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Das berühmteste Foto

Zum 80. Geburtstag von Ernesto Che Guevara

Von Isabella Diaz *

Oltuski: Man sollte das gesamte brachliegende Land den Bauern geben und die Latifundisten kräftig besteuern, um ihnen ihre Ländereien mit dem eigenen Geld abzukaufen. Dann würde das Land an die Bauern verkauft werden.

Che: Was für eine reaktionäre Idee! Wie sollten wir dem, der den Boden bestellt, Geld dafür abnehmen?

Oltuski: Verflucht, was willst Du denn? Willst Du es ihnen schenken? Damit sie es verkommen lassen, wie in Mexiko?

Che (schreiend, mit geschwollenen Halsadern): Scheiße, sieh mal an, was Du für einer bist!

Oltuski: Außerdem muss man die Dinge tarnen. Glaube nicht, dass die Amerikaner tatenlos zusehen werden, wenn wir alles offen tun. Wir müssen klug vorgehen.

Che (schneidend): Also Du gehörst zu denen, die glauben, wir könnten hinter dem Rücken der Amerikaner Revolution machen. Du bist ein Scheißkerl! Die Revolution muss von Anfang an ein Kampf auf Leben und Tod gegen den Imperialismus sein. Eine echte Revolution darf sich nicht tarnen.


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Dies ist ein Ausschnitt aus einem Streitgespräch zwischen Che Guevara und dem zivilen Koordinator der »Bewegung des 26. Juli«, Enrique Oltuski, das sich im September 1958 zutrug. Nein, Ernesto Guevara, geboren am 14. Juni 1928 in Rosario de la Fé, Argentinien, hat nie ein Blatt vor den Mund genommen, seine Ansichten und Überzeugungen unverblümt und teils sehr drastisch artikuliert. Das Los der Bauern lag ihm stets besonders am Herzen.

In die Wiege gelegt war ihm nicht, dass er ein Revolutionär, eine Legende und Ikone wird, auch wenn in seinen Adern irisches, spanisches und baskisches Blut floss, »eine explosive Mischung«, wie sein Biograf Christophe Loviny meint. »Ernestito«, auch »Teté« genannt, wächst wohlbehütet auf, erkältet sich aber im Alter von zwei Jahren beim Baden im eisigen Wasser eines Swimmingpools derart heftig, dass er fortan unter Asthma leidet. Der Junge spielt mit den Söhnen der Landarbeiter Cowboy und Indianer, aber auch Franquist und Republikaner, denn in Spanien tobt eine Entscheidungsschlacht gegen den Faschismus. Er entwickelt eine Leidenschaft für das Rugby-Spiel und beschließt Arzt zu werden, als er den Todeskampf seiner Großmutter miterlebt und mit erleidet. Die Universität enttäuscht ihn, er arbeitet in einer Leprastation und durchquert dann mit seinem Motorrad und Doktor Granado Südamerika. 1955 kommt es zur schicksalhaften Begegnung: In Mexiko lernt Ernesto den Chef der Exilkubaner, Fidel Castro, kennen. Der braucht einen Arzt für seine Gruppe, die den Diktator Batista stürzen will. »Seine kubanischen Freunde geben ihm den Beinamen ›Che‹, ein beliebter Ausruf der Argentinier, und ihr Erkennungszeichen in der spanisch sprechenden Welt«, informiert Loviny.

Zum 40. Todestag im Herbst vergangenen Jahres sowie zum 80. Geburtstag von Ernesto Che Guevara sind etliche Neuerscheinungen und Neuauflagen auf dem deutschen Buchmarkt. Besonders imposant ist der eindrucksvolle, großformative, voluminöse englischsprachige Fotoband »Korda. A revolutionary lens«. Hier findet sich natürlich auch das berühmteste Che-Bild. Der unter dem Pseudonym »Korda« bekannte Fotograf Alberto Diaz Gutierres – im selben Jahr übrigens wie Che geboren, nur eben in Havanna – hat dieses im März 1960 in der kubanischen Hauptstadt aufgenommen, bei einer Protestkundgebung mit Fidel, bei der auch die französischen Intellektuellen Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir anwesend waren. Fidel prangerte ein tags zuvor von der CIA verübtes Attentat im Hafen von Havanna an. »Plötzlich erscheint Che in meinem 90mm-Objektiv. Sein Gesichtsausdruck ist wild entschlossen. Zweimal drücke ich reflexartig auf den Auslöser. Eine Aufnahme im Hoch-, eine im Querformat. Für ein drittes Bild hatte ich keine Zeit. Er war schon wieder gegangen«, erinnert sich Korda, der für die neue Zeitung »Révolutión« tätig war. Das Foto wurde damals nicht veröffentlicht. Erst 1967, als die Welt rätselte, an welchem Ort der Erde sich Che Guevara aufhalte (er kämpfte gerade in Bolivien), entdeckte es der italienische Verleger Giangiacomo Feltrinelli für sich, ließ ein Plakat drucken, das schließlich Millionenauflagen erleben und um den Globus gehen wird. Der Fotograf hatte kein Honorar erhalten, war darob aber nicht verbittert.

  • Christoph Loviny: Che. Die Fotobiografie. Kunstmann, 126 S., geb., 14,90 EUR.
  • Cristina Vives/Mark Sanders: Korda. A revolutionary lens. 439 S., geb., 60 EUR.
  • Waltraud Hagen/ Peter Jacobs: Ernesto »Che« Guevara. Eine Chronik. Verlag Neues Leben. 190 S., br., 12,90 EUR.
  • Victor Casaus (Hg.): Ernesto Che Guevara. Selbstporträt. Kiepenheuer & Witsch. 312 S., br., 10 EUR.
* Aus: Neues Deutschland, 14. Juni 2008


80 Jahre Che

Ernesto Guevara, Arzt und Revolutionär, geboren 14. Juni 1928, ermordet 9. Oktober 1967.
Eine Geburtstagsbotschaft von Frei Betto **


Es ist ihnen nicht gelungen, ihn aus der Welt zu schaffen: Heute ist der Che gegenwärtiger als in den vier Dekaden seines Lebens. Der Feind unternahm alles, um ihn ins Vergessen zu stoßen: Sie zerschnitten seinen Körper und versteckten die Teile an verschiedenen Orten. Sie verbreiteten Lügen über ihn und verboten seine Bücher. Doch der Che erhebt sich wie ein Phönix aus der Asche – in Liedern, Theaterstücken, Filmen, Gedichten, Romanen, Skulpturen und wissenschaftlichen Studien. Sein Bild, das berühmte Foto von Korda, hängt in vielen Häusern.

Als sie merkten, daß sie das Symbol weder in Ketten legen, noch sein Beispiel erschießen konnten, fälschten sie seine Biographie. Zwecklos. Selbst Fußballfans tragen Banner mit seinem Gesicht. Und sie merkten auch, daß dahinter keine Marketingabteilung steckt. Es handelt sich um die spontane Geste derer, die zeigen wollen, daß die Utopie weiterlebt.

Wenn wir heute an das Vermächtnis des Che denken und seinen achtzigsten Geburtstag feiern, müssen wir die Augen auf die besorgniserregende Situation unseres Planeten richten, auf dem der Neoliberalismus herrscht. Vor allem die Jungen werden vom Individualismus und nicht vom gemeinschaftlichen Geist angezogen, dem Wettbewerb und nicht der Solidarität, dem maßlosen Ehrgeiz und nicht dem Kampf für die Abschaffung der Armut.

Man spricht soviel vom Scheitern des Sozialismus in Osteuropa und fast nie vom unvermeidlichen Scheitern des Kapitalismus bei zwei Dritteln der Menschheit, den vier Milliarden Menschen unter der Armutsgrenze.

Angst macht uns auch die Zerstörung der Umwelt. Wenn die Anführer der Welt die Warnung Fidels auf dem Gipfel von Rio 1992 gehört hätten, vielleicht wäre es nicht zu solchen Extremen gekommen: Tsunamis, Tornados, Taifune, Hurrikane, ganz zu schweigen von der globalen Erwärmung, dem Abschmelzen der Polkappen und der Verwüstung ehemalige Urwälder.

Ein Barrel Öl kostet an der Förderstelle zehn Dollar, auf dem Weltmarkt schon mehr als 120. Große landwirtschaftliche Anbauflächen sind inzwischen reserviert für die Ethanolproduktion, sie füttern die Motoren von 800 Millionen Fahrzeugen, aber nicht die 824 Millionen hungrigen Münder auf der Welt. Was ist zu tun angesichts einer Welt, in der die Finanzspekulation die Produktion von Gütern und Dienstleistungen ersetzt hat, in der die Börse als Gradmesser für das Glück der Menschen gilt?

Bolívar müßte über den demokratischen Frühling in Südamerika glücklich sein. Nach dem Zyklus der Militärdiktaturen und neoliberaler Regime wählt die Bevölkerung jetzt Regierungen, die die ALCA (Freihandelszone unter US-Führung) ablehnen, die ALBA (Alternative Wirtschaftsgemeinschaft) gutheißen, den MERCOSUR (Gemeinsamer Markt Südamerikas) stärken, die gegen den Einmarsch in den Irak und das US-Embargo gegen Kuba sind.

Wie können wir die achtzig Jahre Che am besten erinnern? Ich glaube, das beste Geschenk wäre es, eine neue Generation zu sehen, die für eine andere Welt kämpft, in der die Solidarität eine Gewohnheit und keine Tugend ist, Gerechtigkeit eine ethische Forderung und Sozialismus der politische Name der Liebe.

Errichten wir eine Welt ohne Umweltzerstörung, Hunger und soziale Ungleichheit – und dies am Vorabend des fünfzigsten Geburtstags der kubanischen Revolution, die wir nicht als vergangenes Ereignis, sondern als Projekt der Zukunft sehen müssen.

Übersetzung aus dem Spanischen: Timo Berger

** Frei Betto ist brasilianischer Befreiungstheologe und politischer Aktivist. Wegen Widerstands gegen die Militärdiktatur in Brasilien war er ab 1969 vier Jahre inhaftiert. Als Autor wurde Betto international bekannt durch sein in den 1980er Jahren erschienenes Buch »Nachtgespräche mit Fidel«.


Aus: junge Welt, 14. Juni 2008


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