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Kurs wird gehalten

Nationalversammlung. Etwas weniger Gleichheit, dafür mehr Gerechtigkeit angekündigt

Von Volker Hermsdorf, Havanna *

Kubas erwartungsgemäß wiedergewählter Präsident Raúl Castro hat am Sonntag abend (Ortszeit) in einer Grundsatzrede vor der Nationalversammlung weitreichende Veränderungen und seinen Rückzug aus der aktiven Politik für das Jahr 2018 angekündigt. Der Schritt, den Castro bereits am Freitag vor Journalisten in Havanna angedeutet hatte, ist allerdings keine Überraschung, da er sich bereits auf dem letzten Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) für eine Begrenzung der Amtszeit auf zwei Legislaturperioden (zehn Jahre) ausgesprochen hatte.

In seiner Rede schlug er vor, dies – ebenso wie eine Altersbegrenzung für bestimmte Staatsämter – durch eine Reform in der Verfassung zu verankern. Das Land sei auf einem guten Weg und es sei an der Zeit, jetzt den Generationswechsel »mit Bedacht aber ohne Pause« voranzutreiben, sagte Castro. Kubas Gesellschaft werde den Bürgern künftig etwas weniger Gleichheit aber mehr Gerechtigkeit bieten. Dies werde allerdings nicht zu einer Änderung des politischen Kurses führen. »Ich bin nicht gewählt worden, um den Kapitalismus zu restaurieren. Ich wurde gewählt, um unseren Sozialismus zu verteidigen, zu erhalten und weiterzuentwickeln und nicht, um ihn zu zerstören«, sagte der Staatschef und kündigte an, daß das Parlament in der ersten Julihälfte eine erneute Zwischenbilanz zur Umsetzung der Leitlinien ziehen und dabei schonungslos alle »beschämenden Fälle« von Pflichtverletzungen, Korruption und Disziplinlosigkeit benennen werde.

Die achte Legislaturperiode der kubanischen Nationalversammlung (Parlament) war am Sonntag in Anwesenheit von Fidel Castro, der damit sein neues Parlamentsmandat antrat, eröffnet worden. Als der Revolutionsführer seinen Platz einnahm, erhoben sich die 612 aus den Wahlen am 3. Februar hervorgegangenen neuen Abgeordneten von ihren Sitzen und begrüßten ihn mit minutenlangem Applaus.

Dann wählten die Parlamentarier den Vorsitzenden, seinen Stellvertreter und den Sekretär der Nationalversammlung. Neuer Parlamentspräsident ist PCC-Politbüromitglied Esteban Lazo, der am heutigen Dienstag 69 Jahre alt wird. »Seine Wahl erfüllt mich mit großem Stolz«, sagte Raúl Castro, »denn er ist ein Vertreter der schwarzen Bevölkerung, der in seiner Jugend Zuckerrohr geschlagen hat und jetzt dieses hohe Amt ausübt.« Lazos Vorgänger, der 75jährige ehemalige Universitätsprofessor und Doktor der Philosophie, Ricardo Alarcón, hatte nicht wieder für ein Abgeordnetenmandat kandidiert und stand damit auch nicht mehr für die Position des Präsidenten der Nationalversammlung zur Verfügung.

In freier, geheimer und direkter Wahl hatten die Parlamentarier außerdem den 31köpfigen Staatsrat gewählt, dessen Vorsitz Raúl Castro (81) erneut innehat. Zu seinem Stellvertreter wurde der 52jährige ehemalige Hochschulminister und Erste Sekretär der PCC in Holguín, Miguel Díaz-Canel gewählt, der ebenfalls Mitglied des 14köpfigen Politbüros ist. Er ist jetzt der zweite Mann in der Regierung und der erste hochrangige Politiker, der nach dem Sieg der Revolution geboren wurde. Außerdem gewählt wurden die fünf Vizepräsidenten, der Sekretär sowie die 23 restlichen Mitglieder des Gremiums. Der Staatsrat ist das höchste Organ zwischen den in der Regel zweimal jährlich einberufenen Vollversammlungen des Parlaments.

Mit der Konstituierung der Nationalversammlung sind alle Abstimmungen der Periode 2012/2013 in Kuba abgeschlossen, die im Oktober letzten Jahres über die mehr als 14500 Delegierten der insgesamt 168 kommunalen Parlamente (Asambleas Municipales) begonnen hatten. Diese Wahlen auf der untersten Ebene finden nach der Verfassung alle zweieinhalb Jahre statt. Am 3. Februar waren dann landesweit die 1269 Abgeordneten der Provinzparlamente (Asambleas Provinciales) und die 612 Parlamentarier der neuen Nationalversammlung (Asamblea Nacional) für die Dauer von jeweils fünf Jahren gewählt worden. In diesem Prozeß hat sich das kubanische Parlament personell erneuert und ist deutlich jünger und weiblicher geworden. 67 Prozent der Abgeordneten ziehen erstmals in die Volksvertretung ein, mehr als zwei Drittel sind nach dem Sieg der Revolution geboren. Das Durchschnittsalter beträgt jetzt 48 Jahre. Die dunkelhäutige Bevölkerung ist mit über 37 Prozent im neuen Parlament repräsentiert, und knapp 49 Prozent der Abgeordneten sind weiblich.

Die Konstituierung des kubanischen Parlaments findet traditionell am Jahrestag der Wiederaufnahme des Unabhängigkeitskriegs unter Führung des Nationalhelden José Marti am 24. Februar 1895 statt. Der Befreiungskampf hatte drei Jahre später zum Ende der spanischen Kolonialherrschaft geführt.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 26. Februar 2013


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