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"Ohne den Wald sind wir nichts"

Lateinamerikas Ureinwohner wehren sich gegen die Zerstörung ihres Lebensraumes

Von Gerhard Dilger, Porto Alegre *

Vor einem Jahr gingen die Bilder aus dem Amazonaswald um die Welt: Ureinwohner in Kriegsbemalung zielten mit Pfeil und Bogen auf ein Flugzeug der brasilianischen Indianerbehörde Funai (Foto: dpa). Eindringlicher als Worte machten sie die Bedrohung der unabhängigen Völker in Südamerika durch den »Fortschritt« der Weißen deutlich.

Seither hat sich die Lage der lateinamerikanischen Indígenas nicht verbessert, im Gegenteil: Unvermindert rücken große Öl-, Bergbau- und Agrarfirmen, Holzfäller und Bauern auf Indianerland vor, was für diese eine tödliche Gefahr bedeutet. Ähnliches gilt für den Bau von Großstaudämmen und Straßen.

In Peru werden zahlreiche indigene Völker durch Ölmultis aus Europa und Nordamerika, aber auch aus Kolumbien oder Brasilien bedroht. In den letzten Jahren wurden drei Viertel des peruanischen Amazonasgebietes in Parzellen aufgeteilt und zur Öl- und Gasförderung freigegeben. Nach siebenwöchigen Protesten verhandelt nun in Lima eine Delegation der Ureinwohner mit der Regierung über die Rücknahme der Regierungsdekrete.

Auch wenn die Grundrechte der Indianer mittlerweile in allen Verfassungen Lateinamerikas verankert sind -- fast immer stehen Regierungen und Gerichte auf Seiten der Wirtschaft.

Allein im brasilianischen Amazonasgebiet haben Waldläufer der Indianerbehörde Funai Hinweise auf 68 isoliert lebende Völker ausgemacht. Obwohl die Funai seit gut 20 Jahren die Linie ausgegeben hat, diese Ureinwohner zu schützen, fehlt es ihr dafür allzu oft an den nötigsten Mitteln.

Im Bundesstaat Maranhão etwa sind die Awá durch Holzfäller und Viehzüchter von der Ausrottung bedroht, seit vor gut 20 Jahren mit Mitteln der EU und der Weltbank ihr Gebiet durch eine Eisenbahnlinie für den Eisenerzexport durchschnitten wurde. An den Folgen dieses Zivilisationsschocks starben damals zwei Drittel der Awá. »Wir leben in den Tiefen des Waldes, aber wir sind immer auf der Flucht«, berichtet To'o, ein Angehöriger dieses Nomadenvolkes, das nur noch 300 Mitglieder zählt. »Ohne den Wald sind wir nichts, da können wir nicht überleben«.

Ähnlich sieht es am Rio Pardo im Norden des Bundesstaats Mato Grosso aus. An dem Fluss in dem abgelegenen Landstrich, wo das Faustrecht herrscht, wurden Fußspuren, verlassene Hütten, Pfeile, Körbe und Hängematten gefunden. Wahrscheinlich haben sie rund 50 Angehörige des Kawahiva-Volkes hinterlassen, vermuten die Experten der Hilfsorganisation Survival International.

Einen Hoffnungsschimmer stellt neben der Hilfe solcher Organisationen der Widerstand der Ureinwohner selbst dar. An diesem Wochenende trafen sich im peruanischen Puno am Titicacasee 7000 Indígenas aus ganz Amerika zum vierten kontinentalen Gipfeltreffen: »Der Krise der kapitalistischen Zivilisation stellen wir unsere Konzepte des guten Lebens und des Mehrvölkerstaates entgegen«, erklärte Miguel Palacín, einer der Gastgeber.

* Aus: Neues Deutschland, 8. Juni 2009


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