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Das Erbe des "geheimen Kriegs"

Laos ist das am meisten durch Streubomben gepeinigte Land der Welt

Von Lee Yu Kyung, Vientiane *

Im Dezember 2008 wurde in Oslo der internationale Vertrag zur Ächtung von Streubomben unterzeichnet. Laos gehörte zu den Staaten, die besonders an einem solchen Vertrag interessiert waren, denn kein anderes Land leidet so an Streubomben und Blindgängern wie der südostasiatische Binnenstaat. Die USA, die Laos während eines neunjährigen »geheimen Krieges« nahezu flächendeckend bombardiert hatten, traten dem Vertrag nicht bei.

Der sechsjährige Ya Vue entstammt dem Volk der Hmong. Er lebt in Naughy, einem Dorf in der nordlaotischen Provinz Xieng Khouang. Seinen rechten Arm zeigt er mir bereitwillig: Eine große Brandnarbe unterhalb des Ellenbogens zeichnet ihn. Seine rechte Hand aber verbirgt Ya Vue, denn er schämt sich, weil er einen Finger verloren hat. Geschehen ist dies, als eine Streubombe explodierte, ein »Bömbchen«, wie es die Einheimischen nennen.

Yer Que, ein Freund Ya Vues, ist sieben Jahre alt. Er zieht sein rechtes Bein nach, auch das ist die Folge jener Streubombenexplosion. Der Zustand des Beines hat sich verschlechtert, seit er vor kurzem versucht hat, wieder einmal Fußball zu spielen. Das gehe nicht mehr so wie früher, sagt der Siebenjährige traurig. Auch weil er Spielkameraden verloren habe.

Tödliches Spiel am Fischteich

Das Unglück ereignete sich am 3. August vergangenen Jahres. Die beiden Jungen spielten mit drei Freunden an einem Fischteich in der Umgebung von Naughy. Den Kindern war der Ort vertraut, es war ihr täglicher Spielplatz. Aber dieser Tag änderte alles.

Die fünf Jungen hatten ein »Bömbchen« in der Nähe des Fischteichs entdeckt. Es war eine BLU-26, die in Laos am weitesten verbreitete Streubombe. Eine CBU (Cluster Bomb Unit) des Typs BLU-26 enthält genau 670 Einzelbomben, von denen jede zwischen 200 und 300 rasiermesserscharfe Eisensplitter freisetzt. Wenn die Bombe explodiert, fliegen diese Splitter Hunderte von Metern weit . So kann eine einzige dieser »Streubomben-Einheiten« Tod und Verderben über eine Fläche von drei Fußballfeldern verbreiten.

»Wir wissen alle, dass es gefährlich ist, sie zu berühren. Aber einem Freund, der es doch tat, passierte nichts. Also dachten wir, das wäre in Ordnung«, erzählt Ya Vue. Der Freund warf das »Bömbchen« in den Fischteich, aber diesmal explodierte es. Zwei der Jungen, darunter der Werfer, starben noch an Ort und Stelle, die drei anderen wurden verwundet. »Wir hatten alle blutige Gesichter. Meine Freunde fielen, aber ich wusste nicht, dass sie tot waren. Erst später hat es mir jemand erzählt«, erinnert sich der Sechsjährige traurig.

Unfälle wie dieser sind durchaus typisch. Einheimische benutzen die Streubomben nicht selten, um Fische zu fangen. Und dann erwischt es sie selbst. Von etwa 300 Todesfällen im Jahr wird berichtet, weiß Jo Pereira, Koordinator eines Projekts namens COPE, das Opfern von Streubomben und Minen hilft. »Aber genaue Zahlen haben wir nicht, da viele Unfälle in abgelegenen Gebieten passieren, über die selten berichtet wird.«

Jo Pereira findet es unerträglich, dass noch heute - 35 Jahre nach dem Ende des Krieges - Menschen von Streubomben getötet werden. Was die Zahlen der Clusterbomben-Abwürfe über seinem Gebiet und deren Opfer betrifft, kann sich kein Staat mit Laos vergleichen: Zwischen 1964 und 1973 wurde im »geheimen Krieg« der CIA gegen das neutrale Laos alle acht Minuten eine Bombe abgeworfen. 270 Millionen Streubomben gehörten zu der Bombenlast von insgesamt zwei Millionen Tonnen, die aus der Luft auf Wälder und Felder hagelte. Wobei der Anteil der Blindgänger bei 30 Prozent lag. So hinterließ der Krieg 80 Millionen »Bömbchen«. 15 der 17 laotischen Provinzen wurden offiziell als von Blindgängern verseucht anerkannt.

»Wir glauben, dass faktisch alle Provinzen kontaminiert sind, denn die Provinz Sayaboury haben wir nie erforscht, und die Provinzen ganz im Norden, Phong Saly etwa, wurden nur sehr grob untersucht. Wir haben einfach keine Informationen über diese Gebiete«, gibt Wanthong Khamdala zu, der stellvertretende Programmdirektor von UXO Lao, der Behörde für die Beseitigung von Blindgängern.

80 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche ist demnach durch Blindgänger gefährdet - in einem Land, das von seiner Landwirtschaft lebt. Die Provinz Xieng Khouang, Hochburg der früheren Widerstandsbewegung Pathet Lao, ist besonders betroffen. Ebenso die Provinz Savannakhet, durch die während des Vietnamkriegs der Ho-Chi-Minh-Pfad verlief.

Erst Mitte der 90er Jahre nahmen einige ausländische Organisationen und die laotische Regierung eine Räumungsoperation in Angriff, die mit internationalen Geldern finanziert wurde. Binnen 14 Jahren wurden schätzungsweise 0,5 bis 0,9 Prozent der betroffenen Gebiete von nicht explodierten Streubomben befreit. Beim derzeitigen Tempo der Räumung würde es noch Jahrhunderte brauchen, alle Bomben zu beseitigen.

»Wir haben schon zu viel gelitten«

An einem milden, kühlen Tag schließe ich mich einem Suchtrupp von UXO Laos in der Provinz Xieng Khouang an. Finanziert und unterstützt wird das Team vom japanischen Minensuchdienst JMAS. Manophet Mouidouangdy, Verwaltungssekretär von JMAS, erklärt das Vorgehen: »Wenn Einheimische immer wieder Bomben auf ihren Feldern finden, wenden sie sich an uns. Und wir beseitigen die Sprengkörper dann, wie hier auf den Kartoffelfeldern in der Nähe einer Schule.« In wenigen Wochen hat das Team bereits 240 »unbekannte Explosivkörper« beseitigt. An diesem Tag sind es sechs. »Die meisten davon sind Streubomben«, erklärt der Chef des Trupps.

Die Arbeit ist zeitaufwendig und gefährlich. Zunächst müssen die Blindgänger mit äußerster Vorsicht aufgespürt werden, die Fundstellen werden markiert, bevor TNT-Ladungen an den »Bömbchen« angebracht werden. Dorfbewohner und Schulkinder wurden vorher gewarnt. Wenn sicher ist, dass sich niemand mehr in der Nähe aufhält, werden die Ladungen aus sicherer Entfernung gezündet. Ein Donnerknall verrät, dass wieder sechs »Bömbchen« vernichtet sind.

Aber wer weiß, ob es nicht noch mehr davon gibt? Mit Hilfe des besten Detektors, eines deutschen Geräts, kann man Blindgänger aufspüren, die 10 Zentimeter tief im Erdreich liegen. Größere Bomben lassen sich damit auch noch in zwei Metern Tiefe finden. »Die meisten 'Bömbchen' liegen zwar knapp unter der Oberfläche, aber manche sind tiefer in den Boden eingedrungen, erklärt ein Mitarbeiter, der seit sieben Jahren Bomben aufspürt.

Bunmy Bizzar, ein 28-Jähriger, stammt aus Muong Khuon, der einstigen Hauptstadt der Provinz Xieng Khouang. Die Stadt wurde im Krieg derart zerstört, dass sie als Provinzzentrum nicht mehr dienen kann. Bunmy wollte einen Fischteich graben, als er einen Meter unter der Erdoberfläche auf einen Blindgänger stieß. Seither fehlt ihm ein Arm. Jetzt hilft er als Freiwilliger anderen Opfern und hat nur eine Bitte an die Staaten, die den Vertrag über die Ächtung der Streubomben nicht unterzeichnet haben: »Bitte produziert und benutzt keine Streubomben. Wir haben schon zu viel gelitten.«

Neun Jahre währte der »geheime Krieg« der USA in Laos. Viele der Bewohner der Provinz Xieng Khouang, auch die Widerstandskämpfer, suchten seinerzeit Schutz in Höhlen und einfachen Bunkern. Bauern, die auf den Feldern arbeiteten, riskierten täglich ihr Leben. Etliche Hmong dagegen, damals als Meo bekannt, durften sich in Sicherheit wiegen. Sie kollaborierten mit der CIA, die eine Söldnertruppe unter General Vang Pao rekrutiert hatte. Um Nahrung und Wohnung mussten sie sich keine Sorgen machen, erzählt Nia Pliachong. Die heute 64-jährige Frau lebte während des Kriegs in Long Cheng, der geheimen Stadt, die der CIA als Basis diente. »Während der Long-Cheng-Tage hatten wir alles. Wir konnten essen, besaßen Geld und ein Dach über dem Kopf, weil mein Mann Kommandeur der Hmong-Armee war, die für die USA arbeitete. Ich liebte Amerika. Jetzt hasse ich es, weil ich meinen Sohn durch ein 'Bömbchen' verloren habe. In unserer Hmong-Gemeinschaft ist man ohne Sohn ein Nichts. Ich hasse Amerika, ich hasse Streubomben ... Ich habe keinen Sohn.«

* Lee Yu Kyung ist eine freischaffende koreanische Journalistin.

Aus: Neues Deutschland, 14. Januar 2009



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