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Schnelle Eingreiftrupps für die Reformen

Kuba setzt Offensive zur "Perfektionierung des Sozialismus" fort / Parteitag Ende 2009

Von Leo Burghardt, Havanna *

Die Lebensverhältnisse in Kuba verbessern sich langsam, aber stetig. Das spiegelt sich nicht nur in der Modernisierung des Transportwesens, sondern auch in den Beschlüssen des jüngsten Plenums der Kommunistischen Partei wider.

»Ich hatte gedacht, dass die kubanische Regierung eher punktuell versuchen würde, ihre Riesenprobleme aus der Welt zu schaffen. Nun ist sie tatsächlich auf breiter Front angetreten und man hat nicht das Gefühl, dass sie sich übernehmen würde«, kommentierte ein spanischer Wasserwirtschaftler dieser Tage die kubanische Offensive zur »Perfektionierung des Sozialismus«. Senior Medina ist einer der ausländischen Assessoren, die an einem Jahrhundertprojekt mitwirken: dem Bau eines Kanalnetzes im Osten der Insel, das auch Bergketten durchquert und für das die revolutionären Streitkräfte sogar einige ihrer bisher streng geheimgehaltenen Untertunnelungen freigegeben haben. In spätestens fünf Jahren wird diese von übermäßiger Trockenheit bedroht Region von Wasserkanälen durchzogen sein.

Zu der Offensive gehört auch die Erhöhung von Renten und Gehältern, die unter 400 Peso liegen, um durchschnittlich 40 Peso. Das betrifft Millionen Menschen und kostet Milliarden. 2005 waren die miesen Niedrigstgehälter und Pensionen zum ersten Mal angehoben worden. Und auch die jüngste Aufstockung wird nicht die letzte sein, so wird es zumindest in der entsprechenden »Information an die Bevölkerung« versprochen: Immer, wenn es die Produktionssteigerung und das Herunterfahren der Importe erlauben, soll über Erhöhungen nachgedacht werden. 40 Peso sind für den Einzelnen zwar nicht viel. Aber mit ihnen kann er immerhin die Kosten für den ebenfalls mit Milliarden subventionierten »Basiskorb« an Lebensmitteln und die Telefonrechnung decken.

Raul Castro hat indes auf einem Plenum der Kommunistischen Partei, das Anfang vergangener Woche nach langer Zeit stattfand, verkündet, dass der nächste Parteitag zum Ende des Jahres 2009 einberufen wird. Es wäre der erste Parteikongress seit mehr als zehn Jahren; das Statut sieht allerdings einen Fünf-Jahres-Rhythmus vor. Aber die Sonderperiode, die nach dem Zusammenbruch der sozialistischen osteuropäischen Staaten Kuba in eine scheinbar ausweglose Situation versetzte, ließ keinen Raum für Parteitage.

Herausragend auf dem Plenum war die Bemerkung Raul Castros, die Produktion von Lebensmitteln sei »eine Angelegenheit der nationalen Sicherheit«. Das heißt, es wird alles mobilisiert, was mobilisierbar ist, ohne andere Industriezweige zu beeinträchtigen. Vermutlich werden auch die Streitkräfte, die als Selbstversorger Erfahrungen auf diesem Gebiet gesammelt haben, umfassend mit einsteigen. Sicher werden ebenso die Kooperativisten, die jahrelang ihre Böden nicht oder schlecht bestellten, mit Sanktionen belegt. Möglicherweise werden ihre Äcker anderen, produktiven Genossenschaften zugeschlagen.

Das Politbüro hat aus seinen Reihen sieben siebenköpfige Operative Kommissionen für Wirtschaft und Landwirtschaft, Ideologie und Kultur, Volksbildung, Wissenschaft und Sport, Volksgesundheit und Internationale Beziehungen gebildet, die schnell reagieren sollen - »ohne Rundschreiben und andere Bremsen«. Schnelle Eingreiftruppen sozusagen. Alle besetzt mit Mitgliedern, die für ihr Organisationstalent, ihre Disziplin, aber auch ihre Unnachsichtigkeit bekannt sind. Wie der 84-jährige Brigadegeneral José Ramón Fernández, der unter anderem mit Fidel Castro die kubanischen Truppen in der Schweinebucht befehligte und immer dort eingesetzt wurde, wo es brannte.

Zur Zeit brennt es auch in der Volksbildung, einst eine der tragenden Säulen der Revolution. Diese Säule ist brüchig geworden, der Volksbildungsminister wurde vor ein paar Tagen entlassen und Fernández - der Volksbildungsminister war, als die Volksbildung in Blüte stand - wird sich um den Bereich und alles, was mit Bildung und Erziehung zusammenhängt, kümmern.

Auf dem Plenum wurde zugleich das seit 2000 existierende Moratorium zur Todesstrafe bestätigt. Sie wurde nicht eliminiert, das wäre auch Sache des Parlaments. Die wegen grausamster Verbrechen verhängte Todesstrafe für bereits Verurteilte wird jedoch in lebenslängliche Haft umgewandelt.

Drei neue Politbüromitglieder wurden ernannt - alles »alte Kämpfer«. Von den Teilnehmern des Plenums war kaum einer unter 40, die Mehrheit über 60. Manche sind schon längst aus dem öffentlichen Leben ausgeschieden. Das wird sich erst ändern, wenn der kommende Parteitag Neuwahlen ansetzt. Das Statut untersagt massive Kooptierungen. Raul Castros Schlussrede dauerte 17 Minuten und wurde live übertragen.

Noch etwas anderes sorgte in Kuba in diesen Tagen für Aufsehen, vor allem in der Hauptstadt: Der städtische Personenverkehr, vor einem halben Jahr noch eine Katastrophe, hat sich normalisiert. Auf den Hauptlinien verkehren grüne, blaue und gelbe chinesische Busse, sogar in kalkulierbaren Abständen zwischen fünf und zehn Minuten. Zuvor hatten kubanische Arbeiter die Straßen, auf denen die Busse verkehren würden, mit vorwiegend venezolanischem Gerät renoviert. Die Camellos - die wegen ihrer zwei Höcker von den Kubanern verspotteten Supertransporter, vorn ein Sattelschlepper, der einen Waggon zog, in dem sich bis zu 320 Personen zusammenquetschen konnten - sind aus dem Verkehr genommen worden und werden in den nächsten Monaten in der Provinz Havanna Aushilfe leisten. Das letzte Camello wurde vergangene Woche von den Medien und ehemaligen Fahrgästen fast wehmütig verabschiedet. Denn ohne sie, eine kubanische Erfindung, hätten sich die Hauptstädter nur noch per Fuß oder Fahrrad fortbewegen können. Aber das ist nun Geschichte.

* Aus: Neues Deutschland, 5. Mai 2008


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