Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Internationales Forum "Die Sklaverei im 21. Jahrhundert": Freihandel bedroht Arbeiterrechte

Zentralamerikanische Aktivisten wollen neoliberaler Offensive Einhalt gebieten

Von Torge Löding, San José *

Rund 200 Aktive aus Gewerkschaften, Kleinbauernvereinigungen, Frauengruppen und Nichtregierungsorganisationen aus sechs Staaten Zentralamerikas treffen sich am Donnerstag und Freitag in Nicaraguas Hauptstadt Managua, um unter dem Motto »Die Sklaverei im 21. Jahrhundert« über ihre regionale Kampagne gegen die Flexibilisierung der Arbeitswelt zu diskutieren.

Der neoliberalen Offensive Einhalt gebieten: Der Anspruch ist nicht eben bescheiden, den sich die Organisatoren des Kongresses »Die Sklaverei im 21. Jahrhundert« gesetzt haben. Die costaricanische Organisation für Arbeitsrechte ASEPROLA (Asociación Servicios de Promoción Laboral) hatte vor rund fünf Jahren die Idee für die Kampagne entwickelt. »Wir suchten eine Antwort auf den ideologischen Durchmarsch der Neoliberalen, die den sogenannten Freihandel befürworten und sich die Beseitigung der Arbeitnehmerrechte zur Aufgabe gemacht haben«, erklärte ASEPROLA-Vorsitzender Omar Salazar.

Mehr als 70 Organisationen aus der ganzen Region nehmen heute an der Kampagne teil, dabei kommen viele zusammen, die bisher wenig Berührung miteinander hatten. Traditionell männlich dominierte Gewerkschaften mit feministischen Frauengruppen beispielsweise. »Unsere Arbeit fällt auf fruchtbaren Boden, wir haben sichtbare Erfolge erzielt. So haben wir bereits 2003 in Costa Rica ein Gesetz verhindert, das den Achtstundentag als Regelarbeitstag abschaffen sollte«, sagte Salazar.

Trotz solcher Erfolge ist die Liste der unhaltbaren Zustände in Zentralamerika lang, die oftmals frühkapitalistischen Verhältnissen oder gar der Sklaverei gleichen. Die Bürgerkriege in der Region sind längst beendet, und die Staaten haben sich in Demokratien verwandelt, die mit Ausnahme von El Salvador auch die Statuten der Internationalen Arbeitsorganisation anerkennen. Aber oftmals existieren diese Rechte im Jahr 2008 nur noch auf dem Papier.

In Panama zum Beispiel begann das Jahr mit polizeilicher Unterdrückung von Bauarbeiter-Demonstrationen und der Ermordung führender Mitglieder ihrer Gewerkschaft SUNTRACS. Diese gilt als die stärkste des Landes und organisierte zahlreiche Aktionen gegen die oft halsbrecherischen Arbeitsbedingungen.

Um Leib und Leben fürchten müssen Gewerkschaftsaktivisten auch in Guatemala. Auf dem Forum in Managua werden Kollegen von der Bananenarbeiter-Gewerkschaft SITRABANSUR von ihren Erfahrungen berichten. Am 15. Juli 2007 hatten 24 Plantagenarbeiter diese unabhängige Gewerkschaft gegründet und wurden deshalb Opfer einer brutalen Hexenjagd. Wie üblich hatten die Gründer eine Liste ihrer Mitglieder beim Arbeitsministerium eingereicht und waren entsetzt, als eben diese Liste wenig später in ihren Gemeinden weiter verteilt wurde mit der Aufforderung, diese Personen zu vertreiben.

»Verantwortlich ist der Plantagenbesitzer Fernando Bolaños, der als Gewerkschaftsfeind bekannt ist. Er versuchte, die meisten der Mitglieder gesetzeswidrig zu entlassen, und macht offenbar auch vor anderen Methoden nicht halt«, so ein Sprecher des guatemaltekischen Gewerkschaftsdachverbandes UNSITRAGUA. Anfang März dieses Jahres wurde SITRABANSUR-Mitgründer Miguel Angel Ramirez kaltblütig ermordet, zwei weitere Kollegen aus der Gründungsgruppe verschwanden.

Prekär sind die Beschäftigungsbedingungen oftmals auch in dem als soziales und ökologisches Musterländle geltenden Costa Rica. Zum Beispiel auf den Ananasfeldern von Guacimo. »Früher habe ich auf einer Bananenplantage gearbeitet. Das war weniger anstrengend und besser bezahlt. Als der Bananenpreis in den 90ern zu sinken begann, da hat man meine Plantage geschlossen, wie viele. Seither findet man hier in der Gegend nur noch Arbeit auf Ananasfeldern«, verrät einer der Arbeiter, der namentlich nicht genannt werden möchte.

Er hat aber noch Glück, denn als Costaricaner arbeitet er täglich »nur« zehn bis zwölf Stunden, sechs Tage die Woche. Dafür bezahlt man ihm 240 US-Dollar im Monat plus Kranken- und Sozialversicherung. Das ist zwar kaum genug, um eine Familie zu ernähren, aber die Mehrheit seiner Kollegen kommt aus dem angrenzenden Nicaragua und hat keine gültigen Papiere. Sie bekommen weniger Geld für mehr Arbeit und werden von vielen Vorarbeitern wie Tiere behandelt, kritisierte Didier Leitón, Vorstand der Plantagenarbeiter-Gewerkschaft COSIBA-CR.

Interessierte können das Forum am Donnerstag und Freitag virtuell im Internet verfolgen unter www.laboralred.net

Zahlen und Fakten: Die Folgen von NAFTA und CAFTA

Wichtige Instrumente der neoliberalen Offensive weltweit sind so genannte Freihandelsabkommen. In Mexiko trat 1994 das nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) in Kraft, dem neben Mexiko die USA und Kanada angehören.

In Zentralamerika ist innerhalb der letzten zwei Jahre mit Ausnahme von Costa Rica das Zentralamerikanische Freihandelsabkommen (CAFTA) gültig geworden, das die USA mit den zentralamerikanischen Staaten Guatemala, Nicaragua, Honduras, El Salvador und Panama wirtschaftlich zusammenbindet. Auch in Costa Rica wird es trotz einer massiven Protestbewegung voraussichtlich dieses Jahr in Kraft treten.

Die Freihandelsabkommen stellen die Rechte von Unternehmern und Investoren über jene der Beschäftigten. In vielen Ländern der Region zeigen sich schon kurze Zeit nach deren Inkrafttreten fatale Auswirkungen für Arbeitnehmer:
  • In Honduras untersuchte ASEPROLA im Jahr 2007 (ein Jahr nach CAFTA) 240 Billiglohnfabriken. Das Ergebnis:
  • Jeder vierte Beschäftigte hat sein Recht auf betriebliches Arbeitslosengeld verloren (der Staat zahlt in der Regel nichts).
  • Acht von zehn Beschäftigten werden gezwungen, unbezahlte Mehrarbeit zu leisten, wollen sie nicht den Job verlieren.
  • Nur in 15 der 240 Firmen gibt es eine Gewerkschaftsgruppe.
  • In Mexiko ist die Bilanz nach 13 Jahren NAFTA bitter:
  • 57 Prozent der seither Eingestellten haben weder Anspruch auf Weihnachtsgeld, bezahlten Urlaub oder soziale Leistungen.
  • Nur noch ein Drittel der Beschäftigten kommt überhaupt in den Genuss einer Sozialversicherung.
  • Die Produktivität in den Maquilas stieg um 76,1 Prozent, während die Lohnkosten und damit der Verdienst um 46,2 Prozent gesunken sind.
Quelle: ASEPROLA, 2007



* Aus: Neues Deutschland, 3. April 2008


Interview

"Angriff auf den Lebensstandard"

Ariane Grau: Flexibilisierung nutzt nur den Unternehmern **

ND: Worum geht es bei dem Forum in Managua?

Grau: Es ist eine Initiative der »Kampagne gegen Flexibilisierung der Arbeitswelt«. Wichtigstes Anliegen ist, ein Treffen von Vertretern der 70 Kampagnenorganisationen zu veranstalten. Dazu kommen einige weitere Organisationen aus der ganzen Welt -- besonders aus Zentralamerika. Es geht insbesondere um Informationsaustausch zwischen den Akteuren. Nach drei Jahren Kampagne ist das unser erstes regionales Treffen.

Gegen welche Flexibilisierung wendet sich die Kampagne?

»Flexibilisierung« scheint ja etwas Gutes zu sein. Deshalb setzen wir diesen Begriff in Anführungszeichen und erklären, dass von dieser Art der Flexibilisierung nur die Unternehmer profitieren. Es geht ihnen darum, im Zuge der »Flexibilisierung« Arbeitnehmerrechte abzubauen, damit sie die Arbeiterklasse besser nach ihren Notwendigkeiten einsetzen können, um zum Beispiel ihre Profite zu maximieren. Für die Arbeitnehmer bedeutet es natürlich alles andere als Flexibilität, wenn ihre Rechte abgebaut werden. Im Gegenteil, es ist ein Angriff auf ihren Lebensstandard. Denn was für den Unternehmer eine Einschränkung, ist für den Arbeitnehmer ein Recht.

Aber ist das Sklaverei? Wie kommen Sie auf diesen Begriff?

Der Begriff Sklaverei ist sehr plakativ, wir benutzen ihn als Warnung. Wir wählen ihn, um auf eine Situation der Illegalität hinzuweisen. Vieles, was Unternehmen in Zentralamerika gegenüber ihren Mitarbeitern praktizieren, ist genauso illegal wie Sklaverei. Wir erleben ein konservatives Roll-back hinsichtlich der Arbeitsgesetzgebung -- die große soziale Errungenschaft, für welche die Arbeiter in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stritten und die in der zweiten Hälfte in Zentralamerikas Verfassungen verankert wurde. Die Neoliberalen wollen das nun beseitigen. In vielen Bereichen fallen wir auf den Stand der Arbeitnehmerrechte zurück, die es zu Beginn des Kapitalismus gegeben hat. Und diese erinnern oft tatsächlich an Sklaverei.

Fragen: Torge Löding

** Aus: Neues Deutschland, 3. April 2008


Zurück zur Lateinamerika-Seite

Zur Globalisierungs-Seite

Zurück zur Homepage