Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Referendum in Lettland zeigt Gräben

Mehrheit gegen Russisch als zweite Staatssprache

Von Detlef D. Pries *

Wie erwartet, hat sich die große Mehrheit der stimmberechtigten Bürger Lettlands bei einem Referendum am Sonnabend gegen eine Verfassungsänderung ausgesprochen, durch die Russisch neben Lettisch zur zweiten Staatssprache der Ostseerepublik erhoben worden wäre.

Lettlands Präsident Andris Berzins dankte allen »aufrichtigen Patrioten«, die für Lettland und das Lettische gestimmt hätten. Das Referendum über die Einführung einer zweiten Staatssprache bedrohte nach Berzins' Auffassung »eine der heiligsten Grundlagen der lettischen Verfassung - die Staatssprache«.

Dieser »Bedrohung«, ausgelöst durch eine Unterschriftenaktion der Vereinigung »Muttersprache«, widersetzten sich nach vorläufigen Angaben gut 820 000 Abstimmungsteilnehmer, knapp 75 Prozent. Ein Viertel der Wähler - mehr als 270 000 - wollten dagegen Russisch zur zweiten Amtssprache erheben. Die Beteiligung lag bei etwa 71 Prozent - so hoch wie bei keinem früheren Referendum seit der Trennung Lettlands von der UdSSR. Nicht einmal die Volksabstimmung über den EU-Beitritt lockte so viele Wähler an die Urnen. Berücksichtigt man, dass fast 320 000 »Nichtbürger« kein Wahlrecht besitzen, widerspiegelt das Ergebnis etwa die Zusammensetzung der Bevölkerung und die Gräben in der Gesellschaft. Von rund 2,3 Millionen Bewohnern des Landes sind rund ein Drittel Nicht-Letten.

Das Referendum sei den »zahlreichen Problemen und Fehlern« in der Nationalitätenpolitik der vergangenen 20 Jahre geschuldet, sagte Rigas Bürgermeister Nils Usakovs, Chef des Parteienbündnisses »Harmoniezentrum«, das vorwiegend von Russischsprachigen gewählt wird. Obwohl aus den Wahlen im Herbst 2011 als stärkste Kraft im Parlament hervorgegangen, wurde es bei der Regierungsbildung ignoriert.

Die Initiatoren der Abstimmung äußerten sich trotz ihrer Niederlage zufrieden. Ihr Ziel sei gewesen, einen Dialog anzuregen, und das sei gelungen, auch wenn es zeitweise »hysterisch« dabei zugegangen sei. »Das Referendum ist nicht das Ende, sondern erst der Anfang«, sagte Vladimirs Lindermans von der Organisation »Muttersprache«. Die russischsprachige Minderheit werde den Kampf für gleiche Rechte fortsetzen. Minimalziel ist das Wahlrecht für »Nichtbürger« wenigstens bei Stadtratswahlen.

* Aus: neues deutschland, 20. Februar 2012


EU-Sprachprobleme

Von Detlef D. Pries **

Die große Mehrheit der Letten hat nicht nur die Erhebung des Russischen zur zweiten Amtssprache in ihrer Heimat verhindert, sie hat auch die Europäische Union vor einem Problem bewahrt. Ein Ja für das Russische im EU-Staat Lettland hätte nämlich eine Antwort auf die Frage verlangt, ob Russisch zur 24. Amtssprache in der EU erklärt wird. Abgesehen von den Kosten, die entstünden, wenn alle Texte der Union in eine weitere Sprache übersetzt werden müssten: Als heikel wird die Frage vor allem wegen der »nicht spannungsfreien Beziehungen« zwischen Russland und der EU betrachtet. Da alle Unionsstaaten einer einschlägigen Entscheidung zustimmen müssten, wären abermals Widersprüche zwischen »neuem« und »altem« Europa zu erwarten. Die einen mochten das Russische nie (zumindest zum beträchtlichen Teil), die anderen konnten es nie (zum noch größeren Teil).

Dabei ist die Sprache des heiklen strategischen Partners längst ins EU-Vokabular eingedrungen. Zum Beispiel in Gestalt der sogenannten Troika. Eine gefühlte Hälfte der Kommentatoren spricht das Wort zwar falsch aus (Tro-ika), aber wenn damit das Dreigespann strenger Finanzkontrolleure bezeichnet wird, verbreitet die Troika - wie kürzlich in Griechenland - bei manchem EU-Bürger mehr Angst als das Ursprungsland des Begriffs. Als vergleichsweise ehrenvoll gilt dagegen die Mitgliedschaft in der Troika aus vorangegangener, gegenwärtiger und folgender EU-Ratspräsidentschaft. 2014 rückt übrigens Lettland in dieses Triumvirat auf. Aber womöglich wird es in Riga als Angriff auf lettische Sprache und Kultur verstanden, wenn dann vom »Troika-Mitglied« Lettland die Rede ist.

** Aus: neues deutschland, 20. Februar 2012 (Kommentar)


Zurück zur Lettland-Seite

Zurück zur Homepage