Die Wiederbelebung von König Zucker
Kubas Wirtschaft soll im nächsten Jahr um 4,5 Prozent wachsen
Von Leo Burghardt, Havanna *
Kubas Ministerrat hat jetzt den aktuellen
Zustand der Wirtschaft und die
Ziele für 2013 analysiert. Die Zuckerproduktion
hat dabei auch künftig
große Bedeutung.
Adel Yzquierdo, Minister für Wirtschaft
und Planung, zog laut
»Granma« für das Jahr 2012 eine
durchaus positive Bilanz. Trotz der
Folgen der globalen Wirtschaftskrise,
der US-Blockade, der wachsenden
Nahrungsmittelpreise und
der Unzulänglichkeiten des kubanischen
Wirtschaftsmodells erreichte
die Karibikinsel ein
Wachstum des Bruttoinlandsproduktes
von 3,1 Prozent. All diese
Faktoren hemmen allerdings die
Entwicklung der Produktivkräfte,
sodass das geplante Wachstum von
3,4 Prozent nicht ganz erreicht
wurde.
Kuba muss im kommenden
Jahr zwei Milliarden Dollar für Lebensmittelimporte
aufbringen, 500 Millionen mehr als 2012. Ihre Bereitstellung
in ausreichender Menge sei eine Frage der nationalen
Sicherheit, hatte Präsident Raúl
Castro schon vor Jahren erklärt.
Trotz Reformen auch in der Landwirtschaft
wächst dieser Bereich
nur moderat. Die »Wiederbelebung
« greift nicht von einem Tag
zum anderen.
Erkennbarstes Beispiel ist der
Zucker, über Jahrzehnte König der
kubanischen Wirtschaft. Die Zahl
der Zuckerfabriken schrumpfte
seit 2002 von 156 um über 100.
Das sei eine richtige Entscheidung
gewesen, urteilte die in London
ansässige internationale Zuckerorganisation,
jedoch mit traumatischen
Konsequenzen. Die Zuckerpreise
auf dem Weltmarkt pendelten
ohne Aussicht auf Erholung um
die sechs Cent pro Pfund, womit
Kuba nicht einmal die Selbstkosten
decken konnte. Mit Ernteergebnissen
von über vier Millionen
Tonnen hätte Kuba die Weltmarktpreise
zum eigenen Schaden
gedrückt. Zudem waren die meisten
Fabriken uralt und unrentabel.
Jedoch: Zucker gehört noch immer
zur nationalen Identität. Er ist untrennbarer
Bestandteil der Geschichte
und der Kultur. Zigtausende
Arbeiter und Techniker
mussten unter Schwierigkeiten
umgeschult oder anderweitig beschäftigt
werden. Dass Kuba zeitweise
Zucker importieren musste,
um seinen Exportverpflichtungen
nachzukommen, war bis Ende der
1990er Jahre unvorstellbar.
2010 wurde dann die »Wiederbelebung
« eingeleitet. Doch
erst einmal gab es den bittersten
Einbruch aller Zeiten. Die Ernte
(Zafra) brachte nur wenig über eine
Million Tonnen. Der Minister
musste gehen, das Zuckerministerium
wurde zu Grabe getragen. Es
war eine notwendig Erfindung der
Revolution, um alle Zuckerfabriken
und Plantagen der Großgrundbesitzer,
die verstaatlicht worden
waren, unter einen Hut zu bringen.
Inzwischen hatte es sich überlebt,
war nicht flexibel und dynamisch.
Es entstand AZCUBA, mit eigenem
Budget bis zu einem gewissen Grad
autonom und verantwortlich für
alles, was mit Zucker und seinen
Derivaten zu tun hat. 65 Prozent
der Einkünfte können nun in Investitionen
gesteckt werden. 2014
will man 2,4 Millionen Tonnen Zucker
einfahren.
Die Bauern, überwiegend private
und Genossenschaftler, erhalten
bessere Preise für ihr Zuckerrohr,
ausreichende Bewässerung
sowie eine funktionierende
Infrastruktur. Nie zuvor erhielt der
Sektor so hohe Investitionen. Allein
für die Fabrik »Brasil« sind es
16 Millionen Peso. In Interviews
versicherten Direktoren und
Techniker diverser Fabriken, dass
die Mängel der Vergangenheit
ausgeräumt wurden: keine
schlampige Wartung der Maschinen
mehr, tägliche Kontrolle der
Kessel und Pressen, Schluss »mit
technologischen Disziplinlosigkeiten
«. Man fragt sich allerdings,
wieso erst die Ernte 2012/2013
starten musste, ehe diese
»Schwachstellen« Aufmerksamkeit
erregten.
Die Zafra begann am 21. November
in der Fabrik Jesús Rabí in
der Provinz Matanzas. Nach und
nach klinken sich bis Mitte Dezember
50 Fabriken ein, vier mehr
als 2011, elf mehr als 2010. In der
Provinz Santiago de Cuba hat der
Hurrikan »Sandy« 24 Prozent der
Zuckerrohrplantagen beschädigt.
Aber Gustavo García von der Genossenschaft
Savino Pupo meint
zuversichtlich, das Rohr, das umgelegt
bzw. gebrochen wurde, sei
nicht verloren. Wo die Maschinen
nichts ausrichten können, müssten
eben die Macheteros ran. Auch das
neue Töne. Ein weiteres Novum:
AZCUBA hat Anfang Dezember einem
Zweigunternehmen des brasilianischen
Giganten Odebrecht
für 13 Jahre vertraglich die Leitung
und Modernisierung der Zuckerfabrik
»5. September« in der Provinz
Cienfuegos übertragen.
Für Joint Ventures ist Kuba seit
1995 offen, im Hotelgewerbe wurden
nachahmenswerte Erfahrungen
gesammelt. Die Beteiligung in
der Zuckerproduktion aber war
bisher ausgeklammert. Brasilien
ist einer der wichtigsten Handelspartner
Kubas und liefert einen
großen Teil der Lebensmittel, die
Kuba importiert. Odebrecht ist zugleich
führend an Ausbau und Modernisierung
des Hafens Mariel
und seiner Umgebung 50 Kilometer
westlich von Havanna zum
ersten »wirtschaftlichen Sondergebiet
« der Insel beteiligt – bisher
mit 60 Millionen Dollar, für die die
staatliche Entwicklungsbank Brasiliens
gerade steht. 260 Millionen
trägt Kuba.
Mariel sei als »industrielle
Plattform für den Im- und Export
sowie die Herstellung von Produkten
und ihren Vertrieb im In- und
Ausland« gedacht. So wurde das
Projekt auf der Havanna-Industriemesse
im November vorgestellt.
2013 werde Kubas Wirtschaft um
4,5 Prozent wachsen, versprach
jetzt Minister Yzquierdo.
* Aus: neues deutschland, Montag, 10. Dezember 2012
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