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Brisante Informationen

Neue Einzelheiten über Spionageattacken von US-Geheimdiensten. Führende Politiker lateinamerikanischer Staaten und weitere Prominente betroffen

Von Volker Hermsdorf *

Neue Details über Spionageangriffe von US-Geheimdiensten in Lateinamerika haben das Klima zwischen den Staaten der Region und der Regierung Barack Obamas weiter verschlechtert. Am Wochenende informierte der argentinische Außenminister Héctor Timerman die Öffentlichkeit darüber, daß die geheimen E-Mail-Zugangsdaten von über hundert prominenten Politikern und anderen Persönlichkeiten »offensichtlich von einem Spionagenetz« abgefischt worden seien. Bolivien, das von einem ähnlichen Angriff betroffen ist, hatte deswegen am Wochenende die Anerkennung des neuen US-Botschafters für La Paz auf Eis gelegt.

Kurz nach Beendigung des MERCOSUR-Gipfels in Montevideo hatte der argentinische Außenminister erklärt, daß ihm von einem Teilnehmer des Treffens ein verschlossener Umschlag übergeben worden sei, der eine Liste mit über hundert E-Mail-Adressen und deren Paßwörter enthielt. Der Delegierte hatte das Material – nach eigenen Angaben – von einem Informanten aus einem nicht zum MERCOSUR gehörenden Drittland erhalten, sagte Timerman. Betroffen von der neuerlichen Spitzelattacke sind unter anderem der argentinische Vizepräsident Amado Boudou, Justizminister Julio Alak, der frühere Außenminister Jorge Taiana sowie der spanische Richter Baltasar Garzón, der die von den USA gejagten Enthüller Julian Assange und Edward Snowden unterstützt. Weltweit bekannt wurde Garzón als er 1998 einen Haftbefehl für den chilenischen Diktator Augusto Pinochet ausstellte und ihn in London unter Hausarrest stellen ließ.

Am Samstag hatte auch der bolivianische Präsident Evo Morales den Geheimdiensten der USA vorgeworfen, die E-Mail-Korrespondenz von Mitgliedern seiner Regierung ausgespäht zu haben (junge Welt berichtete). Regierungsminister Carlos Romero kündigte daraufhin an, daß die Entscheidung über die Zulassung eines neuen US-Botschafters zurückgestellt werde. Die USA ersuchen La Paz seit sechs Monaten um Anerkennung des Diplomaten James D. Nealon, der den im Jahr 2008 aus Bolivien wegen Verschwörung gegen die Regierung ausgewiesenen Botschafter Philip Goldberg ersetzen soll. Evo Morales hatte allerdings – nachdem vier europäische Länder auf Druck der USA seiner Präsidentenmaschine Anfang Juli den Überflug verweigert hatten – erklärt, er habe kein Problem damit, »die Botschaft der USA in La Paz zu schließen«.

Unterdessen wurden weitere Details über das US-Spionagenetz bekannt. Das von namhaften Journalisten betriebene Zentrum für investigativen Journalismus (Centro de Periodismo Investigativo/CPI) in Puerto Rico informiert auf seiner Homepage (cpipr.org) darüber, daß der frühere Marinestützpunkt Sabana Seca in der Gemeinde Toa Baja an der Nordküste der Insel den US-Geheimdiensten CIA und NSA als Zentrum für geheime Operationen in Lateinamerika dient. Von dort aus würden weitere Spionagezentren in Brasilia, Bogotá, Caracas, Mexiko-Stadt und Panama-Stadt koordiniert, die unter anderem mit einem Programm namens »Fornsat« Milliarden Telefongespräche, E-Mails und alle anderen über das Internet kommunizierten Mitteilungen in ganz Lateinamerika ausspionieren.

Der US-amerikanische Journalist und Snowden-Vertraute, Glenn Greenwald, hatte bereits am Samstag in einem Interview mit der argentinischen Zeitung La Nación darauf hingewiesen, daß der ehemalige CIA-Mitarbeiter über brisante Dokumente verfüge, aus denen hervorgehe, daß die USA den Datenverkehr in jedem Land von Mexiko bis Argentinien systematisch überwachten. So würden zum Beispiel Kommunikationsdaten über eine US-amerikanische Telefongesellschaft abgefangen, die mit Telekommunikationsunternehmen in den meisten lateinamerikanischen Ländern Geschäftsbeziehungen unterhält.

Auf die Frage, ob Snowden nicht befürchten müsse ermordet zu werden, antwortete der Kolumnist des britischen Guardian: »Die Möglichkeit besteht natürlich.« Es würde aber niemandem nützen, da Snowden die Dokumente weltweit verteilt habe. Das Material, daß für den Fall, daß ihm etwas zustoße, veröffentlicht werde, sei so brisant, daß die »Regierung der USA jeden Tag auf Knien dafür beten sollte, daß Snowden nichts passiert.«

* Aus: junge Welt, Dienstag, 16. Juli 2013


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