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Kuba will die Innovation

Dozent Dietmar Fischer lehrt auf Havannas Sommerschule Unternehmensgründung *


Dietmar Fischer ist Volkswirt und lehrt Entrepreneurship & Social Media an der privaten, staatlich anerkannten SRH-Hochschule in Berlin und seit 2011 regelmäßig als Gastdozent Unternehmensgründung an der Sommerschule in Havanna. SRH steht für Stiftung Rehabilitation Heidelberg. Zusammen mit Matthias Karkuschke betreibt er die Webseite kubanews.de. Über seine Erfahrungen im Wissenschaftsbereich in Kuba und darüber hinaus sprach mit ihm für »nd« Andreas Knobloch.


Wie sind Sie als Wirtschaftswissenschaftler nach Kuba gekommen?

Das war im Grunde ein Zufall. Freunde von mir organisieren seit Jahren die Sommerschule in Havanna; ich hatte anfangs kein großes Interesse daran. In Berlin unterrichte ich Entrepreneurship (Unternehmertum), und als in Kuba plötzlich ein Bedarf da war, über neue Wege nachzudenken, speziell für die Cuentapropistas ...

… die Arbeiter auf eigene Rechnung, wie privatwirtschaftliche Kleinunternehmer in Kuba genannt werden …

wurde ich im September 2011 gefragt, ob ich nicht Entrepreneurship unterrichten will, denn es gab nur wenig Wissen über den Gründungsprozess von Unternehmen. Ich konnte nicht Nein sagen, und seitdem unterrichte ich regelmäßig jedes Jahr auf der Sommerschule, in diesem Jahr bin ich sogar zweieinhalb Monate mit diversen Projekten über die Humboldt-Universität hier beschäftigt.

Können Sie kurz schildern, wie die Sommerschule entstanden ist und etwas zur Entwicklung sagen?

2002 gab es einen Projektaufruf des DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst) für Projekte mit lateinamerikanischen Ländern, und es gab eine alte Verbindung der Humboldt-Universität zur Universidad de La Habana – aus Zeiten der DDR. Die Sommerschule baut auf dieser Verbindung auf. Zu der Zeit der DAAD-Ausschreibung war der kubanische Vizeminister für Finanzen gerade an der Humboldt-Uni und hat vorgeschlagen, man könnte doch etwas gemeinsam machen. Da er an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät seinen Doktor gemacht hatte, fragte er dort an, wer Interesse daran hat – und das war Professor Bengt-Arne Wickström, der sehr international eingestellt ist und dafür offen war. Der nahm das Projekt unter seine Fittiche, und Jan Hansen, sein wissenschaftlicher Mitarbeiter, baute dann die Sommerschule mit ihm auf. Damals war das Projekt noch sehr klein. Es nahmen nur einige kubanische Studenten teil, doch das Projekt ist in den vergangenen zwölf Jahren gewachsen, auf heute über 300 kubanische Studenten von der Wirtschaftsfakultät der Uni Havanna. Auch rund 30 deutsche Studenten nehmen daran teil sowie einige aus anderen europäischen Staaten, zum Beispiel Dänemark. Die Kurse werden von deutschen Professoren gehalten und können von den Studenten sowohl an kubanischen als auch deutschen Unis angerechnet werden.

Da die Kurse gemeinsam besucht werden, kommt wirklich ein Kontakt zwischen deutschen und kubanischen Studenten zustande, der sonst nicht zustande kommen könnte. Das ist übrigens ein Hauptargument für die Studenten, an der Sommerschule teilzunehmen, denn sonst kommt man als Ausländer in Kuba schlecht mit Einheimischen in Kontakt, die nicht im Tourismus arbeiten. Dafür ist das Projekt eine gute Gelegenheit – natürlich neben der Möglichkeit, Unikurse zu belegen.

Funktioniert das Projekt auch andersherum, sprich: gibt es für Kubaner eine Sommerschule in Deutschland?

Nein. Das ist zum großen Teil eine finanzielle Frage. Die Kubaner können die Reisekosten im Allgemeinen nicht finanzieren; es gibt zwar Mittel, zum Beispiel vom DAAD oder direkt von der Humboldt-Universität. Auf dieser Basis kommen einige kubanische Studierende und junge Forscher jedes Jahr nach Deutschland, aber die Möglichkeiten von kubanischer Seite sind deutlich geringer. Und generell ist es leichter, einen deutschen Professor nach Havanna zu bringen, der dreißig Kubaner unterrichtet als dreißig Kubaner nach Deutschland.

Und auf Professorenebene?

Doch, das passiert durchaus. Wir hatten gerade erst eine Delegation der Vizerektorin, Dra. Vilma Hidalgo de los Santos und von Forschungsabteilungsleiterinnen aus dem Bereich der Physik und der Biochemie in Deutschland. Die Delegation hat sich dort angeschaut, wie in Deutschland Innovationstransfer von der Forschung in die Wirtschaft funktioniert. Die Vizedekanin der Wirtschaftsfakultät, Yaimary Marrero Ancízar war auch in Deutschland, um für ihre Doktorarbeit zu recherchieren. Es gibt jedes Jahr drei, vier Leute, die an die Fakultät kommen, aber meistens sind das Professoren und Forscher, selten Studenten.

Um welche Inhalte geht es bei den Kursen der Sommerschule?

Angefangen hat es mit den klassischen Volkswirtschafts-Kursen und ein bisschen Betriebswirtschaft; momentan ist Letztere größer. Neuerdings geht es stark um Förderung von Innovation. Einerseits eben auf Universitätsebene – Innovationstransfer – andererseits ist der Gründungsbereich stark. Wir haben jetzt ganz neu einen Design-Thinking-Kurs im Angebot, dort lernen die Studierenden und auch einige Lehrkräfte Kreativitätsmethoden und neue Denkansätze, die zum Beispiel innovative Gründungen fördern sollen. Viele Studierende sehen die neuen Möglichkeiten, die sich in Kuba in der Wirtschaft auftun, und wollen zuerst wissen, wie das alles funktioniert. Ein paar wollen auch gründen, die Mehrheit aber will erst mal nur hineinschnuppern.

Kommt es nicht zu Widersprüchen zwischen sozialistischer Planwirtschaft und kapitalistischer Marktwirtschaft?

Interessanterweise – wenn man nur die Sommerschule betrachtete – würde einem kein Unterschied auffallen. Es gibt natürlich Unterschiede bei Erfahrungen oder Hintergründen, aber im Grunde ist es nichts, was einem ins Auge springt. Gerade wenn man sich die Entrepreneurship-Kurse anschaut, da geht es um Kleingründungen, und der Kleingründungssektor in Deutschland und Kuba weist viele Gemeinsamkeiten auf, vor allem bei der Frage: Was kann man ohne viel Kapital gründen?

Wie steht es um die Motivation der Studierenden?

Die Motivation ist bei allen Kursen konstant hoch. In Deutschland sitzen die Leute in der Vorlesung, weil sie müssen, hier kommen sie freiwillig, zusätzlich zu ihren normalen Vorlesungen. Die deutschen Professoren unterrichten dasselbe, was sie in Deutschland unterrichten, und die Kubaner nehmen das auf. Die Kubaner sind da sehr offen, man hat den Sozialismus, schaut aber auch über den Tellerrand.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 11. November 2014


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