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Unterstützung für Havannas Reformkurs

Harri Grünberg über den Wandel auf der Karibikinsel und in der bundesdeutschen Kuba-Politik *


Harri Grünberg ist Vorsitzender des Vereins Netzwerk Cuba, einem Zusammenschluss von gut 40 solidarischen und entwicklungspolitischen Kuba-Organisationen in Deutschland. Er betrachtete rund um die Buchmesse in Havanna Kubas Reformkurs aus der Nähe. Mit ihm sprach für "neues deutschland" (nd) Harald Neuber.


nd: Kuba befindet sich in einem Prozess des Wandels. Das wirtschaftliche System wird modernisiert, interne Debatten werden geführt. Was bedeutet das für die Solidaritätsbewegung?

Grünberg: Die Reformen in Kuba sollen den Sozialismus stärken. Deswegen ist den Veränderungen eine breite Debatte vorausgegangen. Bislang ist der Anteil der Staatsangestellten reduziert worden. Landwirtschaft, Dienstleistungsbereich und Transportsektor werden dezentralisiert. Der Staat soll fortan die strategischen und entscheidenden Bereiche der Wirtschaft verwalten. 400 000 bisheriger Staatsangestellter sind in den privaten Bereich übergewechselt oder arbeiten nun selbstständig. Bis 2015 sollen insgesamt zwei Millionen Menschen auf eigene Rechnung oder in Kooperativen arbeiten. Im Landwirtschaftsbereich wird Familien bis zu 62 Hektar Land zur Pacht überlassen. Die Politik zielt darauf, dass sie sich in Kooperativen organisieren. Diese Entscheidung ist für Kuba lebenswichtig, denn die Landwirtschaft muss die Selbstversorgung sicherstellen. Bisher müssen mehr als 70 Prozent der Lebensmittel importiert werden. Ein Wandel wird hier aber nur gelingen, wenn Stadtbewohner aufs Land zurückkehren und dafür muss es materielle Anreize geben.

Was bedeutet dieser Wandel für die Solidaritätsbewegung?

Wir müssen vor allem ein wahres Bild über die Entwicklung in Kuba vermitteln. Es geht darum, klarzustellen, dass es sich um Veränderungen im Sozialismus handelt. Und es geht darum, eine Solidaritätsarbeit zu entwickeln, die das Gelingen dieses Reformkurses ermöglicht.

Hängt das nicht auch von der US-Blockade und den Wirtschaftskontakten ab?

Natürlich, und dabei hat vor allem der Wahlausgang in Venezuela Gewicht, weil er über das Fortbestehen des linksgerichteten ALBA-Bündnisses entscheidet. Eine westliche Koalition um die USA unternimmt derzeit alles, damit Hugo Chávez nicht wiedergewählt wird. Deshalb werden wir als Kuba-Solidaritätsbewegung in diesem Jahr gemeinsam mit der Solidaritätsbewegung der ALBA-Staaten arbeiten. Im April lädt das Netzwerk Cuba zu einem Treffen der Solidaritätsbewegungen der ALBA Staaten ein.

Sind die Gefahren des wirtschaftlichen Reformprozesses denn ein Thema im Dialog mit Kuba?

Sicherlich birgt dieser Prozess auch Risiken. Ein größeres Risiko wäre es aber gewesen, so wie bisher weiterzumachen. Nach kubanischer Auffassung ist das alles ein Experimentierfeld. Die Resultate müssen genau untersucht und gegebenenfalls korrigiert werden. Entsprechend muss sie die Solidaritätsbewegung diskutieren.

Inmitten dieser Entwicklung will die Bundesregierung demnächst ein Kulturabkommen mit Kuba unterzeichnen. Wie bewerten Sie diese Neuorientierung in Berlin?

Das Kulturabkommen sollte schon vor Jahren unterschrieben werden, dann kam die Verhärtung in den diplomatischen Beziehungen in Form des »Gemeinsamen Standpunktes« der EU. Dessen Kern ist die Forderung nach einem Systemwechsel. Diese Politik gegenüber Kuba ist gescheitert und jetzt scheint mehr Realismus in der deutschen Außenpolitik einzuziehen. In Havanna heißt es, Deutschland wolle eine Verbesserung der bilateralen Beziehungen, ohne dass im Jahre 2012 formell der »Gemeinsame Standpunkt« aufgehoben wird. De facto wird er aber außer Kraft gesetzt, meint die kubanische Seite.

Weshalb die Veränderung?

Die deutsche Bundesregierung muss Fakten anerkennen. Laut Außenminister Guido Westerwelle ist die deutsche Lateinamerika-Politik von strategischer Bedeutung. Deutschland kann aber nur eine Verbesserung der Beziehungen zu Lateinamerika erreichen, wenn sich auch das Verhältnis zu Kuba verbessert. In kubanischen diplomatischen Kreisen heißt es, die deutsche Politik sei von der Obsession der »Wende in der DDR« geleitet. Man glaube in Berlin, dass die in Kuba eingeleiteten Reformen zu einer Veränderung wie in der DDR 1989 führen. Deshalb greifen sie jetzt auf das Rezept der sozialdemokratisch formulierten Ostpolitik, des Wandels durch Annäherung, zurück. Drittens bestehen geschäftliche Interessen, die für Kuba von Nutzen sein können. Die deutsche Politik geht davon aus, dass Kuba viel Erdöl finden wird. Deutschland will sich jetzt in Kuba gut platzieren, noch bevor die USA kommen.

Und was würde sich ändern, wenn demnächst das Goethe-Institut und womöglich Stiftungen von Union und FDP in Kuba tätig sind?

Ein Kulturabkommen bedeutet nicht automatisch die Rückkehr der deutschen Parteistiftungen, deren Arbeit gefährlich für die lateinamerikanische Linke sein kann. In Honduras etwa hat die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung direkt am Putsch gegen Präsident Manuel Zelaya im Juni 2009 mitgewirkt. Bedenklich wäre aber auch, wenn das Goethe-Institut, das dem deutschen Auswärtigen Amt untersteht, das Deutschland-Bild in Kuba entscheidend prägen würde.

Wie wollen Sie darauf reagieren?

Es gibt derzeit Überlegungen, inwieweit sich die Solidaritätsbewegung für die Errichtung einer solidarischen Kultureinrichtung der deutschsprachigen Linken einsetzen kann. Wir haben ja auch eine eigenständige Präsentation der linken fortschrittlichen Kräfte auf der Buchmesse in Havanna.

* Aus: neues deutschland, 27.03.2012


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