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Amerikas neue Sklaven

US-dominierter "Freihandel" hat im Süden des Kontinents verheerende Folgen. Ein Kongreß in Nicaragua zog Bilanz und diskutierte Gegenstrategien

Von Torge Löding (Voces Nuestras), Managua *

Die Verbrechen an Gewerkschaftern in Zentralamerika bekannt machen -- das war das zentrale Ziel eines internationalen Forums zu »Sklaverei im 21. Jahrhundert«. Die Tagung mit mehr als 200 Aktivisten fand vergangene Woche in Nicaraguas Hauptstadt Managua statt. Aufgerufen hatte die »Kampagne gegen Flexibilisierung der Arbeit«, die in ganz Mittelamerika gegen die Auswirkungen des neoliberalen Handels mobilisiert. Nach Managua waren Vertreter aus sechs Ländern und von fast 80 Organisationen gekommen.

Schwarze Listen

Besondere Beachtung fand die Situation von Frauen in den sogenannten Maquilas, Billiglohnfabriken, die mit Beginn des US-dominierten Freihandels in der gesamten Region aus dem Boden geschossen sind. Zwischen siebzig und achtzig Prozent der Belegschaft in diesen verarbeitenden Betrieben sind Frauen. »Die Unternehmer stellen sie lieber ein, weil sie weniger über ihre Rechte informiert und gefügiger sind und weil sie schon im Haushalt größere Verantwortung tragen«, sagt Maria Elena Sabillón vom Zentrum für Frauenrechte (CDM) aus der Industriemetropole San Pedro Sula in Honduras. Frauen beschwerten sich deswegen nicht so schnell über die Zustände in den Betrieben. Und die sind in Honduras katastrophal. Schuld daran sei auch die Regierung, von der soziale Rechte untergraben würden, so Sabillón. Zwei von drei Verträgen sollen nach einem neuen Beschäftigungsprogramm in dem mittelamerikanischen Land künftig für Zeitarbeitsstellen abgeschlossen werden. In einigen ärmeren Gegenden soll der ohnehin schon niedrige Durchschnittslohn zudem von sechs US-Dollar am Tag auf 4,50 Dollar abgesenkt werden. »Damit kann sich eine Beschäftigte in einer Maquila kaum noch ein Dach über dem Kopf leisten.«

Gäste aus Nicaragua, Honduras und Costa Rica berichteten auf dem Kongreß von schwarzen Listen, auf denen Unternehmer kritische oder gewerkschaftlich organisierte Mitarbeiter notieren. Wessen Name einmal erfaßt ist, der braucht sich um keine Neueinstellung mehr zu bewerben.

Tiefen Eindruck hinterließen die Berichte der Delegationen aus Guatemala und Panama über Morde in den vergangenen Monaten. »Panama erlebt einen Bauboom wie selten zuvor. Da ist transnationalen Baukonzernen wie Oderbrecht unsere kämpferische Bauarbeitergewerkschaft SUNTRACS ein Dorn im Auge«, erklärte deren Vertreter Raymundo Garcés. Die Konzerne und »die mit ihnen verbündete korrupte Regierung von Präsident Martín Torrijos« schreckten vor nichts zurück. Ende vergangenen Jahres seien in Panama die Gewerkschafter Osvaldo Lorenzo und Luiyi Argüelles ermordet worden, im Februar dann sei ein weiterer Kollege, Iromy Smith, von einem Polizisten hinterrücks erschossen worden. »Massenproteste daraufhin wurden von der Polizei blutig niedergeschlagen«, sagte Garcés. Ein Ergebnis dieser Repression sei aber auch »Wut und ein gestiegenes Klassenbewußtsein«, ergänzte Julio Cesar Camaño Adames, der sich in Panama als Rapper »El Emperador« mit politischen Texten einen Namen gemacht hat.

Profiteure

Die Besucher des Kongresses »Sklaverei im 21. Jahrhundert« beschäftigten sich aber auch mit politischen und ökonomischen Alternativen zum Neoliberalismus. Luis Barbosa, Vorsitzender des nicaraguanischen Gewerkschaftsverbandes CST-JBE, hob den Staatenbund »Bolivarische Alternative für Amerika« (ALBA), der von Venezuela und Kuba ins Leben gerufen wurde, positiv hervor. Miguel Ruiz, Generalsekretär dieser Gewerkschaft, forderte indes einen Stop der Verhandlungen mit der EU über ein Assoziierungsabkommen: »Jeder Prozeß hat Gewinner und Verlierer. Bei den jetzigen Inhalten wären nur die europäischen Großkonzerne die Profiteure«, sagte er. Die angebliche Integration der Zivilgesellschaft in den Verhandlungsprozeß bezeichnete Ruiz schlicht als »Lüge«. Gemeinsam wollen die Mitglieder der »Kampagne gegen Flexibilisierung der Arbeit« deswegen nun Proteste gegen die kommende Verhandlungsrunde zwischen EU und Zentralamerika in El Salvador organisieren.

* Aus: junge Welt, 14. April 2008

Freihandel: Falsche Versprechen

Mit Ausnahme Costa Ricas ist das von den USA dominierte Zentral­amerikanische Freihandelsabkommen (CAFTA) in ganz Lateinamerika als Instrument zur Durchsetzung neoliberaler Praktiken in Kraft. Die Folge sind Arbeitsverhältnisse, die der Sklaverei gleichen. Besonders betroffen sind Landarbeiter und Beschäftigte der sogenannten Maquilas, Zuliefererbetriebe für die US-Industrie, in denen Billiglöhne gezahlt werden.

Beispiel Guatemala: 95 Prozent der Unternehmer zahlen in diesem Land nicht den Mindestlohn von sechs US-Dollar am Tag, in einigen ländlichen Gebieten werden nur drei US-Dollar täglich gezahlt. Die Regelarbeitzeit von acht Stunden wird nicht eingehalten, Überstunden bleiben meist unbezahlt. Viele Landarbeiter werden morgens um vier Uhr mit Lastwagen abgeholt und erst um 20 Uhr nach Hause gebracht. Die langen Schichten übersteht oft nur, wer sich Drogen ins Essen mischt.

Ähnlich sieht es in Honduras aus. Rund 95 Prozent aller Maquila-Beschäftigten haben in diesem Land keinen ordentlichen Arbeitsvertrag. Jeder vierte hat kein Anrecht auf die eigentlich obligatorische Arbeitslosenversicherung. 90 Prozent aller Frauen müssen sich bei der Einstellung einem Schwangerschaftstest unterziehen. Von 82 Prozent der Beschäftigten wird verlangt, unbezahlte Überstunden zu leisten. Nur in 15 von 240 Maquilas gelang es Gewerkschaften zu gründen.

In den meisten Ländern Zentralamerikas gibt es zwar eine Arbeitsgesetzgebung, die sich an den Statuten der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) der Vereinten Nationen orientiert (mit Ausnahme von El Salvador). In der Praxis ist sie aber wertlos, weil Verstöße in den allerwenigsten Fällen geahndet werden.

Im Zusammenhang mit CAFTA wurden diese Gesetzgebung flexibilisiert: In Honduras trat 2007 eine Verordnung zur »Regionalisierung der Gehälter« in Kraft. Sie besagt, daß der Mindestlohn in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit nicht gezahlt werden muß. In Costa Rica wurde 2003 ein Gesetz gestoppt, das den Achstundentag als Regelarbeitszeit abschaffen sollte. Nun gibt es eine neue Gesetzesinitiative gleichen Inhalts.




"Nationale Regierungen gehen, die Armut bleibt"

Die Bolivarische Alternative für Amerika - ein neuer Weg, um Entwicklung zu garantieren. Ein Gespräch mit Luis Barbosa *

Auf dem Treffen in Managua »Sklaverei im 21. Jahrhundert« ging es unlängst auch um den Freihandel. Sie sehen in der »Bolivarischen Alternative für Amerika«, kurz ALBA, einen Ausweg. Warum?

Bei ALBA geht es darum, daß die Mitgliedsstaaten gleichwertig miteinander Handel treiben. Bislang haben sich diesem Bündnis Kuba, Nicaragua, Venezuela, Bolivien, Dominica und Barbados angeschlossen. Die Idee ist, daß es zwischen diesen Staaten einen fairen Austausch gibt, der nicht auf Zwang beruht. Der bestehenden Ungleichheit zwischen den Staaten der Region und der ungleichen Entwicklung soll so entgegengewirkt werden. Die ALBA beruht auf staatlichen und auf privaten Unternehmen, die sich diesen sozialen Zielen verpflichtet fühlen. Erwirtschaftete Gelder fließen über eine Entwicklungsbank in ländliche Aufbau- und Bildungsprogramme --etwa Alphabetisierungsprogramme und Universitäten -- der Mitgliedsländer. Es geht auch darum, Alternativen zur Abhängigkeit vom Erdöl zu entwickeln. Außerdem ist die Struktur demokratisch, denn Gewerkschaften und soziale Bewegungen haben eine Stimme in den Gremien.

Ist das wirklich mehr als nur der bekannte Freihandel mit einer sozialen Beigabe?

Mit Freihandel hat das nichts zu tun. Denn bei den sogenannten Freihandelsabkommen wie NAFTA oder CAFTA werden transnationale Konzerne angelockt, weil die Regierungen der Region ihnen beste Ausbeutungsbedingungen garantieren. Die Konzerne rauben unseren Reichtum und eignen sich unsere Arbeitskraft zu Spottlöhnen an. Sie hinterlassen später nicht mehr als Krankheiten, Armut und ausgeblutete Länder.

Die ALBA wird auch im Zusammenhang mit einem Sozialismus des 21. Jahrhunderts diskutiert. Sie sagen aber, daß auch dieses Bündnis auf Mischwirtschaft und nicht auf einer neuen sozialistischen Ökonomie beruht. Wie gehen die Gewerkschaften mit künftigen Klassenkonflikten um?

Im Wirtschaftsgefüge der ALBA haben auch wir Arbeitervertreter eine Mitkontrolle. Wir halten die Augen offen und schauen, wohin die Gewinne investiert werden. Sollte das in die falsche Richtung gehen, dann nutzen wir unseren Einfluß in den Gremien der ALBA, um das zu ändern. Wir sind natürlich auch darauf angewiesen, daß die Arbeiterklasse und die sozialen Bewegungen wachsam bleiben. Aber wir sehen in diesem Ansatz eine große Chance, unsere Belange auf einer höheren Ebene jenseits der Nationalstaatlichkeit durchzusetzen. Die nationalen Regierungen gehen, aber die Armut bleibt -- das ist bisher unsere bittere Erfahrung. Die ALBA ist anders.

Nicaragua ist nicht nur ALBA-Mitgliedsstaat, es gehört zugleich auch dem neoliberalen Zentralamerikanischen Freihandelsabkommen (CAFTA) an, das von den USA dominiert wird. Wie paßt das zusammen?

CAFTA wurde unserem Land von der US-Regierung zu einer Zeit aufgezwungen, als in Nicaragua Präsident Enrique Bolaños an der Macht war, eine Marionette Washingtons. Die neue sandinistische Regierung von Daniel Ortega hat klar gesagt, daß sie mit so vielen Ländern wie möglich Handel treiben möchte. Voller Überzeugung ist sie ALBA beigetreten und prüft jetzt ein mögliches Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union. Unser Land muß dem Handel gegenüber offen sein. Aber das darf nicht bedeuten, daß wir unsere Ressourcen ausbeuten lassen.

Interview: Torge Löding, (Voces Nuestras), Managua

* Luis Barbosa ist Vorsitzender des sandinistischen Gewerkschaftsdachverbands "José Benito Escobar" (CST-JBE) in Nicaragua

* Aus: junge Welt, 14. April 2008



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