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Lateinamerika trotzt der Finanzkrise

Auch 2012 wird ein hohes Wachstum erwartet / IWF spricht sich gegen Steuersenkungen aus

Von Benjamin Beutler *

Dank der hohen Rohstoffpreise auf den Weltmärkten konnten die lateinamerikanischen Ökonomien 2011 ein kräftiges Wachstum erzielen. Der IWF warnt vor übereilten Schritten.

Während Washington und Brüssel angesichts schwelender Staatspleiten und neuer Rezessionsgerüchte weiter Krisenszenarien durchspielen und die Sparkeule hervorgeholt haben, schauen Lateinamerikas Volkswirtschaften auf ein gutes Jahr zurück. 2011 erlebte der Kontinent einen historischen Aufschwung, wie aktuelle Zahlen der nationalen Statistikbehörden belegen. Von gestiegenen Rohstoffpreisen getrieben und dank neuer Märkte in Asienverzeichnete der überlebenswichtige Außenhandel im Vergleich zu 2010 nie dagewesene Steigerungsraten. Den höchsten Zuwachs erzielte der Außenhandel in Venezuela (42,8 Prozent), Brasilien (26,8 Prozent), Argentinien (25 Prozent) und Uruguay (18,5 Prozent. Bei gleichzeitig stark steigenden Importen wurde ein Handelsbilanz-Überschuss in Venezuela (48,3 Milliarden US-Dollar), Brasilien (29 Milliarden) und Argentinien (10 Milliarden) erwirtschaftet. Dagegen fiel die Bilanz von Uruguay mit 549 Millionen Dollar negativ aus.

Die erfreulichen Zahlen sorgen in führenden Wirtschaftskreisen der Region für offen gezeigten Stolz. War Lateinamerika »in der Krise der 1980er Jahre Teil des Problems und in der Asienkrise der 1990er ein Beschleuniger, so ist es heute Teil der Lösung«, konstatierte jüngst Chiles Finanzminister Felipe Larraín bei einem Treffen in Paris. Hauptgrund neuer Stabilität sind die gestiegenen Preise für Rohstoffe, Agrarprodukte und Energie, was die Regierungen zwischen Rio Grande und Feuerland konsequent zur Ausgleichung der Staatshaushalte und in die Erhöhung ihrer internationalen Devisenreserven gesteckt haben. »Mit fiskalischer Verantwortung, nur kleinen Defiziten oder gar Überschüssen ist das Haus in Ordnung«, umriss Larraín die Situation auf dem Subkontinent.

Auch in Zukunft scheinen die Aussichten gut. Sind Lateinamerikas Ökonomien 2011 um 4,3 Prozent gewachsen, schätzt die UN-Wirtschaftskommission für Karibik und Lateinamerika (CEPAL) das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts für dieses Jahr 3,7 Prozent. Der Internationale Währungsfonds (IWF) geht von »nicht mehr als vier Prozent« aus. Um diesen Trend zu stützen, dürfe jedoch nicht auf exzessive Steuersenkungen gesetzt werden, warnt Nicolás Eyzaguirre, IWF-Direktor für die westliche Hemisphäre, vor übereilten finanzpolitischen Schritten. Brasilien hatte im Dezember massive Abgabensenkungen für ausländische Investoren und Exportwirtschaft beschlossen - der falsche Weg, findet Eyzaguirre. Zwar räumt der IWF-Experte in seinem Blog die Notwendigkeit ein, auch mittels Fiskalpolitik auf externe Krisen zu reagieren. Die unsichere Lage der Banken und Staaten in der EU sowie dadurch verursachte mögliche Kreditklemmen auch für lateinamerikanische Unternehmen könne derartige Maßnahmen nötig machen. »Dieser Moment ist aber noch nicht gekommen«, lautet sein Rat.

Noch gäbe es keinen Grund zur Panik, schreibt der IWF-Ökonom. Auch wenn Banken aus Europa bereits weniger Kredite gewähren würden als vor der Euro-Krise, die Gefahr einer Rezession sei in Lateinamerika bisher nicht gegeben. Eine »Kredit-Krise in Lateinamerika«, das sei sicher, könnte allerdings eine »giftige Mischung für Wachstum und Stabilität« zur Folge haben.

* Aus: neues deutschland, 9. Januar 2012


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