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Kein Hinterhof mehr

Amerika-Gipfel in Cartagena

Von André Scheer *

Die US-Botschafterin bei der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), Carmen Lomellin, soll am Donnerstag beim Amerika-Gipfel im kolumbianischen Cartagena die versammelten Außenminister aus 34 Staaten des Kontinents verzweifelt gefragt haben, was sich denn eigentlich geändert habe, warum sie heute eine andere Position vertreten als früher. »Was sich geändert hat, ist Amerika. Wir sind freie, unabhängige Länder«, sei die einstimmige Antwort gewesen, kolportierte Venezuelas Außenminister Nicolás Maduro. Zuvor hatten sich die Vertreter von 32 amerikanischen Staaten dafür ausgesprochen, die Ausgrenzung Kubas von diesen Treffen zu beenden.

Das gleiche Bild zeigte sich Medienberichten zufolge bei der Diskussion um den Streit zwischen Argentinien und Großbritannien um die Malwinen (Falklandinseln). Außer Washington und Ottawa solidarisierten sich alle anderen Teilnehmer mit der Forderung Argentiniens nach Rückgabe der seit 1833 von Großbritannien beanspruchten Inselgruppe.

Washington muß in Cartagena erneut erleben, daß es keinen Hinterhof mehr hat. Selbst den USA ideologisch nahestehende Regime wie die Kolumbiens und Chiles mucken auf, und Mexikos konservativer Präsident Felipe Calderón legte vor seiner Reise zum Gipfel sogar erstmal einen demonstrativen Abstecher in Havanna ein.

Ecuadors Präsident Rafael Correa bleibt dem Gipfel fern, um gegen den Ausschluß Kubas zu protestieren. Die übrigen Mitgliedsstaaten der Bolivarischen Allianz ALBA haben auf einen angedrohten Boykott verzichtet. Ihnen war offenbar klar, daß US-Präsident Barack Obama es sich im Wahljahr innenpolitisch nicht leisten kann, auf einem gemeinsamen Gruppenfoto mit Raúl Castro zu erscheinen. Sie hoffen darauf, daß er nach einer Wiederwahl offener agieren kann. Das meinte auch Argentiniens Außenminister Héctor Timerman, der ultimativ feststellte: »Es wird keine weiteren Gipfeltreffen ohne Kuba mehr geben!«

Noch bleibt das Aufbegehren gegen das Imperium im Norden jedoch weitgehend symbolisch. Allen Regierungen ist klar, daß sich mit demonstrativem Selbstbewußtsein gegenüber Washington bei der eigenen Bevölkerung punkten läßt. Doch wirtschaftlich ist bislang niemand in der Lage, mit den USA zu brechen. Sogar für Venezuela bleiben die Vereinigten Staaten der wichtigste Handelspartner. Bemühungen, sich durch Initiativen wie der Bank des Südens oder der lateinamerikanische Rechnungswährung SUCRE von dem durch die Metropolen dominierten Weltmarkt zu emanzipieren, stecken noch in den Kinderschuhen.

Doch der Anfang ist gemacht. Wollen die USA weiter eine wichtige Rolle in ihrem früheren Hinterhof spielen, brauchen sie die OAS. Ihre Nachbarn sind schon weiter und haben sich mit der Organisation der Staaten Lateinamerikas und der Karibik (CELAC) ihren eigenen Zusammenschluß geschaffen – mit Kuba, aber ohne die USA und Kanada.

* Aus: junge Welt, Samstag, 14. April 2012


Der letzte Amerikagipfel ohne Kuba

Lateinamerika ist sich einig, dass Havanna künftig eingeladen werden muss – USA hin oder her

Von Gerhard Dilger, Porto Alegre **


Wenn heute in der kolumbianischen Küstenstadt Cartagena die Staatsoberhäupter aus Nord-, Mittel- und Südamerika zum sechsten Amerikagipfel zusammenkommen, werden zwei fehlen: Raúl Castro und – aus Protest gegen die Ausgrenzung Kubas – Rafael Correa aus Ecuador.

Den Eklat konnte der Gastgeber abwenden: Mit seinem Blitzbesuch in Havanna Ende März vermochte Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos die Bolivarianische Allianz für die Völker unseres Amerika (ALBA) zu besänftigen. Das Linksbündnis, dem Venezuela, Kuba, Ecuador, Bolivien, Nicaragua sowie die Karibikinseln Dominica, Antigua und Barbuda und St. Vincent angehören, hatte mit einem Boykott gedroht, da Kuba nach wie vor ausgeschlossen ist. Nun bleibt nur Ecuadors Präsident Rafael Correa dem Gipfel fern.

Mit der Forderung, Kuba wieder zu integrieren, steht ALBA keineswegs allein, wie die brasilianische Staatschefin Dilma Rousseff Anfang der Woche in Washington klarmachte. Ihrem Kollegen Barack Obama habe sie den »regionalen Konsens« mitgeteilt, erklärte sie: »Das war keine Forderung, das ist Konsens. Das ist der letzte Amerikagipfel ohne Kuba. Obama hat nichts dazu gesagt. Es gab dazu nichts zu sagen«.

Am Donnerstag unternahm Argentiniens Außenminister Héctor Timmermann einen letzten Vorstoß. Er berichtete von einem »Vorschlag mehrerer Länder« an die Gastgeber, Raúl Castro doch noch kurzfristig nach Cartagena einzuladen.

Politische Entscheidungen von Gewicht fallen auf den Amerikagipfeln seit dem historischem Showdown im argentinischen Mar del Plata schon längst nicht mehr. Dort wurde Ende 2005 auf Initiative Argentiniens, Brasiliens und Venezuelas die von Washington angestrebte Freihandelszone von Alaska bis Feuerland definitiv beerdigt. Entstanden waren die Gipfel in den neoliberalen 90ern just um die Freihandelsagenda von Obamas Parteifreund William Clinton.

So nutzt Kolumbiens Präsident Santos das diesjährige Treffen, um sich als weltoffener Staatsmann zu geben, der es anders als sein Vorgänger Álvaro Uribe auch mit den Linken kann – er nahm eine Herausforderung seines bolivianischen Kollegen Evo Morales zu einem Fußballspiel an. Auch der krebskranke Hugo Chávez will nach Cartagena kommen.

Bedeutsamer ist es, dass Santos und seine zentralamerikanischen Kollegen mögliche Korrekturen in der Drogenpolitik zum Gipfelthema gemacht haben. Bereits 2011 hatte Santos vorsichtig, aber deutlich gegenüber dem »Observer « erklärt: »Durch einen neuen Ansatz sollte man versuchen, die gewalttätigen Profite aus dem Drogenhandel auszuschalten … Sollte das auf eine Legalisierung hinauslaufen und sollte die Welt meinen, das wäre die Lösung, werde ich sie begrüßen.«

Dann lobte er die Bereitschaft Washingtons, in Cartagena über einen Kurswechsel in der Drogenpolitik zu diskutieren. Zuletzt hatte ausgerechnet Guatemalas rechter Präsident Otto Pérez Molina eine umfassende Drogenlegalisierung gefordert. Doch im USAWahljahr sind Obama, dessen Außenpolitik in Südamerika besonders kritisiert wird, die Hände noch mehr gebunden als sonst – wie in Sachen Kuba oder in der Migrationspolitik ist ein Kurswechsel Washingtons höchstens mittelfristig denkbar.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 14. April 2012


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