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Weder Politik noch Porno

Kuba hat den öffentlichen Internetzugang ausgeweitet, doch er bleibt beschwerlich

Von Harald Neuber *

Die kubanische Regierung hat vor einer Woche 118 öffentliche Zugangspunkte für das Internet eröffnet. Dort werden erstmals Onlinedienste für die Öffentlichkeit angeboten. Die Bevölkerung begrüßt diese Entwicklung, auch wenn die veraltete Infrastruktur und die US-Blockade den Zugang weiterhin hemmen.

Tipps zum Internet sind in Havanna viel wert. Wer auf das Netz angewiesen ist, wird schnell zum intimen Kenner der tropensozialistischen IT-Strukturen. Im Hotel »Nacional« kostet die Stunde sechs Konvertible Peso (CUC), also sechs US-Dollar oder rund 4,66 Euro. Ebenso im Hotel »Habana Libre«, wo die Verbindung jedoch deutlich langsamer ist. Das spanisch-kubanische Hotel »Meliá Cohiba« an der Strandpromenade, dem Malecón, bietet für 16 CUC eine vor allem bei Journalisten und Geschäftsreisenden beliebte zweistündige WLAN-Verbindung. Die knappen und vor allem teuren Internetressourcen gelten auch für Kubaner, sofern sie nicht zu den bevorzugten Gruppen gehören, die am Arbeitsplatz Netzzugang haben. Ärzte etwa, Künstler oder Wissenschaftler.

Nun aber soll sich alles ändern. Seit genau einer Woche haben landesweit 118 staatliche Internetcafés geöffnet. Es soll der erste Schritt zu einem landesweiten Netz öffentlicher Zugänge sein, wie das Kommunikationsministerium und die halbstaatliche Telefongesellschaft Etecsa meldeten. Die Tageszeitung »Juventud Rebelde« widmete dem Thema Ende Mai mehrere Seiten und druckte die gesamte Liste der neuen Zugangsorte. Offenbar wurde Wert darauf gelegt, auch entlegene Gegenden des Landes einzubinden. Bisher konzentriert sich die Telekommunikationsinfrastruktur auf die urbanen Zentren.

Der Aufbau der neuen Internetcafés, so betonte die »Juventud Rebelde«, stehe im Einklang mit den Beschlüssen des jüngsten Parteikongresses. Darin heißt es, die neuen Möglichkeiten sollten genutzt werden, »um die Informations- und Kommunikationstechnologien zur Entwicklung von Wissenschaft, Wirtschaft sowie politischen und ideologischen Aktivitäten zu nutzen«.

Das Haupthindernis beim Zugriff auf das Internet war bislang aber der Preis. In den neuen Internetcafés wird er unter dem bisherigen Niveau liegen. Dennoch ist er für viele Kubaner nach wie vor unerschwinglich. 4,50 CUC kosten eine Stunde Zugang zum weltweiten Netz, zum kubanischen Intranet und ein eigenes E-Mail-Konto. Wer sich mit Intranet und E-Mail zufrieden gibt, zahlt 1,50 CUC pro Stunde. Der reine E-Mail-Service kostet stündlich 60 Cent. Den Zugang gibt es nur über die Internetcafés, die täglich elf Stunden geöffnet haben. Nicht wenigen Nutzern kommen bei solchen Preisen Zweifel. »Wer wird das bezahlen können?«, fragt Mónica. Die Übersetzerin aus Havanna vermutet, dass weiterhin illegale Zugänge genutzt werden. Die inoffiziellen Dial-up-Verbindungen werden für 1,50 bis zwei CUC pro Stunde feilgeboten.

Die neuen Internetcafés werden mehr Personen Zugang zum Web verschaffen, meint hingegen die Bloggerin Elaine Díaz. Die junge Frau, Anfang 30, unterhält den Debattenblog »La polémica digital« (Die digitale Polemik) und unterrichtet Journalismusstudenten im Umgang mit Neuen Medien. Die Zugangszeit für User werde sich angesichts des nach wie vor wohl erheblichen Preises aber wohl nicht erhöhen, fügt Díaz an. Zwar müsse man den Planungsbehörden zugestehen, dass sie einen möglichst gleichberechtigten Zugang zum Netz anstreben, unabhängig von Wohnort und sozialem Status. »Aber mein Gehalt als Professorin liegt umgerechnet kaum über 25 US-Dollar, damit könnte ich vielleicht gerade einmal eine Stunde im Monat online gehen«, verrät Díaz im »nd«-Gespräch. Es müsse daher auch darauf geachtet werden, Jugendlichen und sozial Benachteiligten Zugang zum Internet zu garantieren.

Die Bloggerin weist damit auf die Schwachstelle einer gut gemeinten Strategie hin. Seit Kuba 1996 an das Internet angebunden ist, haben Behörden und Telefongesellschaft auf einen »sozialen Zugang« zum Netz Wert gelegt. Die raren Zugänge wurden neben staatlichen Stellen zunächst Universitäten zur Verfügung gestellt. Später wurden Netzwerke für bestimmte Berufsgruppen geschaffen. Das Netzwerk Infomed etwa bietet inzwischen 68 000 Medizinern, Gesundheitsarbeitern und Wissenschaftlern Zugang zu Intranet, Internet und E-Mail. Knapp 1200 Gesundheitsinstitutionen sind mit dem Netzwerk verbunden. Eine ähnliche Struktur mit eigenen Servern wurde mit dem Netzwerk Cubarte für Künstler geschaffen. Nach Angaben des Informationsministeriums sind knapp 800 künstlerische Institutionen an dieses System angebunden. Schriftsteller wie der Krimiautor Leonardo Padura, Träger des Nationalen Literaturpreises Kubas, haben über das Cubarte-Netz auch von zu Hause Zugang zum Internet.

Während diese demokratische Medienstrategie den Behörden von Regierungsgegnern vorgeworfen wird, weil sich eben nicht jeder Zugang zum Netz verschaffen kann, nur weil er über die entsprechenden Mittel verfügt, hat das Vorgehen auch für Verzerrungen gesorgt. Die Bloggerin Elaine Díaz bezieht sich mit ihrem Einwand auch darauf, dass User unter 18 Jahren keinen Zugang zu den neuen Internetcafés haben sollen. Wer nicht zur akademischen Sphäre gehört, dem bleibt der Zugang zu den großen Netzwerken wie Infomed oder Cubarte verwehrt. Diese Kubanerinnen und Kubaner haben in der Regel aber auch nicht das Geld, um in Hotels online zu gehen.

Geht es um das Internet in Kuba, ist schnell von Zensur die Rede. In der Mitteilung der Telefongesellschaft Etecsa wurde Ende Mai zwar zugesichert, dass es in den neuen Internetcafés keine Beschränkung von Downloads und Uploads geben werde, »sofern die Nutzungsbedingungen nicht verletzt werden«. Was dieser Nebensatz bedeutet, führt Fernando Ravsberg auf seiner Seite »Cartas de Cuba« (Briefe aus Kuba) aus. Es könne jeder User gesperrt werden, sofern er »der öffentlichen Sicherheit, der Integrität, der Wirtschaft oder der nationalen Unabhängigkeit und Souveränität schadet«. Auch könne ein Zugang sofort gesperrt werden, wenn eine »Verletzung der ethischen Verhaltensnormen« entdeckt werde, weiß der Uruguayer Ravsberg, der seit gut 20 Jahren in Kuba lebt und für die britische BBC berichtet. In wenigen Worten bedeutet das: keine Politik, kein Porno. Wobei es Spielräume gibt. Denn während einige kubafeindliche Seiten aus den USA gesperrt sind, ist das Zentralorgan des antikommunistischen Exils, die Tageszeitung »El Nuevo Herald«, frei zugänglich. Im Übrigen sind die Seitensperren leicht zu umgehen.

Blogger wie Elaine Díaz fordern daher eine Diskussion über die Rechte im Internet. Das Netz sei schließlich ein »öffentliches Gut, das in keinem Fall von politischen oder sonstigen Interessen eingeschränkt werden darf«, sagte die Dozentin an der Universität Havanna. Stattdessen müsse das Internet auch in Kuba zu einem Debattenmedium »zwischen Regierungsfunktionären und Usern werden«.

Was beinahe nach einem Programmpunkt der Piratenpartei klingt, hat in dem sozialistischen Karibikstaat schon funktioniert. Als 2007 verantwortliche Funktionäre für eine Phase repressiver Kulturpolitik Anfang der 70er Jahre im Fernsehen auftraten, brach eine bisher nicht gekannte Protestwelle los. Die konzertierte Aktion wurde später als »kleiner Krieg der E-Mails« bekannt, weil Hunderte Künstler und Intellektuelle ihren Unmut auf diesem Weg äußerten.

Das Hauptproblem des kubanischen Internets aber bleiben die hohen Kosten. Die US-Blockade hat bis heute verhindert, dass der Karibikstaat an die großen Unterseekabel angeschlossen wird. Seit 1996 wird die Kommunikation über kostspielige und langsame Satellitenverbindungen aufrechterhalten. Große Datenmengen mussten über Nacht versandt werden. Der nun laufende Ausbau ist erst durch ein Glasfiberkabel möglich geworden, das Anfang 2011 aus Venezuela auf die Insel verlegt wurde. Der Ausbau des veralteten Leitungsnetzes in Kuba wird aber noch Jahre in Anspruch nehmen, wenn nicht Jahrzehnte.

Der stellvertretende Informationsminister Wilfredo González Vidal räumte im Interview mit der Zeitung »Juventud Rebelde« daher die im Grunde zu hohen Kosten für Internetverbindungen ein. Die seien aber nötig, um Mittel für die Erneuerung des Leitungsnetzes zu erwirtschaften. Leichte Verbesserungen zeichnen sich immerhin schon ab. In den neuen Internetcafés können E-Mail-Anhänge bis 25 Megabytes versendet werden, die Übertragungsraten lägen stabil bei 512 Kilobytes pro Sekunde, sagt González Vidal, der weiter am »sozialen Zugang« zum Netz festhalten will. »In unserem Land wird nicht der Markt den Zugang zum Wissen bestimmen«, fügte er an.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 11. Juni 2013


Feinde des Internets

Kubas Fortschritte werden anerkannt **

2011 gehörte Kuba noch zu den bösen Buben: Zusammen mit neun anderen Staaten, darunter Nordkorea, Saudi-Arabien und China, wurde der Insel der Titel »Feind des Internets« verliehen. Jährlich zum Welttag gegen Internetzensur am 12. März wird der Bericht über die »Feinde des Internets« von »Reporter ohne Grenzen« (ROG) vorgestellt. Die Organisation selbst ist ihrerseits aufgrund von Finanziers wie der US-amerikanischen regierungsnahen Stiftung National Endowment for Democracy umstritten.

2013 wird Kuba jedenfalls in der auf fünf Staaten geschrumpften Gruppe der bösen Buben nicht mehr aufgeführt: Dort finden sich Syrien, China, Iran, Bahrain und Vietnam. Sie stehen laut Bericht an negativ herausragender Stelle, wenn es darum geht, mit Hilfe von Späh- und Zensurtechnologie Journalisten und Medien zu überwachen und damit für schwere Verstöße gegen die Presse- und Informationsfreiheit und andere Menschenrechte verantwortlich zu sein.

Kuba findet 2013 nur kurze Erwähnung in Bezug auf das neue Glasfaserkabel, das die Eröffnung der Zugangspunkte ermöglichte. 2011 bestand die von ROG gemutmaßte kubanische Regierungsstrategie darin, »die dissidentischen Blogger in einer Flut von ›Pro-Regierungs-Bloggern‹ untergehen zu lassen«. Deswegen müsse die Regierung weniger zu direkten Eingriffen schreiten und könne es sich leisten, Konzessionen zu machen.

Ob man diese Einschätzung teilt oder nicht: Die Öffnung Kubas gegenüber dem World Wide Web schreitet auf alle Fälle voran. Das veraltete Leitungsnetz wird Schritt für Schritt überholt, und die Zahl der Internetnutzer nimmt sukzessive zu. Die wachsende Bedeutung des Internets in Kuba ist ebenso offensichtlich wie die regulierte Liberalisierung. ML

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 11. Juni 2013


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