Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Reisefreiheit à la cubana

Das neue Gesetz kommt Kubas Bewohnern entgegen

Von Leo Burghardt, Havanna *

Seit einer Woche sind sie in Kraft: Die neuen Reisebestimmungen in Kuba. Mit der im Oktober vergangenen Jahres angekündigten Gesetzesänderung wird die Ausreise für kubanische Bürgerinnen und Bürger erheblich erleichtert.

»Das ist wirklich substanziell, das ist nichts Kosmetisches«, sagt Eduardo Corona, Ingenieur bei der Staatlichen Telefongesellschaft ETECSA. Er hatte sich unter seine Mitbürger gemischt, die vor einer der landesweit 195 Dienststellen für Pass- und Reiseformalitäten saßen und warteten, dass sie an die Reihe kommen. Nur wenig mehr Leute als normalerweise ohne die sehnlich erwarteten neuen Reisebestimmungen vor diesen Lokalen ausharren. Corona war nur gekommen, »um mal zu sehen, wie das klappt«. Er hat einen gültigen Pass, könnte also sofort losfliegen, »wenn ich das Visum für das Land hätte, wohin ich reisen möchte.« Keine »weiße Karte« mehr für die Aus- und Wiedereinreise (kostete umgerechnet etwa 160 Dollar), kein »Einladungsschreiben« mehr (200 bis 250 Dollar), unbegrenzter Aufenthalt im Ausland für 24 Monate, ohne eine Verlängerung einholen zu müssen. Bisher gestattete Kuba nur elf Monate - ab dem zweiten Monat war es erforderlich, Monat für Monat beim jeweilig zuständigen kubanischen Konsulat für den nächsten Monat eine Verlängerung einzuholen und 150 Dollar bezahlen zu müssen, also insgesamt 1500 Dollar.

Die USA machten darüber hinaus noch ihren Schnitt: Mit dem Antrag für ein Einreisevisum musste man im Konsulat der Interessenvertretung in Havanna 160 Dollar hinterlegen, welche auch dann abkassiert wurden, wenn das Visum nicht erteilt wurde. Das bleibt unverändert.

Interesse an USA-Reisen gibt es fraglos. Yosviel Mendoza (27) »zur Zeit auf der Suche nach einer Fronarbeit, da werde ich mich wohl bald dort oben mal sehen lassen«. Leandro F. (27, wollte anonym bleiben): »Die Regierung hat sich damit wohl eine Menge Unzufriedener vom Halse geschafft und die, die fortbleiben, fallen hier als Esser weg. Und die zurückkommen, bringen bestimmt Kohle mit und Produkte für die Privaten«. Der Bankangestellte Limaonta (60) erkennt »eine strategisch kluge menschliche Maßnahme, mit dem Blick in die Zukunft gerichtet«.

Nicht alle sehen das so. Die Berufsdissidentin Yoani Sánchez bemängelt in ihrem diesbezüglichen Blog »Lücken und Faktoren der Unsicherheit«. Sie ist mit ihrer Ansicht ziemlich einsam. Zumal im Vorfeld des Inkrafttretens 90 Tage nach der Veröffentlichung in der »Gaceta Oficial« eine dieser Lücken geschlossen wurde. In einer Direktive des Gesundheitsministeriums vom Anfang des Jahres heißt es: »Alle Beschäftigten des Bereichs« kommen ebenfalls in den Genuss der neuen Bestimmungen. Mit einer Einschränkung: Das Ministerium muss ihren Antrag genehmigen. Es kann doch wohl niemand, der fair zu urteilen vermag, dem kubanischen Staat verübeln, dass er das Schmuckstück seiner Revolution davor bewahren will - wenn auch nur punktuell - entblößt zu werden.

Bald nach dem Sieg der Revolution formierte sich in Washington die Troika aus CIA, traditioneller Mafia und konterrevolutionären Terroristen mit Sitz in Florida. Sie schickte sich auf breiter Front an, die Ereignisse auf Kuba rückgängig zu machen. Eine ihrer taktischen Linien tauften sie den »Dampfkesseleffekt«, das heißt Unruhe zu schüren und Mängel aller Art zu organisieren. Bis 1965 brannte die Insel an allen Ecken und Enden. Parallel dazu ging es um die Abwerbung von Spezialisten. Das Land sollte ausgeblutet werden. Innerhalb eines Jahres hatten sich 6000 Mediziner in die USA abgesetzt, ganze Landstriche blieben ohne Arzt.

1966 schon wurde vom USAKongress das so genannte Anpassungsgesetz verabschiedet. Es räumt Kubanern und nur ihnen das Recht ein, sich ohne gültiges Visum in den USA niederzulassen und einen ständigen Aufenthalt, bis hin zur US-amerikanischen Staatsbürgerschaft, zu erwerben. Egal, woher oder womit sie auf US-amerikanischen Boden gelangt sind. Voraussetzung ist allein »trockenen Fußes«. Wer beim Überqueren der Meerenge zwischen Kuba und Florida auf Booten oder schwimmend auf den letzten Metern vor dem Festland von der US-Küstenwacht aufgebracht wird (nasse Füße), wird umgehend nach Kuba repatriiert. Das war ein Köder, den zigtausende Kubaner schluckten, Tausende sind dabei ums Leben gekommen, die meisten sind ertrunken. Weltbekannt wurde 2000 das Schicksal des Balsero-Kindes Elián, das als einziges von neun Boatpeople überlebte. Er ist heute Schüler einer Kadettenanstalt.

Vom Jahr 2000 bis August 2012 sind eine Million Kubaner ins Ausland gereist. Die überwiegende Mehrheit kam wieder nach Hause.

Seit Raúl Castro 2008 sein Amt als Präsident antrat, sind unter anderem folgende Reformen in Kraft getreten: Kubanische Bürger dürfen sich in Touristenhotels einmieten, Millionen Hektar brachliegendes staatliches Land wird zum Nießbrauch an Private übergeben, freier Verkauf von Computern, Handys und elektrischen Geräten aller Art. Der Zugang für alle Bürger zum Internet wird inzwischen gestattet und die Erwerbsmöglichkeiten für Private sind stark erweitert worden. 171 000 erhielten Lizenzen für eine Selbstständigkeit, Die Arbeitsreform setzt mit Lohndifferenzierung neue Anreize, die staatliche Bürokratie wird erneut reduziert; angestrebt ist bis Ende 2013 ein Abbau von 500 000 Stellen. Auch der Kauf und Verkauf von Fahrzeugen und privatem Wohnraum ist inzwischen legal. Banken werden autorisiert, Privaten Kredite zu erteilen, vorzugsweise für landwirtschaftliche Produktion und die Instandsetzung von Wohnraum. Nach 50 Jahren Abstinenz müssen die Kubaner wieder Steuern zahlen.

Was hat Sie 2012 am tiefsten bewegt, hat »nd« am 16. Januar 30 Kubaner gefragt. An erster Stelle der Rückfall von Venezuelas Präsident Chávez, zweitens die neuen Reisegesetze, drittens der Hurrikan »Sandy«, viertens der Besuch von Papst Benedikt. Die neuen Reisegesetze, die im Oktober 2012 verkündet wurden, dürften auch 2013 bewegen, denn nun sind sie seit einer Woche in Kraft.

* Aus: neues deutschland, Montag, 21. Januar 2013


Die Sache mit den Visa

Jahrzehntelang hat Washington Havanna vorgeworfen, die Reisefreiheit einzuschränken, jetzt steht genau das als US-Forderung gegenüber Kuba im Raum

Von Volker Hermsdorf **


Am vergangenen Donnerstag wurden von einem Bundesgericht in Miami (Florida/USA) zwei Mitglieder einer Bande verurteilt, die für jeweils 10000 bis 15000 US-Dollar gefälschte kubanische Geburtsurkunden an Einwanderer aus Lateinamerika verkauft hat. In den letzten dreieinhalb Jahren hatte die Gruppe damit gut eine halbe Million Dollar eingenommen. Der aus Kuba ausgewanderte Chef der Organisation, Fidel Morejón, steht am Montag kommender Woche vor Gericht. Die Urteile entlarven die Absurdität eines US-Gesetzes, das als Instrument zur Destabilisierung der sozialistischen Karibikinsel verabschiedet wurde und jetzt seinen Schöpfern selbst auf die Füße fällt.

Nach dem im Jahr 1966 erlassenen »Cuban Adjustment Act« (CAA) erhalten »illegal« eingereiste kubanische Staatsbürger automatisch den Status von politischen Flüchtlingen. Während lateinamerikanisch Einwanderer ohne Papiere normalerweise verhaftet und abgeschoben werden, bekommen Kubaner eine Wohnung, eine Arbeitserlaubnis und nach einem Aufenthalt von einem Jahr plus einem Tag die dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung. Offiziell als »Hilfe für die Opfer einer kommunistischen Diktatur« deklariert, sollte das Gesetz tatsächlich die illegale Auswanderung aus Kuba stimulieren sowie den Exodus und letzten Endes Zusammenbruch des dortigen Gesellschaftssystems herbeiführen.

Außer dem harten Kern der terroristischen Anti-Castro-Gruppen in Miami und deren politische Vertreter in Parteien, Parlamenten und Regierungen hat sich vor allem eine Mafia von Menschenhändlern für das Gesetz stark gemacht. Schätzungen zufolge haben die Schlepperbanden mit dem illegalen Transport von Einwanderern aus Kuba jährliche Gewinne von fünf bis sechs Millionen US-Dollar kassiert. Das skrupellose Geschäft hat in den letzten Jahrzehnten Zigtausenden Menschen, die bei der Überfahrt in der rund 100 Kilometer breiten Florida-Straße ertrunken sind, das Leben gekostet. Trotzdem ist der gesetzliche Anreiz für die illegalen aber lukrativen Todesfahrten seit 47 Jahren fester Bestandteil der US-Politik gegen Kuba. US-Politiker und Journalisten, die in den letzten Jahren vorsichtig dessen Abschaffung gefordert hatten, zogen sich wütende Haßattacken der Ultrarechten in Miami zu.

Seit dem Inkrafttreten der neuen kubanischen Reiseregelungen am 14. Januar hat sich die Situation verändert. Zur Ausreise brauchen kubanische Bürger jetzt nur noch einen gültigen Paß und ein gegebenenfalls notwendiges Visum des Ziellandes. Die veränderten Bestimmungen versetzen die militanten Anti-Castro-Gruppen in Panik, und auch die Einwanderungsbehörden sehen mit einem Mal Handlungsbedarf. Denn das seit Jahrzehnten als Waffe gegen Kuba dienende Gesetz wird für die US-Politik plötzlich zum Bumerang.

Nach den neuen Regelungen können sich kubanische Staatsbürger bis zu 24 Monate und länger in den USA aufhalten ohne irgendwelche Rechte und Privilegien in ihrem Heimatland einzubüßen. Da sie in den USA nach einem Jahr und einem Tag Rechtsanspruch auf eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung haben, kann diese Gruppe künftig beliebig zwischen beiden Ländern pendeln, ohne ein Visum beantragen zu müssen. Die legale Möglichkeit, in Kuba zu wohnen und in den USA zu arbeiten, dürfte für viele Bürger der sozialistischen Insel reizvoll sein, wird angesichts zunehmender Arbeitslosigkeit vom nördlichen Nachbarn aber als Bedrohung empfunden.

Ausgerechnet diejenigen, die Kuba bisher vorgeworfen haben, die Reisefreiheit seiner Bürger einzuschränken, fordern dies jetzt selbst. Auf einer Pressekonferenz in Miami kritisierten Vertreter mehrerer Anti-Castro-Gruppen in der letzten Woche, daß Kubaner zunehmend aus wirtschaftlichen Gründen in die USA kämen und nicht mehr das System in ihrer Heimat in Frage stellten. Sie forderten deshalb, die unbefristete Aufenthaltserlaubnis nach dem »Cuban Adjustment Act« mit einem Rückreiseverbot nach Kuba zu verbinden.

Das bekannteste Sprachrohr der ultrarechten Exilkubaner, die Kongreßabgeordnete Ileana Ros-Lethinen, die das Gesetz aus dem Jahr 1966 stets mit Zähnen und Klauen verteidigt hat, fordert jetzt dessen Veränderungen. Der »Cuban Adjustment Act« soll ihrer Vorstellung nach nur noch solchen kubanischen Bürgern zugute kommen, die aktiv für einen Umsturz und den Systemwechsel in ihrer Heimat kämpfen.

* Aus: junge Welt, Montag, 21. Januar 2013


Zurück zur Kuba-Seite

Zurück zur Homepage