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Selbstbewußter Süden

Lateinamerikanisches Wirtschaftsforum sieht Vormachtstellung der Industriestaaten beendet. Brasiliens Präsident für Reform von Weltbank und IWF

Von Andreas Knobloch, Rio de Janeiro *

Zwei Tage vor dem Gipfel der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in Trinidad und Tobago wurde am Mittwoch in Rio de Janeiro die vierte Konferenz des ­Fórum Econômico Mundial do América Latina eröffnet. Die auch als »Davos Lateinamerikas« bezeichnete Veranstaltung stand dabei ganz im Zeichen der weltweiten Wirtschaftskrise. Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, Kolumbiens Staatsoberhaupt Álvaro Uribe und rund 500 Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft aus 37 Ländern diskutierten an zwei Tagen Strategien und Modelle, um der Krise zu begegnen. Kurz vor Beginn waren neue Zahlen der Weltbank bekanntgeworden, die ein Schrumpfen der kontinentalen Wirtschaft um 0,6 Prozent für dieses Jahr prognostizieren – 0,3 Prozent mehr als noch im Februar veranschlagt. Mexiko zum Beispiel erwartet einen Rückgang um 2,8 Prozent, während Brasiliens nur noch geschätzte 1,2 statt 3,2 Prozent wachsen wird. Doch auch die größte Volkswirtschaft Südamerikas kann sich nicht von der allgemeinen Entwicklung abkoppeln.

In seiner Eröffnungsrede versprühte Lula dennoch Optimismus. Sein Land sei als letztes von der Wirtschaftkrise erfaßt worden und werde sie als erstes wieder überwunden haben, so der brasilianische Präsident. Darüber hinaus stellte er seine schon bekannten Rezepte gegen die Finanz- und Wirtschaftskrise vor. Er wandte sich scharf gegen Protektionismus. Dieser sei »ein Desaster für die Menschheit und für die ökonomische Entwicklung in der Welt.« Lula zielte damit auch auf lateinamerikanische Staaten. So hatte z.B. Ekuador seine Importrestriktionen erhöht, oder Mexiko die Zolltarife für eine ganze Reihe von US-Produkten nach oben korrigiert. Argenti­nien forderte Brasiliens Geduld heraus, als es mit einer knapp 800 Produkte umfassenden Liste »sensiblen« Waren Importschranken auferlegte.

Zudem schlug der Gastgeber des Forums eine verstärkte Kontrolle des weltweiten Geldverkehrs, von Finanzspekulationen und Steuerparadiesen vor. Vor allem aber sei eine grundlegende Reform des Internationalen Weltwährungsfonds (IWF) und der Weltbank vonnöten, um ein »robustes und transparentes System« zu schaffen. Die heutige Verfaßtheit beider Institutionen reflektiere weder die aktuelle Weltordnung, noch verleihe sie bestimmten Ländern bei der Entscheidungsfindung das Gewicht, das diese in der globalen Ökonomie haben. Erforderlich sei eine neue Weltwirtschaftsordnung, basierend auf einer gerechteren Verteilung des Reichtums. Nach Ansicht der Regierung in Brasilia verfügen die USA und Westeuropa in den internationalen Finanzorganisationen zuviel Macht; ein Ungleichgewicht, das schnellsten abgebaut werden sollte.

Vor einer vor allem aus weltweiten Investoren bestehenden Zuhörerschaft kritisierte Lula die »Blauäugigkeit« vieler Verantwortlicher der Finanzwelt, die die aktuelle Krise mit verursacht habe. »Wir wollen eine ethische Globalisierung, bei der die Menschen im Zentrum unseres Handelns stehen. Die Antworten müssen sozial gerecht ausfallen und die Armut bekämpfen«, ergänzte er.

In seinen Gesprächen mit Kolumbiens Präsident Uribe schlug Lula die Abwicklung des bilateralen Handels in brasilianischen Reales bzw. kolumbianischen Pesos vor, um den US-Dollar aus dem Zahlungsverkehr zwischen beiden Volkswirtschaften zu verdrängen. Mit Argentinien besteht bereits seit Oktober vergangenen Jahres eine derartige Vereinbarung; mit Uruguay sollen demnächst dementsprechende Verhandlungen aufgenommen werden.

Die Vizepräsidentin der Weltbank für Lateinamerika und die Karibik, Pamela Cox, rief die Länder auf, der Krise mit Steuerreformen zu begegnen, um soziale Sicherungsnetze zu stärken. Vor allem aber gelte es, die Infrastruktur und die Qualität des Bildungssektors auszubauen, zwei Bereiche, die sich aufgrund bestehender Defizite ansonsten langfristig negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken werden, so Cox weiter.

Im Abschlußdokument des Forums dominierte dennoch Optimismus. Die versammelte Wirtschaftselite stimmte darin überein, daß der aktuelle Handels- und Investmentboom in Asien, dem Mittleren Osten und Lateinamerika trotz Weltwirtschaftskrise weitergehen werde. »Die OECD ist nicht länger das Zentrum der Welt. Die Peripherie nicht länger die Peripherie«, ist Javier Santiso, Chefökonom der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, zuversichtlich. Die Zukunft liege im Süd-Süd-Handel. Die Krise sei die Chance, historische Gegensätze zu überwinden und eine »neue Etappe gegenseitigen Vertrauens und der Zusammenarbeit« zu beginnen. Konkrete Maßnahmen wurden allerdings nicht beschlossen.

* Aus: junge Welt, 18. April 2009


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