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Die Rekolonialisierung Lateinamerikas

Spanische Transnationale stehen für ihr Engagement in Lateinamerika am Pranger

Von Markus Plate*

Wenn es um Aktivitäten transnationaler Unternehmen in Lateinamerika geht, wurden in der Vergangenheit zumeist US-Konzerne schwerer Menschenrechtsverletzungen und Umweltsünden angeklagt. Dass auch europäische Konzerne keineswegs zimperlich sind, offenbarte ein Tribunal, das in Wien abgehalten wurde.

Die spanische Rekolonialisierung Lateinamerikas ist in vollem Gange. Spanische Unternehmen haben in einigen Wirtschaftsbereichen in Lateinamerika eine inzwischen fast hegemoniale Stellung. Banco Santander ist die Nummer eins im Bankenwesen, Endesa führend auf dem Strommarkt. Auch Unión Fenosa, die Nummer drei der spanischen Stromerzeuger, ist in Lateinamerika gut im Rennen. Ob Iberia, Telefónica oder Bau- und Tourismuskonzerne: Spanische Unternehmen haben sich in den letzten 15 Jahren von Mexiko bis Chile große Marktanteile gesichert. Sie sind die Gewinner von Konzepten, die auf den ersten Blick wirtschaftsliberal aussehen, sich jedoch, wie der Anti-Repsol Aktivist Marc Galvada erklärt, als vom spanischen Staat nach Kräften unterstützte Rekolonialisierung Lateinamerikas herausstellen.

Ölriese Repsol gibt Gas

Galvada ist Autor des Buches »Die Rekolonialisierung – Repsol in Lateinamerika«, in dem er die Entwicklung des Konzerns der letzten zwanzig Jahre als auch seine Aktivitäten in Lateinamerika nachzeichnet: »Der Fall Repsol ist exemplarisch für die Transnationalisierung spanischer Unternehmen«. Das einstige spanische Staatsunternehmen wurde in den Achtziger Jahren privatisiert und dann mit umfangreichen Finanzspritzen zu einem international wettbewerbsfähigen Großunternehmen hochgepäppelt. Durch Übernahmen gerade privatisierter Ölfirmen, wie der argentinischen IPF und der bolivianischen IPFB im Jahre 1999 ist Repsol heute der größte private Ölkonzern in Lateinamerika – nach den Staatsunternehmen PDVSA (Venezuela) und PEMEX (Mexiko).

Die Transnationalisierung der Konzerne wird dabei im großen Maße von den europäischen Regierungen mit direkten oder indirekten Subventionen finanziert, erläutert David Llistar, der sich in einer Arbeitsgruppe an der Universität von Katalonien mit der Verschuldung öffentlicher Haushalte im Zuge der Globalisierung beschäftigt. Federführend seien die Wirtschaftsministerien, die zunächst über Finanzspritzen und Steuervergünstigungen die Wettbewerbsfähigkeit ihrer »nationalen Champions« erhöhten. Zur Absicherung der internationalen Stellung stünden staatliche Mechanismen der Exportförderung zur Verfügung. Aber auch die Akquisition ausländischer Unternehmen werde unterstützt, zum Beispiel über die Weltbank: »Die Regierungen des Nordens knüpfen an eine Kreditvergabe durch die Weltbank die Forderung, dass die Länder des Südens ihre Wirtschaft zu privatisieren haben. Es sind dann Unternehmer aus den Geberländern, die sich im Süden einkaufen. Der gerne propagierte Neoliberalismus existiert also wegen der massiven staatlichen Einflussnahme des Nordens gar nicht.

Im spanischen Falle, so David Llistar, gebe es diverse Mechanismen der Finanzierung und Subventionierung der spanischen Unternehmen, damit sie sich die Märkte des Südens öffnen können. Kredite zur Entwicklungshilfe würden an die Forderung geknüpft, von dem Geld ausschließlich spanische Güter oder Dienstleistungen zu beziehen: »Man gibt zum Beispiel Honduras 100 Dollar«, erläutert Llistar diesen Mechanismus, aber diese 100 Dollar müsse Honduras in Spanien ausgeben. »Das ist für Spanien natürlich ein fabuloser Mechanismus, denn der Kredit kommt doppelt nach Spanien zurück: einmal als Aufträge an spanische Unternehmen und zweitens in Form gestiegener Auslandsforderungen.

Auch die Mechanismen der Exportförderung, wie die deutschen Hermes-Bürgschaften oder die französischen und spanischen Pendants Cofides und Cesde dienten der Subventionierung der Geschäfte heimischer Unternehmen im Ausland. Ob die Exportbürgschaften Waffenlieferungen, Umweltverbrechen oder menschenunwürdige Arbeitsbedingungen finanzierten, das erfahre man allenfalls im Nachhinein.

Wiener Tribunal gegen die Konzerne

Was gerade spanische Transnationale in Lateinamerika treiben, damit hat sich in der letzten Woche ein Tribunal im Rahmen den Gegengipfels »Enlazando Alternativas« (Alternativen verbinden) in Wien beschäftigt, zeitgleich zum Gipfel der Staats- und Regierungschefs der EU und Lateinamerikas. Marc Galvada brachte gegen den Mineralölkonzern Repsol eine Fülle von Anklagen vor: Repsol habe durch seine Akquisitionen riesige Territorien unter seine Kontrolle gebracht. Ob in den Amazonasgebieten Boliviens oder Ecuador, ob im kolumbianischen Arauca oder in den argentinischen Anden, überall biete sich das gleiche Bild: Indigene Gemeinden und Kleinbauern würden vertrieben, die Trinkwasser, Flüsse und Böden massiv durch Ölschlämme verseucht. Dem Konzern werden in Kolumbien Menschenrechtsverletzungen und Kollaboration mit Paramilitärs vorgeworfen, hinzu kommen in ganz Lateinamerika Massenentlassungen und die Einschränkungen von Arbeitsrechten.

Auch der spanische Konzern Unión Fenosa wurde in Wien angeklagt. Die Nummer drei der spanischen Stromversorger ist unter anderem in Kolumbien aktiv. Der Journalist Javier Solé hat den Fall Fenosa recherchiert und erläutert die Taktik von Fenosa bei seinen Einkäufen in lateinamerikanische Märkte: »Fenosa hat großflächig die Stromversorgung der Karibikküste Kolumbiens übernommen, einer Region, in der 70 Prozent der Bevölkerung so arm sind, dass sie kaum ihre Rechnungen bezahlen können.« Um in einem solchen Umfeld Gewinne zu realisieren, habe Fenosa einige schmutzige Tricks parat: »Fenosa erpresst den kolumbianischen Staat, indem das Unternehmen droht, ganzen Landstrichen den Strom abzustellen, wenn keine Subventionen fließen«. Dann nehme man ganze Viertel unter Vertrag, die kollektiv abgeschaltet würden, wenn ein einziger Haushalt nicht zahle. Außerdem werde massiv an Serviceleistungen und Instandhaltung gespart, was schon zu einer Reihe tödlicher Unfälle an maroden Installationen geführt habe. »Das Engagement von Fenosa in Lateinamerika ist ein Desaster«, resümiert Javier Solé.

Was sind die Alternativen? Für Galvada, Llistar und Solé trägt die EU-Wirtschaftspolitik Verantwortung für die Aktivitäten »ihrer« Konzerne im Süden. Die massive Subventionierung müsse beendet oder zumindest klar an die Einhaltung von Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherstandards gekoppelt werden. Grundsätzlich stehe aber die gesamte Privatisierungspolitik mit all ihre nationalen und internationalen Finanzierungsinstrumenten zur Debatte. Öffentliche Dienstleistungen, das zeigten die Erfahrungen, dürften nicht an profitorientierte Transnationale vergeben werden, sondern müssten vom Staat und der Zivilgesellschaft kontrolliert werden. Die Re-Verstaatlichung der Gasförderung durch Evo Morales sei in dieser Hinsicht ein wichtiger Schritt.

* Aus: Neues Deutschland, 16. Mai 2006


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