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Neumitglied Kroatien bleibt das EU-Sorgenkind

Regierung versucht, mit Steuererhöhungen und Kürzungen bei den Sozialausgaben das Haushaltsdefizit zu drücken

Von Thomas Roser, Belgrad *

Mehr Arbeitslose, höhere Schulden und schlechte Wirtschaftsperspektiven: Die erhofften Segnungen des EU-Beitritts lassen beim Neuling Kroatien auf sich warten.

Die Kette der schlechten Nachrichten reißt für Kroatien auch im neuen Jahr nicht ab. Die Arbeitslosenquote des EU-Neulings ist laut den jüngsten Statistiken des nationalen Arbeitsamtes HZZ auf zuletzt 21,6 Prozent geklettert. Der Rekordzahl von insgesamt 380 116 Arbeitslosen standen zum Jahreswechsel gerade einmal 7277 Stellenangebote gegenüber. Auch bei der Jugendarbeitslosigkeit rangiert das südosteuropäische Land mit 49,2 Prozent in der Spitzengruppe – gleich hinter Griechenland und Spanien.

Eher freudlos und ohne große Erwartungen hatten die Bewohner des seit fast sechs Jahren in der Rezession vor sich hindümpelnden Adria-Staates ihrer neuen EU-Zukunft beim Beitritt im vergangenen Juli entgegen gesehen. Die zwei Drittel der Befragten, die schon damals in Umfragen den Beitritt eher skeptisch oder mit gemischten Gefühlen bewerteten, können sich sieben Monate später bestätigt fühlen: Statt des von Beitrittsbefürwortern erhofften Aufschwungs hat die mühsam erfochtene Mitgliedschaft den Kroaten bislang nur die Verlängerung ihrer Krise gebracht.

Der Wegfall der Zollbefreiung bei Ausfuhren in angestammte ehemalige jugoslawische Exportmärkte wie Bosnien-Herzegowina oder Serbien macht Kroatiens Wirtschaft genauso zu schaffen wie die verstärkte Konkurrenz durch EU-Importe auf den heimischen Märkten. Auch ein Investitionsboom, wie ihn einst Beitrittsländer wie die Slowakei oder Polen nach der ersten osteuropäischen EU-Erweiterung 2004 erlebten, ist in Kroatien ausgeblieben. Die Gründe: Zum einen hatte man die EU ausgerechnet inmitten deren Krise geentert. Zum anderen sind die Investoren, die kommen sollen, schon längst da – und nicht immer zufrieden. Denn mit Gesetzen allein lassen sich Korruption und ausufernde Bürokratie kaum bekämpfen.

Seit dem Beginn der Krise 2008 ist das kroatische Bruttoinlandsprodukt (BIP) um zwölf Prozent, die Höhe der ausländischen Direktinvestitionen gar um 80 Prozent geschrumpft. Die stotternde Konjunktur hat die Hoffnungen, dass der EU-Neuling 2014 erstmals seit fünf Jahren wieder ein kleines Wachstum aufweisen könne, schon früh getrübt: Die Wachstumsprognose für das laufende Jahr hat Zagreb von ursprünglich 1,3 auf mittlerweile 0,2 Prozent reduziert.

Befürchtungen, dass dem Adria-Staat ein weiteres Krisenjahr droht, spiegeln sich auch in Bewertungen der Ratingagenturen wieder: Wegen der sich abzeichnenden Verlängerung der Rezession und auch wegen des hohen Defizits hat Standard&Poor’s die Bonitätsnote Kroatiens Ende Januar um eine weitere Stufe auf ein mittelmäßiges »BB« abgesenkt – dieselbe Note erhält zurzeit Portugal. Die »kurzfristigen Vorteile« von Kroatiens EU-Beitritt würden durch fehlende interne Wachstumstreiber »begrenzt«, so die Analysten der Ratingagentur, die auch ausbleibende Strukturreformen und die »anhaltende Trägheit der Politik« kritisierten.

Geringere Steuereinnahmen als erhofft und das von der EU Ende Januar eingeleitete Verfahren wegen des überhöhten Haushaltsdefizits – die EU-Kommission erwartet im laufenden Jahr eine Neuverschuldung von 6,5 Prozent des BIP – haben die Zagreber Etatplanungen für das laufende Jahr zu allem Übel schon früh zur Makulatur gemacht. Um umgerechnet eine Milliarde Euro will Finanzminister Slavko Linic das Defizit reduzieren, um es noch 2014 zumindest unter die Fünf-Prozent-Marke zu drücken: Neben dem Drehen an der Steuerschraube und dem Anzapfen des Pensionsfonds sind erneute Abstriche beim Arbeitslosengeld, dem Gesundheitswesen und den Subventionen für die kostenträchtigen Staatsunternehmen geplant. Vor allem mit der Ankündigung einer zusätzlichen Immobiliensteuer hat der unpopuläre Kassenwart die Öffentlichkeit noch stärker gegen sich aufgebracht.

Bei den Kollegen in der EU kommen die Vorhaben dagegen besser an: »Ich glaube, es ist gut, dass Kroatien klar gemacht hat, dass es als neues EU-Mitglied seine Verpflichtungen erfüllen wird«, sagte etwa Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Und dies wird belohnt: Die EU-Finanzminister gaben bei ihrem Treffen Ende Januar in Brüssel Kroatien bis 2016 Zeit, die Maastrichter Defizitgrenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung wieder einzuhalten.

* Aus: neues deutschland, Montag, 10. Februar 2014


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