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Havanna "aktualisiert" das Wirtschaftsmodell

Regierung verlangt mehr Effizienz / Private Kleinbetriebe zugelassen

Von Harald Neuber *

Kubas Parlament hat den Personalabbau in staatlichen Behörden und die Zulassung von Kleingewerbebetrieben bestätigt. Außenpolitisch konstatierte Staatschef Raúl Castro, dass es in den Beziehungen zu den USA keine Verbesserung gebe.

Die kubanische Nationalversammlung hat eine Reihe wirtschaftspolitischer Maßnahmen beschlossen, die zu größerer Effizienz der Binnenökonomie in dem sozialistischen Karibikstaat beitragen sollen. Bis zum ersten Quartal kommenden Jahres werde die Zahl staatlich Beschäftigter in erheblichem Ausmaß reduziert, verkündete Staats- und Regierungschef Raúl Castro in seiner Rede zum Abschluss der fünften Parlamentssitzung am Sonntagabend (1. Aug.). Kurz zuvor hatte die Nationalversammlung Regierungsplänen zugestimmt, wonach Kleinbetriebe wieder zugelassen werden. Die Gründung zweier neuer Provinzen - Mayabeque und Artemisa - trat bei diesen Inhalten fast in den Hintergrund.

Die Staatsführung reagiert damit auf anhaltende Probleme, die durch die Weltwirtschaftskrise verschärft wurden. Angesichts des hohen wirtschaftlichen Drucks müsse man Schluss machen »mit paternalistischen Denkansätzen, die von der Pflicht abhalten, für den Lebensunterhalt zu arbeiten«, sagte Castro, der eine »Senkung der Kosten durch Unproduktivität« verlangte. »Man muss ein für alle Mal mit der Vorstellung aufräumen, dass Kuba das einzige Land auf der Welt ist, in dem man leben kann, ohne zu arbeiten.« In Übereinstimmung mit Gewerkschaften und politischen Organisationen habe der Ministerrat Mitte Juli zudem vereinbart, »Arbeit auf eigene Rechnung« - also Kleinunternehmen - zuzulassen. So solle den ehemaligen Staatsbediensteten eine Alternative geboten werden, sagte Raúl Castro, der die Maßnahmen ausführlich begründete. »Niemand wird sich selbst überlassen werden«, sagte der 79-Jährige. Wirtschaftsminister Marino Murillo lehnte den Terminus Reformen ab. Es handele sich um eine »Aktualisierung des Wirtschaftsmodells«.

Keine Verbesserung sieht Kubas Staats- und Regierungschef in den Beziehungen zu den USA. Zwar habe sich der aggressive Ton Washingtons abgeschwächt »und mitunter finden auch bilaterale Konsultationen über bestimmte und begrenzte Themen statt«, sagte Castro, »Doch die US-Blockade bleibt nach wie vor bestehen und wir stehen ihr mit der gleichen Besonnenheit und Geduld wie in den vergangenen fünf Jahrzehnten gegenüber.« Die Stärke des politischen Systems in Kuba bestehe weiterhin »in der Einheit der revolutionären Führung mit der Mehrheit des Volkes«. Niemand solle sich täuschen: »Die Verteidigung unserer heiligen Errungenschaften, unserer Straßen und Plätze wird die erste Pflicht der Revolutionäre bleiben.«

In einer Erklärung verurteilte die Nationalversammlung die Behandlung des politischen Gefangenen Gerardo Hernández in einer US-Haftanstalt. Der 45-jährige Kubaner, einer der »Cuban Five«, ist seit über zehn Jahren in Haft, weil er im Auftrag Kubas gewaltbereite Exilgruppen in den USA überwacht hatte. Gegen Hernández wurden in der vergangenen Woche trotz Erkrankung verschärfte Haftbedingungen verhängt.

Erstmals äußerte sich Raúl Castro auch zur Freilassung von 53 Systemoppositionellen. »Es wird keine Straffreiheit geben für die Feinde des Vaterlandes, für diejenigen, die versuchen, unsere Unabhängigkeit zu gefährden«, sagte er. Die Regierungsgegner seien nicht wegen ihrer Ideen verurteilt worden, sondern weil sie »im Dienste der US-Regierung und ihrer Blockade- und Umsturzpolitik Verbrechen begangen haben«.

* Aus: Neues Deutschland, 3. August 2010


Krisenfantasien

Von Harald Neuber **

Wer in den vergangenen Jahren die Schlagzeilen über Kuba sah, musste an ein baldiges Ende des kubanischen Sozialismus glauben. Kuba sei »kurz vor dem Bankrott« (taz), die Wirtschaft »am Boden« (Deutsche Welle). »Nie war die Lage so dramatisch wie jetzt«, schreibt Spiegel Online. War sie nicht? Sieht es also schlimmer aus als in den 90ern? Damals hatte Kuba nach der Auflösung des RGW 85 Prozent des Außenhandelsvolumens verloren. Das Land stand über Nacht still.

Trotz des Aufschwungs seither sind Kubas Wirtschaftsprobleme nicht zu leugnen. Von der westlichen Presse werden sie jedoch stets an die Systemfrage geknüpft. » Eine Abkehr vom Sozialismus werde es aber nicht geben«, schreibt Tagesschau.de - und es klingt wie ein Vorwurf. Über Details ist wenig zu erfahren. Den Umstand etwa, dass die Schulden im zu Ende gegangenen Fiskaljahr um ein Drittel abgebaut wurden.

Kubas wirtschaftliche Effizienzprobleme, vor allem in der Landwirtschaft, sind ein regionales Problem. Doch anders als in Zentralamerika oder Haiti kam es auf der größten der Antilleninseln nicht zu Hungertoten. Statt dies zu erwähnen, benutzen internationale Medien, wenn es um Kuba gehe, »mitunter die gleichen Sätze und Einschätzungen«, sagte Raúl Castro in der Nationalversammlung. Der Staatschef sieht die Berichte über einen angeblichen Staatsbankrott jedoch gelassen: »Einen wirklichen Grund zur Sorge hätten wir, wenn sie uns loben würden.«

** Aus: Neues Deutschland, 3. August 2010 (Kommentar)


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