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Kuba beschleunigt den Generationswandel

Raúl Castro fordert zu Beginn des VI. Parteitages Einbindung jüngerer Nachwuchskräfte

Von Harald Neuber *

Der sechste Parteitag der Kommunistische Partei Kubas (PCC) in Havanna soll neben Wirtschaftsreformen auch einen personellen Wechsel einleiten. Das machte der Auftakt am Wochenende deutlich.

Kubas regierende Kommunistische Partei (PCC) macht Ernst mit dem Wandel. Zu Beginn des sechsten Parteitags der PCC forderte Staats- und Regierungschef Raúl Castro am Samstag (16. April) einen raschen und tiefgreifenden Generationswechsel im Staats- und Parteiapparat. Zugleich drängte der 79-Jährige auf einen Umbau der Wirtschaft, um mehr Effizienz zu erreichen. Debatten gab es vor allem um die Ausgestaltung der Sozialpolitik im Zuge der wirtschaftlichen Öffnung.

Der bis zum morgigen Dienstag (19. April) dauernde sechste Parteitag der Kommunistischen Partei werde aus biologischen Gründen der letzte sein, bei dem die »historische Generation« der Revolutionäre die Mehrheit stelle, so Castro: »Seid Euch dessen stets bewusst: Die uns bleibende Zeit ist kurz und die Aufgabe gigantisch«. Die »systematische Verjüngung« des Staats- und Parteiapparates sei zugleich ein Prozess, der nach und nach in Angriff genommen und umgesetzt werden müsse, sagte Raúl Castro in seiner rund zweistündigen Rede zu Beginn des ersten Parteitags der regierenden PCC seit 14 Jahren. Um die Dynamik des Wechsels zu beschleunigen, schlug Raúl Castro zudem vor, die Amtszeiten auf maximal zwei Legislaturperioden von jeweils fünf Jahren zu begrenzen. Dies gelte für alle politischen Posten, sagte der 79-Jährige, also auch für das Amt des Parteichefs und des Präsidenten.

Zugleich kündigte Raúl Castro tiefgreifende politische Neuerungen im Verhältnis der regierenden PCC zu Regierung und Wirtschaft an. Die vergangenen Jahre der Notwirtschaft und andere Faktoren hätten einen starken Einfluss der Partei in Bereiche einreißen lassen, »die ihr nicht zukommen«, erklärte Castro. »Die Partei sollte leiten und kontrollieren und auf keiner Ebene in die Tätigkeiten der Regierung eingreifen«, heißt es in dem Redetext, der von der staatlichen Nachrichtenagentur ACN dokumentiert wurde.

Raúl Castro mahnte überdies einen Wandel in der politischen Kultur an: Zugunsten der Effizienz müssten unnötige Versammlungen und andere Ausdrücke der Bürokratie abgeschafft werden, sagte Raúl Castro, der mehr Eigenverantwortung in Politik und Wirtschaft einforderte.

Während sich die rund eintausend Delegierten des Parteitags bis zum Dienstag in erster Linie mit den wirtschaftlichen Reformmaßnahmen befassen, sollen die politischen Neuerungen im späteren Jahresverlauf auf einer Konferenz der PCC beraten werden.

Zentrales Thema des Parteitages werden zunächst aber die so genannten Leitlinien sein, ein 32-seitiges Strategiepapier, das seit Monaten in Betrieben und Massenorganisationen diskutiert wurde. Im Rahmen dieser Diskussion wurden nach Angaben kubanischer Medien gut 600 000 Änderungsvorschläge eingebracht. Rund 70 Prozent der in den »Lineamientos« enthaltenen Vorschläge wurde dabei verändert, informierte Raúl Castro zu Beginn der Debatte. Die meisten Anmerkungen hätten sich auf sozialpolitische Maßnahmen im Rahmen der wirtschaftlichen Öffnung des Landes bezogen. So habe es harte Debatten um das als »Libreta« bekannte Bezugsheft gegeben. »Viele Kubaner verwechseln den Sozialismus mit Gratis-Zuwendungen und Zuschüssen, Gleichheit mit Gleichmacherei, und nicht wenige halten die Libreta für eine soziale Errungenschaft, die niemals abgeschafft werden darf«, so Raúl Castro. Zugleich bekräftigte er, dass der anstehende Wandel nicht von einem Tag auf den anderen umgesetzt werden kann. Die erste Phase werde sich auf die kommenden fünf Jahre erstrecken.

Zu Parteitagsbeginn nicht anwesend war Revolutionsführer Fidel Castro. Der inzwischen 84-Jährige hatte vor wenigen Wochen erklärt, dass er seine Parteiämter bereits 2006 abgegeben habe. Ein Wechsel wurde jedoch nie offiziell vollzogen. Staatliche kubanische Medien bezeichnen den fünf Jahre jüngeren Raúl Castro in aktuellen Meldungen deswegen auch noch als »zweiten Sekretär des Zentralkomitees der PCC«. Bis Dienstag sollen die 150 Vertreter des Zentralkomitees neu gewählt werden. Sie werden die 19 Mitglieder des Politbüros bestimmen und die Führungsämter neu besetzen.

* Aus: Neues Deutschland, 18. April 2011


Klartext in Havanna

Kuba feiert Jahrestag des Sieges in der Schweinebucht. Präsident Raúl Castro kritisiert bei Parteitag Überzentralisierung und veraltete Strukturen

Von André Scheer **


Mit einer Militärparade und einer Großdemonstration auf der Plaza de la Revolución im Zentrum von Havanna haben am Samstag Hunderttausende Menschen an den 50. Jahrestag des kubanischen Sieges in der Schweinebucht und an die Proklamation des sozialistischen Charakters der Revolution durch Fidel Castro am 16. April 1961 erinnert. Unter den zahlreichen internationalen Ehrengästen, die die Veranstaltung von einer Tribüne aus verfolgten, waren auch die früheren DDR-Minister Margot Honecker und Heinz Keßler. Der Demonstrationszug war zugleich der Auftakt für den VI. Parteitag der kubanischen Kommunisten, der am Samstag abend (Ortszeit) von Präsident Raúl Castro mit einer mehrstündigen Rede eröffnet wurde.

Castro nutzte seinen Rechenschaftsbericht zu einem Rundumschlag. Diesem Parteitag dürfe nicht dasselbe Schicksal wie den bisherigen beschieden sein, deren Beschlüsse »fast alle vergessen und nicht umgesetzt« worden seien, warnte er. Castro räumte ein, daß die Partei auf allen Ebenen, einschließlich ihrer Spitze, verjüngt werden müsse. Allerdings verfüge die Partei trotz unternommener Anstrengungen derzeit nicht über eine »Reserve ausreichend vorbereiteter und erfahrener« Kader, die die »Aufgaben in Partei, Staat und Regierung« übernehmen könnten. Dieses Problem müsse in den kommenden fünf Jahren gelöst werden. Künftig solle die Ausübung wichtiger Partei- und Staatsfunktionen auf maximal zwei fünfjährige Amtszeiten beschränkt werden. Ende Januar 2012 soll eine Nationale Parteikonferenz über die Reform der Parteistrukturen entscheiden.

International hob Castro die Rebellion der arabischen Volksbewegungen gegen »mit den USA und der EU verbündete korrupte und repressive Regierungen« hervor und griff die NATO an, die Libyen einer brutalen Militärintervention unterworfen habe. »Der Imperialismus destabilisiert andere Länder, während Israel das palästinensische Volk vollkommen straffrei unterdrückt und massakriert«, so der kubanische Präsident.

Im Mittelpunkt des Parteitages steht jedoch die Wirtschaftspolitik. Das »übermäßig zentralisierte Modell«, das derzeit die kubanische Ökonomie kennzeichne, müsse »geordnet, diszipliniert und unter Beteiligung der Arbeiter« in ein dezentralisiertes System überführt werden, forderte Castro. Dabei werde die sozialistische Planung vorherrschend bleiben, ohne jedoch darauf zu verzichten, flexibel auf »Markttendenzen« zu reagieren. In Kuba werde es »niemals Raum für ›Schocktherapien‹ zu Lasten der Schwächsten geben, wie sie häufig auf Druck des Internationalen Währungsfonds und anderer internationaler Wirtschaftsorganisationen auf dem Rücken der Völker der Dritten Welt durchgesetzt werden.«

Am Sonntag (17. April) setzten die knapp 1000 Delegierten ihre Beratungen in fünf Arbeitsgruppen fort. Auch hier beherrschte die Wirtschaftspolitik die Debatten. Insbesondere die Zukunft der berühmten »Libreta«, der Zuteilungskarte für rationierte Grundnahrungsmittel, erhitzt die Gemüter. Castro hatte in seiner Rede darauf verwiesen, daß die an den Parteitag herangetragenen Forderungen von ihrer sofortigen Abschaffung bis hin zu ihrer unveränderten Beibehaltung reichten. Diese habe sich aber in den letzten Jahren zu einer »unerträglichen Last für die Wirtschaft« entwickelt, zumal sie solch absurde Regelungen enthalte wie die, selbst Säuglingen Kaffee zuzuteilen.

** Aus: junge Welt, 18. April 2011


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