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Andengemeinschaft gespalten

Mögliches Freihandelsabkommen mit der EU sorgt für Zündstoff

Von Benjamin Beutler, Cochabamba *

Die Andengemeinschaft (CAN) will gemeinsam mit der EU über ein Handelsabkommen verhandeln, so das Fazit des 17. Treffens des Präsidentenrates im bolivianischen Tarija. Doch dieser Konsens übertüncht nur den Dissens über die unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Vorstellungen.

Venezuelas Präsident Hugo Chávez hatte sie vor einem Jahr totgesagt: die Andengemeinschaft. Doch so weit ist es noch nicht. Mit den Staatschefs Evo Morales (Bolivien), Michelle Bachelet (Chile), Rafael Correa (Ecuador), Álvaro Uribe (Kolumbien) und Alan García (Peru) war das Treffen im bolivianischen Taraija letzte Woche unerwartet hochkarätig besetzt. Dabei wäre die Zusammenkunft fast geplatzt, nachdem Kolumbien und Peru eigenmächtig Freihandelsverhandlungen mit der Europäischen Union anvisiert hatten.

Einen Erfolg hatte der Gipfel zu verbuchen: Chile kehrte nach einer Abwesenheit von 30 Jahren wieder in die Organisation zurück, allerdings nur als assoziiertes Mitglied. Unter Diktator Augusto Pinochet war das Land 1976 aus der 1969 gegründeten CAN ausgetreten, die nach dem Gemeinsamen Markt des Südens (Mercosur) das zweitgrößte regionale Wirtschaftsbündnis Südamerikas darstellt.

»Wie stark muss ein Bündnis sein, wenn ein Land nach 30 Jahren nun doch wieder eintreten will?«, lobte der ecuadorianische CAN-Generalsekretär Freddy Ehlers die »historische« Rückkehrentscheidung Chiles. Venezuela hingegen hatte die CAN letztes Jahr verlassen, nachdem dessen Mitglieder Kolumbien und Peru ohne Abstimmung Freihandelsverträge mit den USA abgeschlossen hatten. Um das künftig zu unterbinden, wurde auf dem Treffen von Tarija die Resolution 667 verabschiedet. Sie verpflichtet die vier Vollmitglieder, die untereinander und im Vergleich zur EU bestehenden Ungleichheiten der wirtschaftlichen Entwicklung zu respektieren. Dies erlaubt nun Verhandlungen, welche die strukturellen Unterschiede und die verschiedenen Ziele der Blöcke Bolivien-Ecuador und Peru-Kolumbien anerkennt, ohne die Einheit der CAN in Frage zu stellen.

»Die Freiheit der Länder, ihrer jeweiligen Realität nach angemessen zu verhandeln«, sei somit gewährt, erklärt Ehlers. Der bolivianische Außenminister David Choquehuanca lobte die durch die Entscheidung hergestellte »Einigkeit durch die Verschiedenheit«.

Doch die grundsätzliche Verschiedenheit der Mitgliedstaaten und ihrer Politik ist schwer unter einen Hut zu kriegen. So lehnen Bolivien und Ecuador im Gegensatz zu Peru und Kolumbien das geplante Handelsabkommen mit der EU ab, wenn es wie vorgesehen die Privatisierung von öffentlichen Gütern wie Wasser sowie den Schutz geistigen Eigentums in Bezug auf Patentierung von Medikamenten oder Gencodes von Saatgut und Zuchtrassen beinhalten sollte.

»Wir können nicht erlauben, dass das Leben zu einer Ware und dass es privatisiert wird. Wir müssen unsere Biodiversität verteidigen«, so der bolivianische Gastgeber Morales. Auch die Wirtschaftsdaten zeigen die Zweiteilung der CAN. Die Exporte Kolumbiens in die EU beliefen sich 2006 auf 3,5 Milliarden, die von Peru auf 3,4 Milliarden US-Dollar.

Ecuador hingegen exportierte Waren im Wert von 1,5 Milliarden, Bolivien kam lediglich auf 153 000 US-Dollar. Während Peru und Kolumbien eine neoliberale Linie der Marktöffnung und Deregulierung fahren, haben Bolivien und Ecuador eine marktkritische Haltung eingenommen, welche die Wirtschaft im Dienste des Menschen sieht.

Der ecuadorianische Präsident Correa fragt nach der eigentlichen Stoßrichtung von Entwicklung: »Wohin wollen wir überhaupt gelangen?« Jahrelang seien die andinen Völker einem »Bombardement des Neoliberalismus« ausgesetzt gewesen, was sein Land an den Rand eines Bürgerkrieges geführt habe.

Im Bürgerkriegsland Kolumbien hingegen, argumentiert sein Amtskollege Uribe, seien vor allem Auslandsinvestitionen von Nöten: »Wir wollen uns nicht isolieren.« Sein Land übernimmt die Präsidentschaft der CAN für ein Jahr. Die Verhandlungen mit der Europäischen Union werden dabei sicher für weiteren Zündstoff sorgen.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Juni 2007


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