Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Impulse aus dem Süden

Südamerika feilt an neuer Finanzarchitektur. Eigene Bank und gemeinsame Verrechnungswährung definieren die Abkehr von US-Dollar

Von Simon Zeise *

Es ging um eine »neue Finanzarchitektur in der Region« Südamerika. Gern würde er auf Deutsch zum Publikum sprechen, doch sei es schwer für einen spanischen Muttersprachler, mit den vielen Fällen, wie dem Genitiv oder dem Dativ, umzugehen. Deshalb entschied sich der ecuadorianische Ökonom Pedro Páez am Mittwoch abend an der Technischen Universität in Berlin, seinen Vortrag auf Englisch zu halten.

Páez arbeitet als Leiter der Marktaufsichtsbehörde für die sozialistische Regierung unter Präsident Rafael Correa. Die Öffentlichkeit nahm von Paéz Notiz, weil er zwischen 2008 und 2009 in einer UN-Kommission zur Finanzmarktregulierung mitgearbeitet hatte, die unter der Leitung des keynesianischen Ökonomie-Nobelpreisträgers Joseph Stiglitz stand und deshalb im Volksmund als »Stiglitz-Kommission« Bekanntheit erlangte.

Um ein Gegenprojekt zu den US-Freihandelsplänen für Gesamtamerika, dem ALCA – Área de Libre Comercio de las Américas – zu kreieren, wird von elf südamerikanischen Staaten die Bolivarische Allianz für die Völker unseres Amerika (ALBA) unterstützt. Zu den ALBA-Mitgliedsländern gehören Venezuela, Ecuador, Bolivien, Kuba, Nicaragua, Antiqua und Barbuda, Dominica, Grenada, St. Kitts und Nevis, St. Lucia sowie St. Vincent und die Grenadinen. Die Aufzählung macht ein Dilemma deutlich: Es fehlen die wirtschaftlich stärksten Länder Brasilien und Argentinien. Uruguay und Paraguay haben zumindest einen Beobachterstatus. Im übrigen auch der Iran. Páez erinnerte an die Worte des US-Multimilliardärs Warren Buffet, der sagte: »Wenn in Amerika ein Klassenkampf tobt, ist meine Klasse dabei, ihn zu gewinnen.« Den gilt es aufzunehmen. Ist das südamerikanische Handelsabkommen ein erster Hoffnungsschimmer? Alba ist das spanische Wort für Morgenröte.

Als Verrechnungseinheit unter den Mitgliedsstaaten wurde im Februar 2010 der Sucre geschaffen, an dessen Konzeption Páez federführend beteiligt war. Durch eine gemeinsame Währung soll die Abhängigkeit vom US-Dollar perspektivisch gebrochen werden. »Jedesmal, wenn Brasilien und Argentinien Handel betreiben«, so Páez, »handeln die beiden Staaten in US-Dollar. Selbst Deutschland handelt in Dollar, wenn es z. B. mit Nigeria« Geschäfte macht.

Um die Herausforderungen zu skizzieren, vor denen die südamerikanische Staatengemeinschaft steht, erläuterte Páez ausführlich den Wandel vom keynesiansischen Wachstumsmodell zum neoliberalen Akkumulationsregime, der Ende der 1960er Jahre begann und seit den 1980er Jahren seinen weltweiten Siegeszug feiern konnte. Eine ungeheure Kapitalkonzentration habe seither eingesetzt. Die durchschnittlichen Profitraten hatten 1982 weltweit stagniert. Die Anlagemöglichkeiten schienen erschöpft, neue und profitablere mussten generiert werden. Das Mittel: Umverteilung von unten nach oben. Die Bevölkerung sollte sich verschulden, um die Profite der Konzerne zu sichern. Ebenso entsprachen die Verbindlichkeiten des globalen Südens den Profiten des Nordens. Die Deregulierung der Finanzmärkte sei hierbei ein Grundübel, so der Ökonom weiter. Der Anteil an Derivaten, sprich Finanzwetten, in den Volkswirtschaften habe rasant zugenommen. Überakkumuliertes Kapital verbleibe im Finanzsektor und werde nicht mehr produktiv reinvestiert. Páez rief in Erinnerung, dass sich die US-Regierung den Banken-Bailout zwischen 2007 und 2010 rund 16.000 Milliarden Dollar habe kosten lassen. Und auch in Südamerika ruhten heute 900 Milliarden Dollar ungenutzt in Depots, die investiert werden sollten.

Um diesen Schatz zu heben, habe die ecuadorianische Regierung ein Bankensystem erstellt, das sich an den deutschen Sparkassen und Landesbanken orientiere. Es gelte die Kapitalkonzentration, die ihren engsten Zusammenschluss im anglo-amerikanischen Finanzsystem findet, aufzubrechen. Kleinkredite, Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen sowie die regionale Integration habe dieses Bankensystem zum Ziel.

Das zweite Standbein der südamerikanischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit stellt die Entwicklungsbank des Südens (Banco del sur) dar. In ihr sind tatsächlich die prosperierenden südamerikanischen Staaten vertreten. Noch hat die Institution Startschwierigkeiten. Ihr Gründungskapital beträgt nur 20 Milliarden US-Dollar. Dafür wurde aber ein Fonds des Südens ins Leben gerufen. Und die Banco del sur gibt keine gemeinsame Währung aus, wie es z. B. die EZB der Euro-Zone oder die Federal Reserve der USA können. Der Sucre verbleibt als bloße Recheneinheit.

Als gemeinsames Großprojekt wurde bisher eine Gaspipeline, die sich von Venezuela über den Kontinent erstrecken soll, finanziert. Perspektivisch ist vorgesehen, das Wirtschaftswachstum und die Infrastruktur der Mitgliedsstaaten zu fördern und zur Ernährungssicherheit, zur Verbesserung des Gesundheitswesens sowie der Förderung von Energie und Forschung beizutragen. Vor allem wurde die Bank des Südens gegründet, um der kontinentalen Infrastruktur auf die Sprünge zu helfen, die nicht mehr nur dem Export von Rohstoffen dienen, sondern Impulse zur industriellen Entwicklung geben soll.

* Aus: junge Welt. Freitag, 27. März 2915


Zurück zur Lateinamerika-Seite

Zur Lateinamerika-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage