Kuba war nie ein besonders religiöses Land
Raúl Fornet-Betancourt über den Besuch des Papstes, soziale Rechte und das Embargo der USA *
Der gebürtige Kubaner
Raúl Fornet-Betancourt
ist wissenschaftlicher Referent
am Missionswissenschaftlichen
Institut Missio
in Aachen und Professor für
Philosophie an der Universität
Bremen. Über den Besuch
Papst Benedikts XVI. in
Kuba sprach mit ihm für
"neues deutschland" (nd) Harald Neuber.
Herr Fornet-Betancourt, Kuba
ist im globalen Maßstab ein recht
kleines Land. Weshalb reist zum
zweiten Mal in 14 Jahren ein Papst
nach Kuba?
Weil die historische Bedeutung
Kubas im Verlauf des nachwirkenden
20. Jahrhunderts in keinem
Verhältnis zur geografischen
Größe der Insel steht. Kuba hat in
der Mitte des vergangenen Jahrhunderts
eine schier unglaubliche
Leistung vollbracht: die kubanische
Revolution und das revolutionäre
Projekt, für das Kuba seither
international steht. Ich denke,
dass man den Papstbesuch auch
vor diesem Hintergrund betrachten
muss. Zwar hat Kuba in den
vergangenen Jahren viel von der
Ausstrahlung der 70er und 80er
Jahre verloren, dennoch steht sein
Name nach wie vor als Synonym
für eine utopische Wende in der
Geschichte Lateinamerikas und
den Kampf für bestimmte Ideale.
Das gilt selbst noch in der heutigen
Welt, in der wir uns nach dem
Diktat des Kapitals richten.
Sicherlich geht es aber auch um
die konkrete Rolle der katholischen
Kirche im heutigen Kuba.
Ohne Zweifel. Die katholische Kirche
hat in den vergangenen Jahren
eine Rolle in bestimmten politischen
Prozessen gespielt. Das
wurde von Präsident Raúl Castro
auch so anerkannt. Es war bezeichnend,
dass er den Kardinal
und Erzbischof von Havanna, Jaime
Ortega, eingeladen hat, als der
spanische Außenminister Miguel
Ángel Moratinos im Juli 2010 in
Havanna zu Gast war, um unter
anderem über die Freilassung von
Systemoppositionellen zu verhandeln.
Der Papst ist also ein politischer
Gast?
Es handelt sich in erster Linie um
einen pastoralen Besuch. Es geht
also darum, die katholische Gemeinde
in Kuba zu stärken. Aber
der politische Zusammenhang
kann nicht geleugnet werden.
! Das Verhältnis zwischen der
katholischen Kirche und dem Staat
war nach der Revolution 1959
nicht immer gut. Wie erklären Sie
sich die Entspannung und die
Wiederkehr der Religiosität?
Kuba war nie ein besonders religiöses
Land, anders als Mexiko
oder weitere Staaten Lateinamerikas,
in denen es eine gewisse
Volksfrömmigkeit gibt. In Kuba ist
dagegen die aus Afrika inspirierte
Santería stark vertreten. Dennoch
hatte die katholische Kirche stets
eine gewisse Verankerung. Trotz
der Konflikte und der Einschränkungen
gab es in Kuba immer ein
religiöses Leben mit zunehmenden
Freiräumen. Gerade in den
letzten Jahren ist eine zunehmende
Nachfrage zu beobachten,
vielleicht auch im Zusammenhang
mit dem Zusammenbruch des europäischen
Sozialismus und einer
Revision des marxistischen Wertekanons
in Kuba. Die Religion
wurde als Mittel erkannt, ethische
Werte zu transportieren.
Der kubanische Sozialwissenschaftler
Aurelio Alonso führt die
zunehmende Religiosität direkt
auf die soziale Krise Kubas in den
90er Jahren zurück. Es gibt aber
auch andere Faktoren: Seit 2004
sind sogenannte Religionsvisa der
USA ein Weg, legal in die Vereinigten
Staaten zu reisen. Trägt
das nicht auch zum Zulauf zur
Kirche bei?
Solche Faktoren kann man nicht
von der Hand weisen. Es geht aber
in Kuba heute auch um tiefer greifende
Fragen. Schon unter Che
Guevara wurde viel darüber diskutiert,
wie man ethische Werte
fördern und zur Massenmobilisierung
nutzen kann. Der von Ihnen
erwähnte Aurelio Alonso sieht
in der Religion durchaus eine
Kraft, die im heutigen Kuba moralische
und ethische Werte stärken
kann. Aber es gibt auch andere
Stimmen, etwa die des 2009
verstorbenen Dichters und Essayisten
Cintio Vitier, der Revolutionär
und bekennender Katholik
war. Es geht also nicht nur um
strategische Überlegungen.
Im Fall der sozialistischen
Staaten Osteuropas hat die katholische
Kirche unter Papst Johannes
Paul II. eine klar definierte
politische Rolle gespielt.
Weshalb sollte sich das in Kuba
nicht wiederholen?
Zunächst einmal ist die sozialistische
Führung in Kuba historisch
gewachsen und wurde nicht militärisch
durchgesetzt ...
... worauf Fidel Castro schon
Ende 1989 in einer Rede hinwies.
Und da hatte er recht. Deswegen
kann man die sozialistischen
Staaten Europas und die kubanische
Revolution nicht über einen
Kamm scheren. Was der Papst in
Kuba sagen wird, darüber kann
man nur spekulieren. Aber natürlich
hofft die kubanische Regierung
darauf, dass er seinen Besuch
nutzt, um das Embargo der
USA gegen Kuba zu verurteilen.
Sein Besuch wird auf jeden Fall
gegen die Isolation Kubas wirken.
Die kubanische Kirche ihrerseits
erwartet eine Bestätigung ihrer
Linie des Dialogs, und das in klarer
Abgrenzung zu den Exil-Kubanern
in Miami.
Sie haben Kardinal Ortega erwähnt,
der an die Lehren der Befreiungstheologie
anknüpft. Spielt
diese Tendenz eine Rolle in Kuba?
Es ist ein Verdienst von Ortega,
dass er die Konvergenzpunkte
zwischen Christentum und Revolution
stets hervorgehoben hat. Die
Verteidigung der sozialen Rechte
ist in vielen Ländern der Erde nicht
selbstverständlich. Nach der befreiungstheologischen
Lektüre des
Evangeliums steht die Aufforderung
im Vordergrund, den Hungernden
Brot zu geben. Deswegen
hat Ortega auch im Ausland betont,
dass es in Kuba bewahrenswerte
Errungenschaften gibt.
* Aus: neues deutschland, 22. März 2012
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