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Grenzen der Freiheit

Kuba: Ansturm auf Reisebüros ausgeblieben. Visabestimmungen von EU und USA schränken neue Möglichkeiten ein

Von Volker Hermsdorf *

Nach Inkrafttreten der neuen Reiseregelungen in Kuba am Montag ist der von westlichen Medien vorausgesagte Ansturm auf Paßausgabestellen, Reisebüros und Flughäfen ausgeblieben. Die britische BBC berichtete vom Flughafen José Marti in Havanna, daß das Passagieraufkommen dort »völlig normal« sei. Während der rechtsgerichtete Nuevo Herald in Miami die kubanische Systemgegnerin Yoani Sánchez zitierte, die am Montag per Twitter verbreitet hatte, daß sich in der Hauptstadt »lange Warteschlangen vor den Reisebüros und Paßausgabestellen« gebildet hätten, dementierte die Deutsche Presseagentur: »Ein Ansturm auf die Paßstellen blieb am Montag noch aus.« Die Bevölkerung der sozialistischen Karibikinsel selbst beschäftigt sich vor allem mit den Details der neuen Bestimmungen und mit der Frage, ob besonders Europa, die USA und Kanada ihre restriktive Visapraxis lockern.

Nach den neuen Regelungen brauchen kubanische Bürger seit dem 14. Januar für private Auslandsreisen nur noch ihren gültigen Reisepaß und ein gegebenenfalls notwendiges Einreisevisum des Ziellandes. Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen hatten in den letzten Wochen ausführlich über alle Neuerungen berichtet. So strahlten die kubanischen Fernsehsender eigens eine knapp halbstündige Sondersendung aus. Landesweit waren außerdem in 195 Dienststellen zur Ausgabe von Personalausweisen die Voraussetzung für die Erteilung von Reisepässen geschaffen worden, deren Bearbeitung rund zwei Wochen dauert. Allerdings fehlt vielen Kubanern das Geld zum Reisen – ein Schicksal, das sie mit Millionen Menschen der übrigen Welt teilen.

Zudem erschweren nun jedoch vor allem Länder, die Kuba bislang eine Beschränkung der Reisefreiheit vorgeworfen haben, den Bürgern der Insel durch Probleme bei der Visaerteilung jetzt selbst einen Besuch. Während mindestens 15 Länder der Welt, darunter Rußland, die Ukraine, Belarus, Liechtenstein, Malaysia und zahlreiche Karibikstaaten kubanische Bürger ohne Visum einreisen lassen, behält die Europäische Union ihre restriktive Praxis bei. Auch die USA wollen ihre Einwanderungspolitik und die Reisebestimmungen nicht verändern, kündigte die Sprecherin des Außenministeriums Victoria Nuland am 11. Januar an. Das schließt auch das seit 1963 bestehende Reiseverbot für US-Bürger nach Kuba ein.

Damit sind die USA das einzige Land auf dem amerikanischen Kontinent, das die Reisefreiheit seiner Bürger unter Strafandrohung einschränkt. Es sei entlarvend, kommentierte der kubanische Journalist Iroel Sánchez, »daß die großen Medien nicht einen einzigen US-Bürger interviewen, dessen verfassungsmäßigen Rechte durch das Reiseverbot nach Kuba verletzt werden.« Trotz der bisherigen Bürokratie konnten dagegen viele Kubaner auch schon vor den neuen Regelungen alle Länder der Welt einschließlich die USA besuchen. Nach offiziellen statistischen Angaben haben in den Jahren 2000 bis 2012 insgesamt 941953 kubanische Bürger private Auslandsreisen unternommen. Von allen Anträgen zur zeitweiligen oder endgültigen Ausreise waren 99,4 Prozent positiv entschieden und nur 0,6 Prozent abgelehnt worden.

Die große Mehrheit der Bevölkerung in Kuba und der im Ausland lebenden Kubaner begrüßt die neuen Regelungen. Lediglich die auf der Gehaltsliste von US-Diensten stehende »Oppositionelle« Yoani Sánchez, die am Montag bei einer Ausgabestelle im Stadtteil Vedado als Erste einen neuen Paß beantragte, kommentierte: »Die neuen Reiseregelungen entsprechen nicht den Forderungen der Bevölkerung, sondern den Wünschen der Regierung.« Gleichzeitig kündigte Sánchez, deren Vermögen auf rund eine halbe Million US-Dollar geschätzt wird, eine baldige Auslandsreise an. Im Gegensatz zu den meisten Kubanern dürften ihr weder die Reisefinanzierung noch die Visabeschaffung ernsthafte Schwierigkeiten bereiten.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 16. Januar 2013


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