sollen die proeuropäischen Kräfte nicht bloßgestellt werden, egal, mit wem sie sich verbünden. Glauben Sie, daß das De-facto-Verbot ihrer Ausstellung auch mit dieser Strategie zu tun hat?

Ja, natürlich. Am 1. Januar gab es in Kiew einen riesigen Fackelmarsch zu Ehren von Stepan Bandera, der Kollaborateur der Nazis in der Ukraine war. Führende europäische Politiker waren in Kiew, und ich verstehe nicht, wie die mit der sogenannten Opposition reden können, wenn mindestens eine Partei dieser Opposition offen neonazistisch ist. Die erklären in ihren Slogans, daß Russen in jüdischem Blut ertränkt werden sollten, nur in noch abscheulicheren Worten.

Interview: Christian Selz

* Aus: junge welt, Montag, 27. Januar 2014


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