EU-Lateinamerika-Gipfel in Lima: Erklärung ohne verbindliche Ziele
Alternativgipfel stiehlt Präsidenten der EU und Lateinamerikas die Show
Von Andreas Behn, Lima *
Wie nicht anders erwartet, ging das 5. Gipfeltreffen der Regierungschefs aus Lateinamerika, der
Karibik und der EU am Sonnabend (17. Mai) in der peruanischen Hauptstadt Lima ohne nennenswerte Ergebnisse zu Ende.
Nicht einmal Venezuelas Präsident Hugo Chávez, bekannt für sein oft provokatives Auftreten, tat
den gelangweilten 1500 Journalisten vor Ort den Gefallen, für Schlagzeilen zu sorgen. Lediglich das
Geplänkel mit Bundeskanzlerin Angela Merkel gab einiges an Gesprächsstoff her. Chávez
entschuldigte sich für seine Äußerungen im Vorfeld des Treffens und sorgte für Rätselraten mit einer
Bemerkung über eine Einladung nach Deutschland.
Mehr und bessere Stimmung prägte den Alternativgipfel »Enlazando Alternativas – Alternativen
verknüpfen«, der seit dem 13. Mai weit über tausend Aktivisten aus beiden Kontinenten ebenfalls in
Lima versammelte. Die Versuche von Perus Regierung unter Alan García, das Treffen zu
kriminalisieren und totzuschweigen, misslangen. Am Freitagabend versammelten sich Tausende auf
dem Platz des 2. Mai, wo in Anwesenheit des bolivianischen Präsidenten Evo Morales die
Abschlusserklärung verlesen wurde. Im Zentrum standen die Ablehnung von Agrartreibstoff, der
Versuch Europas, neue Freihandelsabkommen auf den Weg zu bringen, und die Verletzung von
Umwelt- und Menschenrechten durch transnationale Konzerne.
Dies war auch Thema eines Tribunals, das während der Alternativveranstaltung tagte. Am Freitag
erging ein Urteil über die Machenschaften von über 20 europäischen Firmen, die in Lateinamerika
und der Karibik den Unmut von Gewerkschaften, Umweltorganisationen und Indígenas auf sich
gezogen haben. Für den Sprecher der Veranstalter, Miguel Palicín, war Enlazando Alternativas ein
Erfolg: »Wenn García inzwischen fordert, der Präsidentengipfel solle handfeste Ergebnisse aufs
Papier bringen, ist dies auch auf den Druck des Sozialgipfels zurückzuführen.«
Insbesondere bezüglich der beiden Hauptthemen des offiziellen Gipfels wollten sich die
versammelten Präsidenten nicht festlegen. Sowohl in Sachen Armutsbekämpfung als auch bei
Maßnahmen gegen den Klimawandel blieb es bei Zielformulierungen, die durch keine konkreten
oder messbare Maßnahmen in eine politische Praxis übersetzt werden.
Der Themenkomplex bilaterale Assoziierungs- und Freihandelsabkommen hingegen sorgte schon zu
Beginn des Treffens für Aufregung. Boliviens Präsident Morales kritisierte auf seiner ersten
Pressekonferenz, die Verhandlungsstrategie der EU würde auf eine Spaltung des Andenpaktes CAN
(Comunidad Andina) abzielen. »Es geht nicht an, dass (EU-Handelskommissar Peter) Mandelson
uns vorschreibt, dass wir entweder die Verhandlungsvorgaben der EU über einen
Freihandelsvertrag akzeptieren müssen oder von den Verhandlungen ausgeschlossen werden«,
sagte Morales. Zuvor hatten sich Perus Präsident Garcia und sein kolumbianischer Kollege Álvaro
Uribe ebenfalls für einen schnelleren Rhythmus der Verhandlungen ausgesprochen.
Bolivien und das vierte Land des Paktes, Ecuador, – Venezuela ist bereits wegen Unstimmigkeiten
über die wirtschaftspolitische Richtung ausgetreten – stehen den Gesprächen, die Privatisierungen
öffentlicher Dienste ebenso einschließen wie umfassende Handelserleichterungen, ablehnend
gegenüber und beharren darauf, dass der Andenpakt nur als Ganzes in die Verhandlungen eintreten
sollte – wenn überhaupt.
Generell entstand der Eindruck, dass beim Gipfeltreffen nicht die bilateralen Beziehungen beider
Kontinente im Mittelpunkt standen. Vielmehr waren es die politischen Beziehungen innerhalb
Lateinamerikas und das Tauziehen zwischen rechten, linken und Mitte-Links-Regierungen, die die
Gespräche wie auch die Berichterstattung in Lateinamerika dominierten. Dabei erregte lediglich der
unvermeidliche Konflikt zwischen Chávez und Uribe die Gemüter. Nicht verwunderlich, hatte doch
pünktlich am Tag vor dem Gipfel Interpol die These der Regierung Kolumbiens untermauert, dass
Venezuela Verbindungen zu den kolumbianischen Guerillas der FARC unterhalte. Chávez
bezeichnete das Vorgehen als »Clown-Theater« und seinen Widerpart unumwunden als »das
größte Problem der Region«.
Im Gegensatz zu den Lateinamerikanern, die fast alle mit hochkarätigen Delegationen präsent
waren, reiste aus Europa nur gut die Hälfte der 27 Staatschefs nach Peru. Es ist zu spüren, dass die
europäischen Regierungen solchen Mammuttreffen fernab der heimischen und der asiatischen
Märkte weniger Bedeutung beimessen als diejenigen in Lateinamerika und der Karibik.
* Aus: Neues Deutschland, 19. Mai 2008
Zweimal Lima
EU-Lateinamerika-Gipfel ohne greifbare Ergebnisse. Erfolgreiches Basistreffen
Von Harald Neuber **
Nach dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs Lateinamerikas, der Karibik und Europas sprechen die Zahlen für sich. Im Nationalmuseum in der peruanischen Hauptstadt Lima kamen am Freitag gut 50 Staats- und Regierungschefs aus den drei Regionen zusammen. Einige Kilometer weiter nördlich trafen sich derweil in der Universität für Ingenieurswissenschaften 7000 Vertreter sozialer Organisationen. An der Kundgebung ihres alternativen »Gipfels der Völker« nahmen nach Angaben der deutschen Bundestagsabgeordneten der Linkspartei, Sevim Dagdelen, sogar 20000 Menschen teil.
Während der fünfte EU-Lateinamerika-Karibik-Gipfel ohne greifbare Ergebnisse zu Ende ging, trennten sich die sozialen Organisationen mit konkreten Zielen: Eine »andere Integrationspolitik ist möglich«, hieß es in der Abschlußerklärung des Basistreffens, das zum dritten Mal parallel zum Staatsgipfel ausgerichtet wurde. Die angestrebte Integration müsse neuen Prinzipien folgen, hieß es, darunter »das Selbstbestimmungsrecht der Völker, die Achtung vor der Natur und vor den Menschenrechten«. Das Dokument weist explizit hin auf die »Regierungen, die Abstand vom Neoliberalismus nehmen« und gleichwertige Beziehungen zu allen Staaten der Erde suchen.
»Vor allem die große Beteiligung von Jugendlichen und Indigenen war auffällig«, sagte im jW-Gespräch Kerstin Sack, Mitglied im Koordinierungsrat vom ATTAC-Netzwerk Deutschland. Während das Alternativtreffen andauernden Diffamierungen von der staatsnahen Presse in Peru ausgesetzt war, hätte sich der offizielle Gipfel den sozialen Diskurs der Basis angeeignet, so Sack weiter: »Eine Änderung ihrer Politik bedeutet das aber nicht«. Auf diesen Widerspruch wurde auch in der Abschlußerklärung des Alternativgipfels hingewiesen: »Während die Regierungen in Lima von sozialem Zusammenhalt, Klimawandel und Armutsbekämpfung reden, muß daran erinnert werden, daß das Primat des Marktes der Hauptgrund für Ungleichheit, soziale Polarisierung, Umweltzerstörung und Diskriminierung ist.«
Auf dem offiziellen Treffen hatte sich diese Erkenntnis nicht durchgesetzt. Zwar reichten sich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der venezolanische Präsident Hugo Chávez nach Auseinandersetzungen im Vorfeld die Hand. Doch letztlich ging die Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs mit einer weitgehend nichtssagenden Deklaration zu Ende. Auch die von der EU forcierten Gespräche über Freihandelsabkommen mit dem südamerikanischen Wirtschaftsverbund Mercosur (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay, Venezuela), der Andengemeinschaft (Bolivien, Kolumbien, Ecuador und Peru) sowie Zentralamerika scheiterten am Marktprotektionismus Europas. Vor diesem Hintergrund wirkten die Angriffe europäischer Vertreter gegen die »marktfeindliche« Politik der neuen Linken in Lateinamerika geradezu höhnisch. Nach Angaben von Kerstin Sack reagierte Boliviens Präsident Evo Morales auf diese Vorwürfe mit einem einfachen Vorschlag: Die Handelsverträge zwischen der EU und Lateinamerika sollten doch durch Referenden legitimiert werden, dann werde sich zeigen, welche Vorschläge von der Bevölkerung getragen werden.
Sevim Dagdelen bezeichnete das offizielle Gipfeltreffen gegenüber jW als Fehlschlag, weil alle von der EU geplanten Freihandels- und Assoziierungsabkommen gescheitert seien: »Das Solidaritäts- und Antiimperialismus-Abkommen der Basis wurde dagegen besiegelt«.
* Aus: junge Welt, 19. Mai 2008
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