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Kuba versöhnt sich mit Mexiko und der EU

Entwicklungshilfe läuft wieder an / Einladung an Felipe Calderón

Von Leo Burghardt, Havanna *

Die EU und Kuba haben nach fünfjähriger Pause ihre Zusammenarbeit wieder aufgenommen. Die EU will 25 Millionen Euro für Entwicklungsprojekte bereitstellen.

Louis Michel ist ein Diplomat vom Scheitel bis zur Sohle, der geeignete Mann, um die Wiederannäherung der Europäischen Union an Kuba bis hin zur Normalisierung voranzutreiben. Der EU-Kommissar für Entwicklung und humanitäre Hilfe ist einer der wenigen Bürokraten Brüssels, der Kuba wirklich kennt, seine Stärken und Schwächen, der die Probleme ohne Vorurteile und Fanatismus angeht und vor allem auch während der vergangenen frostigen Jahre seine Kontakte zu Havanna aufrechterhielt, während seine Kollegen vergessen oder nie davon gehört hatten, dass Wandel durch Annäherung eher zu erreichen ist als durch absurden Boykott. Michel weiß, dass es hier Tabus gibt, die um keinen Preis zu kippen sind. Erstens: Man kann über alles verhandeln, aber ohne Vorbedingungen. Zweitens: Wer mit dem Erzfeind Washington gemeinsame Sache macht, die sogenannten Dissidenten also, hat keine Chance, von kubanischer Seite als relevanter Verhandlungsgegenstand anerkannt zu werden.

So stand einem Erfolg des zweitägigen Michel-Besuchs in Kuba nichts im Weg. Nach Angaben der EU-Kommission stellte Michel 25 Millionen Euro aus dem EU-Haushalt für Projekte in den Bereichen Umwelt, Technologie, Handel, Kultur und Katastrophenschutz in Aussicht. Dies geht aus einer Erklärung hervor, die Michel am Donnerstag ((23. Okt.) bei seinem Besuch in Havanna unterzeichnete.

»Das ist ein Wendepunkt in den Beziehungen zwischen Kuba und der Europäischen Union«, wurde Michel zitiert. »Ich bin sehr froh, dass wir in dieser gemeinsamen Erklärung den Rahmen für unsere künftige Zusammenarbeit abgesteckt haben.« Eine erste Geste sei die europäische Hilfe für Kuba nach den Hurrikans, die das Land im September verwüstet hatten.

Nicht nur mit der EU befindet sich die Karibikinsel wieder auf dem Kurs der Versöhnung. Auch Kuba und Mexiko sind endlich soweit, dass sie die gravierenden Diskrepanzen, mit denen der frühere mexikanische Präsident und Bush-Intimus Vicente Fox die hundertjährigen guten bis sehr guten Beziehungen der beiden Staaten bis dicht an den Abgrund getrieben hatte, begraben können.

Es waren finstere Ränke, die von Mexiko aus gesponnen wurden. Lügen, Verleumdungen, Behinderung der Arbeit des kubanischen Botschaftspersonals, die Foxens erster Außenminister Jorge Castañeda, der vom Links- bis zum Rechtsaußen alles schon mal probiert hatte, einfädelte, bis er nach ein paar Monaten über seine Intrigen stolperte und von der offiziellen politischen Bühne abberufen wurde. Seine Nachfolger trieben es nicht so arg, aber Kuba war tief gekränkt, zumal es in zwei Fällen fälschlicherweise der Lüge bezichtigt wurde, und das ist hier eine unverzeihliche Ehrabschneidung. Aber es kommt offenbar alles wieder ins Lot. Außenminister Felipe Pérez Roque wird dem mexikanischen Präsidenten eine Einladung zum Kuba-Besuch überbringen und Felipe Calderón hat bereits angedeutet, dass er sich 2009 nach Havanna aufmachen wird.

Aber all das, ebenso die Einweihung einer orthodoxen Kathedrale im hauptstädtischen Stadtteil Regla, wird nach wie vor auf die hinteren Plätze der kubanischen Medien gesetzt. Ganz vorn bleibt die schnellstmögliche Beseitigung der immensen Schäden, die die beiden Hurrikans »Gustav« und »Ike« Ende August und am 9. September angerichtet haben. In Kuba musste bisher kein Notstand ausgerufen werden. Es sind bisher auch keine Epidemien aufgetreten. 80 000 Sanitäter und Mediziner sind ständig auf Achse. 99,8 Prozent der 13 185 Schulen, von denen 5400 mit ihrem Inventar schwer beschädigt wurden, funktionieren wieder. Die Nickelindustrie hat ihren Betrieb, wenn auch nicht hundertprozentig, wieder aufgenommen. Für 16 lebensnotwendige Produkte wurden Festpreise bestimmt. 85 Schwarzhändler und Wucherer bekamen es hart mit der Justiz zu tun. Es wird gegraben, gepflügt, gesät, entwässert, gebaut, repariert wie nie zuvor. Vor allem werden schnell heranwachsende Gemüse- und Knollenfrüchte in den Boden gebracht. Eine Hungersnot drohe nicht, versichert die Parteizeitung »Granma«. Solidaritätsspenden kommen aus aller Welt. Aber Schäden in Höhe von mindestens fünf Milliarden Dollar sind für ein Land wie Kuba nicht von heute auf morgen und nicht mal in einem Jahr zu beheben. Es gibt kleine Regionen, die noch immer ohne Strom und Telefon sind, und tausende Menschen, die in Nothütten leben. Und das Essen? Tausende Hektar Bananen, Reis und Bohnen (Grundnahrungsmittel) sind nicht mehr zu retten, ebenso wenig 500 000 Legehennen und 50 000 Tonnen sorgfältig gelagerte Fertiglebensmittel, trotz aller Präventivmaßnahmen. Ein Drama! Was Venezuelas Präsident Hugo Chávez tut, wird nicht publik gemacht, es dürfte viel sein.

* Aus: Neues Deutschland, 25. Oktober 2008


Eiszeit beendet

Mexiko und Kuba auf Entspannungskurs. Migrationsabkommen abgeschlossen. Calderón nimmt Einladung Castros an

Von Andreas Knobloch **


Die Regierungen Mexikos und Kubas unterzeichneten zu Wochenbeginn ein Migrationsabkommen. Doch das wichtigere Ergebnis des zweitägigen Besuchs von Felipe Pérez Roque, des Außenministers aus Havanna, dürften die politischen Konsequenzen aus der offensichtlichen Annäherung der beiden Staaten sein: Der Vertrag ist Ausdruck einer Normalisierung der Beziehungen zwischen Mexiko und Kuba.

Sieben Jahre lang war deren Verhältnis schwer gestört. Nachdem sich Mexiko ab 2000 offen an die Seite der aggressiven US-Politik gegen die Karibikinsel gestellt hatte, war es zu aufsehenerregenden Verwerfungen zwischen dem damaligen mexikanischen Präsidenten Vicente Fox (2000--2006) und Fidel Castro gekommen. Die diplomatischen Kontakte wurden weitgehend eingestellt. Mit dem Regierungswechsel in Mexiko-Stadt Ende 2006 tauchten erste Anzeichen einer vorsichtigen Korrektur dieses Kurses auf. Der neue Präsident Felipe Calderón näherte sich wieder vorsichtig Kuba, und das Thema »Immigration« wurde dabei zu einem Eckpfeiler. Kuba, das ständig bemüht ist, seine Beziehungen zu allen Ländern Lateinamerikas zu vertiefen, hatte zuvor immer wieder Entspannungsignale ausgesendet.

Nun stimmten die beiden Außenminister Pérez Roque und Patricia Espinosa Castellano bei der Vertragsunterzeichnung am Montag überein, daß die »Periode der Lähmung« überwunden sei. Der politische Dialog und das gegenseitige Vertrauen seien wiederhergestellt. Dazu trug sicherlich auch bei, daß eine Einigung über Kubas Schulden erzielt wurde, und Mexiko erklärte, bei der nächsten UN-Vollversammlung am 29. Oktober erneut für eine Aufhebung des US-Embargos gegenüber der Insel zu stimmen.

Auch das Treffen Pérez Roques mit Calderón am Dienstag (21. Okt.) fand in gutem Klima statt. Beide Seiten betonten die erzielten »positiven Fortschritte« und kamen darin überein, den bilateralen Handel weiter zu vertiefen. Dieser nahm zwar bereits seit Ende vergangenen Jahres einen neuen Aufschwung und stieg in den ersten acht Monaten 2008 um etwa 80 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Doch bieten sich noch genügend Möglichkeiten zu einem weiteren Ausbau. Darüber hinaus überbrachte der kubanische Außenminister eine Einladung Raúl Castros an Felipe Calderón, Kuba zu besuchen, die dieser auch annahm. Ein Termin wurde noch nicht vereinbart.

Die Vereinbarungen zur Immigration sehen vor, daß Kuba nicht nur die auf hoher See aufgegriffenen Flüchtlinge, sondern auch jene, die ohne Papiere auf mexikanischem Territorium angetroffen werden, auf die Insel zurückkehren. »Kuba verpflichtet sich, die Immigranten aufzunehmen, die direkt über das Meer nach Mexiko gelangt sind, oder sich auf illegale Weise in Mexiko aufhalten oder aus anderen Ländern Zentralamerikas nach Mexiko einreisen, um in die USA zu gelangen«, so Pérez Roque. Das Abkommen solle einen »legalen, geordneten und sicheren Migrationstrom zwischen beiden Ländern garantieren.« Vereinbart wurde eine bilaterale Arbeitsgruppe, um in Migrations- und Konsularangelegenheiten zu kooperieren und regelmäßig Informationen auszutauschen.

** Aus: junge Welt, 23. Oktober 2008


Auf Normalisierungskurs

EU-Kommissar zu Besuch in Havanna. Abkommen zur Zusammenarbeit vor Abschluß

Von André Scheer ***


Die Europäische Union (EU) will ihre Beziehungen zu Kuba normalisieren. Das demonstriert der derzeitige Aufenthalt ihres Kommissars für Entwicklung und humanitäre Hilfe in Havanna. Louis Michel traf am Mittwoch abend zum ersten offiziellen Besuch eines EU-Vertreters seit der Verhängung der Sanktionen. Diese waren im Jahr 2003 wegen »Menschenrechtsverletzungen« gegen die Insel erlassen worden. 2005 wurden sie zunächst suspendiert und dann im vergangenen Juni offiziell aufgehoben. Vor einer Woche hatten sich schließlich in Paris der kubanische Außenminister Felipe Pérez Roque mit seinen Amtskollegen aus Frankreich und Tschechien sowie dem EU-Kommissar getroffen.

Wie die kubanische Tageszeitung Granma meldet, stehen auf dem zweitägigen Programm Michels neben Gesprächen mit Außenminister Pérez Roque auch ein Besuch in den Regionen, die besonders schwer von den Wirbelstürmen Ike und Gustav in Mitleidenschaft gezogen wurden. Die beiden Hurrikans waren im September innerhalb einer Woche über die Insel hinweggezogen und hatten Schäden in Milliardenhöhe verursacht. Informationen zufolge war auch eine Begegnung mit Vizepräsident Carlos Lage geplant. EU-Diplomaten sprachen außerdem davon, daß im Rahmen des Besuchs auch ein Rahmenabkommen über die Zusammenarbeit zwischen Kuba und der Gemeinschaft unterzeichnet werden solle. Wenn dieses Abkommen erreicht sei, könne man mit weiteren Besuchen von EU-Beamten auf der Insel in den kommenden Wochen rechnen, um konkrete Projekte zu vereinbaren, hieß es in Agenturmeldungen.

Von kubanischer Seite wird die Normalisierung der Beziehungen begrüßt. Unter anderem hob der kubanische Botschafter in Deutschland, Gerardo Peñalver, am Mittwoch in Berlin ausdrücklich auch den Beitrag der deutschen Bundesregierung in diesem Zusammenhang hervor. Die Aufhebung der Sanktionen sei unter der deutschen EU-Präsidentschaft zwar nicht gelungen, weil damals einige osteuropäische Regierungen einen Konsens verhindert hatten, die Regierung in Berlin habe sich aber sehr dafür eingesetzt.

Trotz der veränderten EU-Position fordert Havanna weiter eine Aufhebung der seit 1996 geltenden »Gemeinsamen Position« Brüssels, die ausschließlich dazu diene, einen »demokratischen Wandel« nach EU-Vorstellungen auf der Insel zu erreichen. Die kubanische Regierung versteht dieses als einseitige Einmischung in die inneren Angelegenheiten und folglich »inakzeptabel« als Grundlage für bilaterale Beziehungen. Diese müßten vielmehr von gegenseitigem Respekt getragen sein, hieß es in einer Erklärung der kubanischen Regierung nach dem Pariser Treffen vom 16. Oktober.

Die Unterstützung für diese Haltung scheint auch innerhalb der EU zu wachsen. So betonte der Vizepräsident des Europaparlaments, Miguel Ángel Martínez, daß die Insel Respekt und Solidarität für ihre Verteidigung der Unabhängigkeit und Souveränität sowie für ihre Freundschaft mit den Völkern verdient habe. Bei einem Treffen in Europa lebender Kubaner zeigte sich Martínez, der Mitglied der sozialdemokratischen EU-Fraktion ist, erfreut über die Normalisierung der Beziehungen: »Ich glaube, die reaktionären Regierungen, die lange diese absurde Politik der Isolierung Kubas durchgesetzt haben, haben an Kraft verloren.«

*** Aus: junge Welt, 24. Oktober 2008


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