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Ohne Havanna geht nichts mehr

Jahresrückblick 2012. Heute: Kuba. Karibikinsel setzt Modernisierung ihrer Wirtschaft fort. Außenpolitisches Gewicht wächst

Von Volker Hermsdorf *

Kuba konnte 2012 politisch und wirtschaftlich Erfolge verbuchen, die allerdings durch die Auswirkungen des verheerenden Hurrikans »Sandy« und der US-Blockade geschmälert wurden. Außenpolitisch hat das Land seine Position in Lateinamerika und der Welt weiter gefestigt, während seine Gegner isolierter als je zuvor dastehen. Innenpolitisch wurde der Modernisierungsprozeß vorangetrieben. Die Wirtschaft Kubas konnte für das zu Ende gehende Jahr ein Wachstum vermelden, das mit 3,1 Prozent zwar um 0,3 Punkte geringer ausfällt als erwartet, aber deutlich über dem europäischer Länder und der USA liegt.

Im Januar hatte die Kommunistische Partei auf einer Nationalen Konferenz die bisherigen Maßnahmen zur Aktualisierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik analysiert und die weitere Umsetzung der im April 2011 auf dem sechsten Parteitag beschlossenen »Leitlinien« beraten. Zu den wichtigsten Ergebnissen gehören die im Oktober erlassenen neuen Reiseregelungen, die am 14. Januar 2013 in Kraft treten. Diesen zufolge brauchen kubanische Bürger für Auslandsreisen künftig nur noch ihren Reisepaß und ein Einreisevisum des Ziellandes. Zudem sind im nichstaatlichen Sektor bis Ende dieses Jahres knapp 400000 Arbeitsplätze entstanden. Im Jahr 2015 sollen es bis zu 1,8 Millionen sein und damit deutlich mehr, als in staatlichen Betrieben und Einrichtungen zur Disposition stehen. Neue Arbeitsmöglichkeiten gibt es vor allem für »Cuentapropistas«, den Arbeitern »auf eigene Rechnung«. Ein neues System der Besteuerung dieser »Selbständigen« soll den Provinzen und Gemeinden neue Einnahmen bringen, die kommunale Investitionen, zum Beispiel für Gebäudesanierungen in Schulen, Kitas und Polikliniken sowie Straßenreparaturen, in eigener Regie ermöglichen. Der 2012 eingesetzte »Boom« bei der Renovierung privater Häuser und Wohnungen soll durch weitere staatliche Kredite und Preissenkungen für Baumaterial zusätzlich angekurbelt werden.

Auch im nach wie vor dominierenden staatlichen Sektor wurden 2012 die Weichen zur Modernisierung der Wirtschaft gestellt. Neben den Rohstoffen Nickel und Kobalt wird zunehmend das Erdöl zum Standbein der kubanischen Wirtschaft. Mitte Dezember hat eine russisch-kubanische Offshore-Plattform mit Bohrungen zur Erforschung von Vorkommen in kubanischen Gewässern begonnen. Beide Seiten hoffen nach wie vor, dort große Mengen Erdöl fördern zu können. Daneben werden mit dem Ausbau des größten Containerhafens der Karibik im 50 Kilometer westlich von Havanna gelegenen Mariel und dem Wiederaufbau einer eigenen Handelsflotte die Grundlagen für künftige wirtschaftliche Zuwächse im maritimen Bereich geschaffen. Auch die traditionelle, aber zuletzt wenig erfolgreiche Zuckerindustrie soll mit Investitionen in Höhe von zehn Millionen US-Dollar pro Jahr modernisiert und international wieder an die Spitze gebracht werden. Schließlich werden die bereits vor einigen Jahren begonnene Produktion und der Export von Arzneimitteln weiter verstärkt, während Importe zurückgefahren werden, um Devisen zu sparen. Als wichtiger Faktor der Wirtschaft wird der Tourismus ausgebaut und mit anspruchsvollen neuen Angeboten ausgestattet.

Durch die Umsetzung der Leitlinien und die Modernisierung der Wirtschaft habe Kuba die größte Krise überwunden und könne mit Zuversicht in die Zukunft blicken, erklärte Staatschef Raúl Castro am 13. Dezember auf der letzten Parlamentssitzung in diesem Jahr. Zugleich wies er jedoch auch auf eine Reihe von Problemen hin, die die weitere Entwicklung gefährden. Vor allem in der Landwirtschaft komme das Land nicht auf die Beine, da Viehwirtschaft, Obst- und Gemüseanbau nicht annähernd die Planvorgaben erreichen. Als Folge müßten kostbare Devisen für Nahrungsmittelimporte ausgegeben werden, die dann woanders fehlen. Es sei »unhaltbar«, kritisierte Castro, daß Kuba sogar Kaffee importieren müsse. Angesichts der dramatisch steigenden Weltmarktpreise gehörten Verbesserungen in der Landwirtschaft, eine effektivere Arbeitsorganisation und der sparsamere Umgang mit Ressourcen zu den wichtigsten Herausforderungen der kommenden Jahre. »Wenn wir das nicht hinbekommen, können wir untergehen«, warnte der Präsident und beschrieb damit zugleich die wichtigsten Anforderungen an die über 600 Abgeordneten der Nationalversammlung in der kommenden fünfjährigen Legislaturperiode. Nach Abschluß der Wahlen zu den 168 Kommunalparlamenten, den Asambleas Municipales, im November dieses Jahres hat der Staatsrat den Wahltermin für die Provinzparlamente und die Nationalversammlung auf den 3. Februar 2013 festgelegt.

Außenpolitisch war der erste sozialistische Staat Amerikas 2012 auf Erfolgskurs, Bedeutung und Einfluß Kubas sind weiter gestiegen. Das zeigte sich auf Treffen der regionalen Bündnisse ALBA und CELAC, bei den in Havanna geführten Friedensgesprächen zwischen der FARC-Guerilla und der kolumbianischen Regierung und nicht zuletzt in der weltweit erhobenen Forderung nach Freilassung der in US-Haft festgehaltenen fünf kubanischen Antiterrorkämpfer. In Lateinamerika sind mittlerweile nicht die Positionen Kubas, sondern die seiner Gegner isoliert. Der bei manchen Kuba-Freunden umstrittene Papstbesuch im März, bei dem es den Diplomaten im Vatikan vor allem um das Ansehen der katholischen Kirche in Lateinamerika ging, hat der Welt demonstriert, daß eine Politik gegen Kuba auf dem Kontinent kaum mehr möglich ist. Benedikt XVI. hat nicht nur den aus Miami angemahnten Schulterschluß mit den in Kuba agierenden »oppositionellen« Söldnern verweigert, sondern auch die US-Blockade mit deutlichen Worten verurteilt. Wie isoliert die Politik Washingtons in der Welt ist, zeigte auch wieder die jährliche Abstimmung in der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Am 13. November verurteilten 188 der 193 Mitgliedsstaaten – mehr Länder als je zuvor – die von den USA seit 50 Jahren gegen Kuba aufrechterhaltenen Sanktionen.

Während die USA sich weder von päpstlichen Mahnungen noch dem Votum der Vereinten Nationen beeindrucken ließen, zeichnete sich in Europa ein vorsichtiges Umdenken ab. Ende November beschlossen die EU-Außenminister, die Bedingungen für ein bilaterales Abkommen auszuloten, das mittelfristig den »Gemeinsamen Standpunkt« der EU-Staaten gegen die sozialistische Insel ablösen könnte. Ein Grund für das Einlenken der Europäer war eine Woche zuvor auf einem Iberoamerikanischen Gipfeltreffen in Spanien deutlich geworden, als der dortige Monarch die lateinamerikanischen Staaten um Hilfe bei der Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise gebeten hatte. Selbst der erzreaktionäre König Juan Carlos mußte zur Kenntnis nehmen, daß Europa ohne Normalisierung seiner Beziehungen zu Kuba in Lateinamerika keine Chance hat.

Trotz solcher Einsichten setzten neben den USA auch rechte europäische Parteien und deren Stiftungen ihre subversiven Aktionen gegen das sozialistische Land fort. Dabei finanzierten sie nicht nur Desinformationskampagnen in den Medien, sondern ganz offen auch den Aufbau einer Fünften Kolonne in Kuba. Ein Unfall, bei dem der vom Ausland angeleitete »Dissident« Oswaldo Payá ums Leben kam, brachte die geheimgehaltene Einmischung der Europäer weltweit in die Schlagzeilen. Der als Tourist eingereiste Agent und Fahrer des Unfallfahrzeuges, Ángel Carromero Barrios, hatte Bargeld und Ausrüstung zum Aufbau verfassungsfeindlicher Gruppen im Gepäck.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 20. Dezember 2012


Kuba sucht seinen eigenen Weg

Bilanz 2012: Zwar wurden nicht alle Planziele erreicht, doch macht Wachstum in vielen Bereichen Hoffnung

Von Leo Burghardt, Havanna **


Das Resümee des Jahres 2012, das Kubas Parlament während der letzten Tagung seiner 7. Legislaturperiode gezogen hat, war gemäßigt optimistisch. Fast in allen Bereichen gab es Wachstum gegenüber 2011, obgleich fast überall die Planziele nicht erreicht wurden.

Da sei wohl mit den Plänen etwas nicht in Ordnung, hatte Präsident Raul Castro schon vor zwei Jahren bemängelt. Andere Gründe nannte der Minister für Wirtschaft und Planung, Adel Yzquierdo: Fehlende Integration bei den Investitionen, mangelnde Kontrolle, die verzögerte Vergabe von Krediten, »fehlerhafte technische Vorbereitung der Projekte« und ähnliches. Der Normalkubaner stellt fest, dass die Blockade der USA, so schmerzhaft sie auch ist, nicht länger zur Entschuldigung »eigener Fehler« herhalten darf, wie Raul Castro forderte. Das Ziel, das kubanische Sozialismusmodell zu aktualisieren, gewinne sichtbar an Gestalt. Gewiss sei noch viel zu tun, doch der Trend, eine nachhaltige, gedeihliche sozialistische Gesellschaft zu formen, sei unumkehrbar, sagte jetzt ein Abgeordneter.

Diese 7. Legislaturperiode waren fünf Jahre geballter gesetzgebender Aktivitäten, und es war unverkennbar, dass das Parlament für Präsident Castro und seine Mannschaft in Übereinstimmung mit den KP-Gremien zur wichtigsten Tribüne ihres »Aktualisierungsprozesses « geworden ist. Was wurde seit 2008 bewegt? Die Möglichkeiten für Beschäftigte auf eigene Kosten wurden erweitert. In diesem Sektor sind bereits 395 000 Bürger tätig. Es gab grünes Licht für die Gründung nichtlandwirtschaftlicher Genossenschaften, Kleinunternehmen in der Fischerei, Bauwirtschaft, bei Transport und Dienstleistungen. Drastisch wurden staatliche Planstellen in der Hoffnung gestrichen, dass sich viele selbstständig machen würden. Abertausende Hektar staatlichen Bodens wurden zur Nutzung an Interessenten übergeben, die eine Bewährungsprüfung bestanden hatten.

Das Institut für Wohnraumlenkung, ehemals ein Sumpf von Korruption und Nötigung, wurde aufgelöst und das, was sauber und brauchbar war, dem Ministerium für Bauwesen zugeordnet. Eine Kontrollbehörde (Controlaría General) soll die Korruption bekämpfen – eine der brisantesten Neuerungen. Sie ist allein dem Präsidenten und dem Parlament rechenschaftspflichtig und ihre Tätigkeit war vom ersten Tage an wirkungsvoll.

Das neue Gesetz für Sozialversicherung sieht u.a. vor, das Rentenalter für Frauen von 60 auf 65 und für Männer von 65 auf 70 Jahre heraufzusetzen; zugleich wird den Veteranen gestattet, weiter zu arbeiten, ohne den Rentenanspruch zu verlieren. Diese Entscheidung wurde nicht zuletzt wegen der unaufhaltsamen Überalterung im Lande getroffen.

Verständliche Verwirrung stiftete zunächst das Gesetz, dem zufolge die Kubaner zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert normale Steuern entrichten müssen. Dies hatten die Revolutionäre wie so vieles im Überschwang nach ihrem Sieg im Januar 1959 abgeschafft. Schließlich gab es die vom Volk mit Jubel begrüßte Reform der Reisebeschränkungen. Sie tritt am 14. Januar in Kraft.

Auch Tourismusminister Manuel Marrero konnte einen Wachstumsrekord verkünden: 4,9 Prozent; geplant waren fünf Prozent. 2,85 Millionen Besucher kamen nach Kuba, 319 000 mehr als 2011. Augenfällig sei, dass »wegen ihrer Krise weniger Italiener und Spanier eingereist sind«. Treu wie immer stehen die Kanadier an der Spitze, gefolgt von Briten, Argentiniern, Franzosen, Deutschen, Italienern, Russen, Spaniern und Mexikanern.

Marrero widmete einen Teil seiner Bilanz auch den 4280 privaten Zimmer- und 700 Wohnungsvermietern. Der Staat betrachtet sie heute nicht mehr als Konkurrenz, sondern als Ergänzung seines Angebots. Die staatlichen Anlagen hätten inzwischen schon private Dienstleister wie Animateure, Fotografen und Organisatoren für Feste verpflichtet. Mit Einkünften von 2,5 Milliarden Dollar steht der Tourismus an zweiter Stelle hinter dem Export von Dienstleistungen durch Mediziner, Krankenschwestern, Lehrer und Sportinstrukteure.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 27. Dezember 2012


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