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"Mercosur sozial"

Starke Signale für politische und wirtschaftliche Integration in Südamerika auf Wirtschaftsgipfel in Argentinien

Von Timo Berger *

Seit dem Beitritt Venezuelas zum »Gemeinsamen Markt des Südens« (Mercosur) hat die lateinamerikanische Freihandelszone eine neue Dynamik gewonnen. Das wurde auf dem Gipfel der Wirtschaftsgemeinschaft deutlich, der am vergangenen Freitag in der argentinischen Stadt Córdoba stattfand. Neben der wirtschaftlichen Integration war dabei auch der politische Schulterschluß wichtig: An dem dreißigsten Mercosur-Treffen nahm auch Kubas Staatschef Fidel Castro teil.

Bislang bestand das Bündnis aus Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay. Seit dem 4. Juli 2006 hat das Neumitglied Venezuela zusätzliche Impulse gegeben. Das höchst ambitionierte Projekt von Präsident Hugo Chávez ist der geplante Bau einer »Gaspipeline des Südens« quer durch Brasilien. Dieser Vorschlag fand in die 42 Punkte der Abschlußerklärung ebenso Eingang wie sein gemeinsam mit Argentiniens Präsident Néstor Kirchner entwickelter »Bono del Sur« – ein zunächst binationaler Investitionsfonds. Mittelfristig soll daraus eine südamerikanische Entwicklungsbank entstehen.

Mit seinen Initiativen fordert Chávez nicht nur das eingespielte Team aus Luis Inácio »Lula« da Silva (Brasi­lien) und Néstor Kirchner (Argentinien) heraus. Er gibt auch den kleineren Ländern des Mercosur neue Hoffnung. Ururugay und Paraguay haben sich seit Jahren über die Ungleichheiten in dem gemeinsamen Wirtschaftsraum beklagt und drohten zuletzt sogar mit dem Abschluß bilateraler Freihandelsabkommen mit den USA – was den Prinzipien den Mercosur diametral entgegengestanden hätte.

Um ein Auseinanderbrechen der Wirtschaftsgemeinschaft zu verhindern, sollen diese kleinen Mitgliedsstaaten nun auf Drängen Venezuelas stärker beachtet werden. Beide Länder könnten ebenso wie das assoziierte Mitglied Bolivien durch ein Leitungsnetz an die Gaspipeline des Südens, die von Venezuela nach Argentinien führen soll, angeschlossen werden. Gemeinsam soll die Erdölförderung im Orinoco-Becken angekurbelt werden. In anderen Mercosur-Staaten, etwa an der Küste Argentiniens, will man gemeinsam nach neuen Vorkommen suchen.

Ergänzt werden diese langfristigen Planungen für eine regionale Energiesicherheit von umfassenden Entwicklungsprogrammen. Eine gemeinsame Entwicklungsbank soll soziale Ungleichheiten in der Region auszugleichen helfen. Chávez sprach deshalb am Freitag von einer »Wiedergeburt« des Wirtschaftblocks als »sozialer Mercosur«. Er erinnerte außerdem an den Widerstand gegen die gesamt­amerikanische Freihandelszone ALCA unter der Ägide der USA, durch den die letzte Verhandlungsrunde im argentinischen Badeort Mar del Plata Anfang November vergangenen Jahres scheiterte. »Dieser Gipfel heute ist nur dank unseres Sieges in Mar del Plata möglich geworden«, sagte Chávez.

Luiz Inácio »Lula« da Silva, der am Freitag die Präsidentschaft des Mercosur von seinem Amtskollegen Kirchner übernahm, erklärte mit diesem Urteil übereinstimmend: »Viele haben noch nicht verstanden, daß wir nicht nur das politische Profil Amerikas verändern. Wir verändern auch das soziale Profil Amerikas«. In der Abschlußerklärung fordern die Mercosur-Staaten die USA und die Europäische Union daher erneut auf, ihre Agrarsubventionen abzuschaffen.

Als Überraschungsgast war Kubas Staatschef Fidel Castro am Donnerstag abend in Córdoba eingetroffen. Auf dem Gipfel wurde auch ein Handelsabkommen zwischen Kuba und dem Mercosur unterzeichnet. Da der kubanische Markt recht klein ist, war die Übereinkunft in erster Linie eine politische Geste gegen die seit über vier Jahrzehnten bestehende US-Blockade. Fidel Castro sprach am Freitag abend zusammen mit Hugo Chávez auf einem Gegengipfel sozialer Bewegungen. Vor rund 20000 Teilnehmern forderte Castro auf dem Gelände der Universität Córdoba eine Bildungsreform »in ganz Lateinamerika«. Ziel müsse es sein, den Analphabetismus abzuschaffen. Und natürlich kritisierte er die US-Politik: »Der Imperialismus wird keine fünfzig Jahre dauern. Und der Kampf wird nicht mit Waffen, sondern mit Ideen geführt«. Zuvor hatte Chávez erklärt: »In Córdoba wurde ein neuer Mercosur geboren: Wir haben ALCA endgültig entsorgt.«.

* Aus: junge Welt, 24. Juli 2006


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