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Hartes Pflaster

Kroatiens linke Parteien spielen im aktuellen Wahlkampf keine Rolle. In dessen Zentrum steht die Eingliederung in die EU

Von Hannes Hofbauer, Zagreb *

Im Sommer 2007 steckt Kroatien mitten im EU-Aufnahmeverfahren. Der Acquis communautaire, der aus 31 Kapiteln bestehende »Gemeinschaftliche Besitzstand« der Brüsseler Union, wird gerade der nationalen Gesetzgebung übergestülpt. »Kroatien hat sich bereits 17 Kapiteln unterworfen, und heute wird das 18. fertig«, meint stolz die Staatssekretärin im Amt des Ministerpräsidenten, Martina Dalic. Das »Unterwerfen« kommt ihr ganz ungezwungen über die Lippen; die neue politische Klasse kann an dem Begriff keinen schalen Beigeschmack finden. Man ist angetreten, um »Europäer« zu werden. Die Spielregeln dazu werden in Brüssel aufgestellt. Also unterwirft man sich diesen. Punktum.

Die Chancen, den Westkurs beizubehalten, stehen gut. Wahlen zum Sabor, dem kroatischen Parlament, werden daran nichts ändern. Im November 2007 geht die Legislaturperiode der zur Zeit im Amt befindlichen Mitte-Rechts-Koalition zu Ende. Selbst ihre entschiedensten sozialliberalen Gegner räumen ein, daß ein Wechsel der politischen Führung mitten im Aufnahmeprozedere den EU-Beitritt aus technischen Gründen verzögern könnte. Neues Personal müßte sich in den Ministerbüros erst zurecht finden. Der Hrvatska demokratska zajednica (HDZ, Kroatische Demokratische Union), der mächtigsten Regierungspartei, werden vor diesem Hintergrund beste Chancen eingeräumt, im November zumindest stimmenstärkste Partei zu bleiben.

Von der EU geformt

In den Jahren vor dem angestrebten EU-Beitritt hat sich ein bipolares politisches System entwickelt. Wie in anderen EU-Ländern stehen eher konservative und nationale Kräfte eher fortschrittlichen und sozial orientierten gegenüber. Die HDZ führt den konservativ-nationalen Block, die Socijaldemokratska partija Hrvatske (SDP, Sozialdemokratische Partei Kroatiens) den sozialliberalen. Beide Seiten wechseln sich in Abständen in der Führung der Regierung ab.

Diese Spaltung gab es zu Beginn des modernen Kroatien nicht. »Im Jahr 1990 waren alle hier Nationalisten«, berichtet der kroatische Philosoph Zarko Puhovski. »Alle verstanden sich als gute Patrioten. Gemeint war nicht ein Verfassungspatriotismus, sondern ein Nationalpatriotismus.« Im Klartext: Der Gegner einte die kroatische Nation. Und der Gegner, das waren (und sind es bis heute) »die Serben«. Die »Lösung der serbischen Frage«, wie sie 1995 auf brutale Weise durch Vertreibung gelungen ist, stand im Zentrum kroatischer Identität.

Dieses Vorgehen erinnert an den faschistischen Ustascha-Staat der 40er Jahre. Wie stark kroatischer Faschismus und Unabhängigkeitsmythos 1991 miteinander verwoben waren, ist aus Politikerreden jener Tage zu erfahren. Nicht nur der damalige Präsident Franjo Tudjman (HDZ) oder der Milizenführer der paramilitärischen Kroatischen Verteidigungskräfte (Hrvatske Obrambene Snage, HOS), Dobroslav Paraga, sympathisierten mit der überwunden geglaubten Vergangenheit. Plötzlich wurden Ustaschi und deren »Führer« Ante Pavelic wieder salonfähig. Unlängst ist ein Video im kroatischen Fernsehen aufgetaucht, das den mittlerweile EU-kompatiblen und entsprechend demokratiegeprüften Präsidenten Stipe Mesic in radikalnationaler Pose zeigt. Es bestehe kein Anlaß, äußerte der damalige Tudjman-Parteigänger Mesic vor australischen Emigranten, im kroatischen Konzentrationslager Jasenovac, in dem Zehntausende Serben und Juden ermordet worden sind, niederzuknien. Im Gegenteil: Kroatien habe in den 40er Jahren zweimal gesiegt, und zwar 1941 unter den Ustaschi und 1945 an der Seite der Alliierten (Neue Zürcher Zeitung, 12.12.2006).

Auf solch seltsames Geschichtsverständnis kann man auch Jahre später noch aller Orten treffen. Zum Beispiel am Eingang der Werft der Adriastadt Rijeka. Dort wird auf zwei großen Marmortafeln nebeneinander der Opfer dieses Werkes in zwei Kriegen gedacht: als »Partisanen im Krieg gegen die Deutschen« (1941–45) und als »Heimatverteidiger gegen die serbische Aggression« (1991–95).

Im Sommer 2007, zwölf Jahre nach Kriegsende, stehen Krieg und Sieg nicht mehr ganz so hoch im Kurs. Statt dessen hat sich auf der politischen Bühne eine neue Harmonie ausgebreitet. Im Angesicht von Europäischer Union, Haager Tribunal, Weltbank, Internationalem Währungsfonds (IWF) und NATO beeilen sich die beiden großen politischen Parteien, ihre Führungsgarnituren von allem Personal zu säubern, das nicht den Anforderungen der neuen Herren entspricht. HDZ und SDP werden sich wieder – inhaltlich zwar anders als 1991, aber strukturell gleich – ähnlicher.

Das zentrale Thema vor allem für die HDZ ist der Umgang mit jenen, die in den eigenen Reihen als Helden und in Den Haag und Brüssel als Kriegsverbrecher gesehen werden. »De-Tudjmanisierung« heißt das dazugehörige Schlagwort. Im Vorfeld der Wahlen im Jahr 2003, als nach allerlei Korruptionsskandalen in den SDP-Reihen die HDZ als Favoritin dastand, mußte ein schwieriger Balanceakt vollführt werden. HDZ-Chef Ivo Sanader hatte eben noch auf so gut wie allen Wahlveranstaltungen versprochen, sich vor »seine« Leute, also vor die in Den Haag angeklagten Generäle zu stellen. Nun, im Angesicht des möglichen Wahlsieges, drängten ihn die Spitzen der sogenannten internationalen Gemeinschaft zur Unterordnung. Sanaders vormaliger Widersacher, der mittlerweile aus der HDZ ausgeschlossene Ivic Pasalic, ist sich sicher, daß es vor den Wahlen Gespräche zwischen Brüsseler Kommissaren und Sanader gegeben habe, in denen letzterer drei Dinge versprechen mußte: volle Kooperation mit Den Haag, Aufgabe der Schutzmachtfunktion für die bosnischen Kroaten und Unterstützung für die Rückkehr der Serben nach Kroatien. Alle drei Forderungen, die Sanader übrigens – entgegen dem HDZ-Parteiprogramm und der Parteibasis – zur vollsten Zufriedenheit der »internationalen Gemeinschaft« erfüllt, trafen die Tudjman-Partei inhaltlich ins Mark. Das lebende Symbol des kroatischen »Heimatkrieges«, Ante Gotovina, sitzt längst in Den Haag ein. »Sollte er dort verurteilt werden«, meint Ivic Pasalic nach seiner Logik zu Recht, »dann bedeutet dies, daß Kroatien auf Basis eines Kriegsverbrechens gegründet worden ist. In den künftigen Schulbüchern müßte dann stehen, daß es nicht Helden waren, die uns 1991 in die Unabhängigkeit geführt haben, sondern Kriegsverbrecher.«

Tatsächlich zielt der Druck von außen in diese Richtung. Auch wer die kroatische Unabhängigkeitsbewegung von Anfang an als sezessionistisch und den »Heimatkrieg« als illegitim eingeschätzt hat, kann dem plumpen Kolonialgehabe, wie es in Brüssel nun gegenüber der postjugoslawischen Elite in Zagreb an den Tag gelegt wird, nicht kritiklos gegenüberstehen. Oder schärfer: Gerade weil die deutsche und die österreichische Hetze die kroatischen Sezessionisten in den Krieg getrieben hat, kann man als Linker 15 Jahre später nicht die neokoloniale Neuinterpretation übernehmen. Schadenfreude wäre hier völlig fehl am Platze. Struktur und Ziele der Bonner bzw. Berliner, sprich: Brüsseler, Politik sind über die Jahrzehnte dieselben geblieben. Zuerst ging es um die Zerschlagung Jugoslawiens, dessen destruktive innere Kräfte man vor allem in Form des kroatischen Nationalismus unterstützt hatte. Nach vollbrachter Tat erkannten die Brüsseler Kommissare plötzlich die Gefahr eines kroatischen Nationalbewußtseins. Schon die seltsame korporatistische Art der Privatisierung unter Tudjman war den EU-Erweiterern höchst suspekt, kamen doch kroatische Kriegsgewinnler und das Umfeld des Führers zu billigen Schnäppchen und nicht, wie vorgesehen, die akkumulationshungrigen Firmen zwischen Berlin und Rom. Das Haager Tribunal bot den besten Rahmen für die gewünschte Unterordnung. Dem politischen Überbau folgt die ökonomische Übernahme auf dem Fuß. Wer sich dagegen ausspricht, wird als unverbesserlicher Nationalist und Europafeind gebrandmarkt. Wer die Wende in Kroatien mit vollzieht, die für Brüssel eigentlich koloniale Kontinuität bedeutet, kann mit Belohnungen rechnen – sogar dann, wenn er zu Hause von den Parteien und Gemeinschaften mit Verachtung bestraft würde. Immerhin stehen in der Brüsseler Bürokratie für jene, die national abgewählt werden, bestens dotierte Posten vom Kommissar abwärts bis zum Berater des Beraters des Beraters zur Verfügung.

Die konkurrierenden Parteien

Neben der mit 63 Abgeordneten (von 151) im Sabor vertretenen HDZ sitzt als zweitstärkste Kraft die SDP mit 34 Volksvertretern im kroatischen Parlament. Sie gilt als Nachfolgerin der Kommunisten und führt seit 1993 den Begriff »sozialdemokratisch« im Namen. Nach ihrem Zusammenschluß mit einer sozialliberalen Kraft, der Hrvatska socijalno-liberalna stranka (HSLS, Kroatische Sozial-liberale Partei) konnte sie Anfang 2000 die Parlamentswahlen gewinnen und stellte mit Ivica Racan drei Jahre lang den Ministerpräsidenten. Im Wettstreit der Farblosigkeit steht sie sozialdemokratischen Gruppierungen anderer EU-Länder in nichts nach.

Interessanter ist da schon die Entwicklung der faschistisch-nationalen HSP zur pflegeleichten Partei auf der Suche nach der politischen Mitte. Die Hrvatska Stranka Prava (HSP, Kroatische Rechtspartei) versteht sich in der Tradition der 1861 gegründeten gleichnamigen Gruppierung. Nach mehreren Spaltungen entstand im jugoslawischen Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen aus ihrem radikalen Flügel die faschistische Ustascha-Bewegung, aus der heraus Ante Pavelic ein kurzlebiges Kroatien von Hitlers Gnaden schuf. 1990 kam es zur Wiedergeburt. Die HOS-Milizen gehörten zu den brutalsten Truppen auf den Schlachtfeldern des zerfallenden Jugoslawien; sie waren nicht nur in Kroatien, sondern auch in Bosnien-Herzegowina präsent. Nach den Parlamentswahlen 2003, bei denen die HSP sieben Mandate erreicht hatte, wandelten sich Outfit und Inhalt der Partei. Ihr Chef, Anto Djapic, legte das Neo-Ustascha-Vokabular ab, fuhr zu höheren Weihen nach Israel und verkündete am Höhepunkt der Wandlung, daß der Nezavisna država Hrvatska (NDH), der Unabhängige Staat Kroatien, des Ante Pavelic kein selbstbewußtes Kroatien war, sondern ein »vom faschistischen Deutschland abhängiger« Staat (Nacional, 20.12.2006). Abspaltungen auf der Rechten versuchen unter Namen wie »HSP 1861« oder »Nur Kroatien« die rechtsradikale Tradition fortzusetzen.

Bleibt noch von einer Besonderheit des kroatischen Parteienspektrums zu berichten: der ­Hrvatska stranka umirovljenika (HSU), der Kroatischen Rentnerpartei. Die 1,2 Millionen Pensionäre (bei 1,5 Millionen Beschäftigten und 4,4 Millionen Bürgern insgesamt) bilden ein breites Rekrutierungsreservoir für die 1996 gegründete Gruppe, die im Jahre 2003 mit drei Abgeordneten ins Parlament gewählt worden ist. »Wir haben keine politische Orientierung«, meint HSU-Präsident Vladimir Jordan, »unsere Aufgabe besteht darin, die alten Menschen ins moderne Kroatien zu integrieren«. Die kleine HSU hat sich der HDZ angeschlossen, würde aber bei geänderter politischer Großwetterlage, wie Jordan freimütig bekennt, auch andere Koalitionspartner wählen.

Es waren die staatlich verordneten und vom IWF eingeforderten Rentenkürzungen zwischen 1993 und 1998 um insgesamt 50 Prozent, die die Alten auf die Barrikaden gebracht haben. »Beim Verfassungsgerichtshof haben wir erwirkt«, erklärt Jordan, »daß es dafür eine Entschädigung geben muß. Aber die Regierung hat den Spruch weitgehend ignoriert.« Die Gründung der HSU war die Folge. Mit 60000 Mitgliedern kann sich die Rentnerpartei sehen lassen. Mit einem verzweigten Netz an kleinen Gruppen hat sie sich zudem eine Struktur aufgebaut, die nicht von einem Tag auf den anderen aufgelöst werden kann. Und noch eine Tatsache dürfte in den kommenden Jahren ihre Existenz sichern: IWF, Weltbank und Europäische Union drängen die Regierung in Zagreb zu Sparmaßnahmen. Die unüblich hohe Anzahl von Rentnern belastet nach deren Logik den Staatshaushalt über Gebühr. Für Jordan und seine Alten bleibt daher viel zu tun.

Wer vertritt die Serben?

Milorad Pupovac arbeitet in einem kleinen Büro gleich hinter dem Zagreber Jelacic-Platz. Nichts deutet am Eingang des mehrstöckigen Hauses darauf hin, daß hier die Vertretung der Serben in Kroatien ihren Hauptstadtsitz hat. Ein Notar und das lokale Zentrum für eine kleine liberale Partei machen mit metallenen Plaketten auf sich aufmerksam. Von Serben steht hier nirgendwo etwas. Im ersten Stock fällt einem das Kürzel »SNV« auf: Srpsko Narodno Vijece (Serbische Nationalversammlung). Unter einem Porträt von Josip Broz Tito empfängt mich Milorad Pupovac, Vertreter der Serben in Kroatien.

Sonore Stimme, angenehmes Äußeres. Pupovac hinterläßt Eindruck. Die Serbische Nationalversammlung ist in Kroatien bekannt, er selbst medial präsent. Mit der SNV verhält es sich in der Öffentlichkeit umgekehrt proportional zum versteckten Büro in der Zagreber Innenstadt. Gegründet wurde die Serbische Nationalversammlung auf Basis einer kroatischen Regierungserklärung im Jahr 1997. Doch ihre Tradition wurzelt tiefer. Pupovac erklärt die Geschichte der Autonomie der Serben in Kroatien vom 17. Jahrhundert an. Mit der territorialen Autonomie ist es seit der Oluja, dem »Gewittersturm«, der Verfolgung der Serben im Jahr 1995, vorbei. Die persönliche Autonomie gestaltet sich seither mühsam.

Von den 300000 vertriebenen Serben – Pupovac setzt die Zahl überraschend niedrig an – seien 70000 bis 80000 zurückgekommen. Die offizielle Zahl von 140000 will er nicht bestätigen. »Da gab es Anträge auf Rückkehr, vielleicht auch den einen oder anderen Besuch. Aber die meisten haben sich nicht entschieden, sie pendeln zwischen ihrem aktuellen Wohnsitz und ihrer Heimat.« Die Probleme der vertriebenen Serben sind fundamental: Ihre Häuser sind großteils zerstört oder von Kroaten, die z. B. aus Bosnien fliehen mußten, besiedelt, Arbeitsmöglichkeiten gibt es kaum. Wer kommt, muß de facto neu beginnen. »Im Schnitt hat sich die serbische Bevölkerung Kroatiens auf dem Land um zwei Drittel und in der Stadt um die Hälfte reduziert«, meint Pupovac. Selbst in Zagreb, wo es keine militärische Vertreibung gegeben hatte, ist jeder zweite Serbe weggezogen. »1991 haben die meisten ihre Arbeitsstelle verloren, viele auch ihre Wohnung«, erzählt Pupovac von den schlechtesten Tagen der serbischen Kommunität in der Hauptstadt. »Damals kamen Kroaten in Uniform, Gewehr geschultert, und haben nur gesagt: ›In 15 Minuten!‹. Die Leute verstanden und gingen weg.«

Und heute? Wie ist die Situation im Jahr 2007? »Man fürchtet sich immer noch davor, sich als Serbe zu deklarieren. Es ist sonderbar. Freilich wissen die Nachbarn, daß man Serbe ist, aber man sagt es nicht. Viele nennen sich ›orthodox‹. Das entspricht der kroatischen nationalen Philosophie, nachdem wir Serben eigentlich orthodoxe Kroaten seien.«

Das aktuelle Hauptproblem besteht darin, als Vertriebener (s)eine Wohnung zu bekommen. Bis 1996 hätte man sich laut kroatischem Gesetz melden müssen, um das meistens in sozialem Eigentum befindliche Appartement auf seinen privaten Besitz überschreiben zu lassen. Die Krux dabei: Just zu jenem Zeitpunkt war die Mehrheit der Serben außer Landes getrieben. Um diese beiden Vertreibungen aus der Krajina und aus Slawonien im Mai und August 1995 geht bis heute ein Rechtsstreit. Die offizielle kroatische Geschichtsschreibung kennt nämlich keine »Vertreibung«, sondern spricht von einem freiwilligen »Rückzug« der serbischen Bevölkerung, der vom Präsidenten der damaligen »Republik Serbische Krajina«, Milan Matic, logistisch vorbereitet und durchgeführt worden wäre. Milorad Pupovac und seine Serbische Nationalversammlung kämpfen darum, trotz sogenannter Fristversäumnis in die Eigentumsrechte einzutreten. Und sie tun das mit relativem Erfolg. Tausende zerstörte Häuser sind mittlerweile wieder aufgebaut worden, die Vertriebenen kehren zum Teil zurück. Basis dieses Erfolgs ist die Kooperation zwischen der Serbischen Nationalversammlung und der HDZ. Als »Koalitionäre« will Pupovac die serbischen Abgeordneten nicht gelten lassen, »strukturelle Kooperation« nennt er die Zusammenarbeit. »Da es mangels Industrie keine Industrielobby in Kroatien gibt«, lacht der Serbenvertreter, »holen wir uns die Mittel von der Regierung.« Spezifisch regionalpolitische EU-Programme für vom »Heimatkrieg« verwüstete Gebiete vermißt Pupovac indes, das Geld für den Wiederaufbau kommt seiner Auskunft nach aus nationalen, kroatischen Quellen. Der Druck der EU, vertriebene serbische Familien wieder aufzunehmen, existiert dennoch. Zu viele sollten es zunächst freilich nicht werden, die den Weg zurück in die alte Heimat finden. Tudjman gab für die serbische Minderheit drei Prozent der kroatischen Bevölkerung vor. Das bestätigt auch Pupovac, indem er von einer Episode erzählt, die er mitten im »Heimatkrieg« erlebt hatte. Damals ließ ihn Tudjman rufen und fragen, wie viele sie denn jetzt noch seien. »›Seid ihr noch mehr als drei Prozent?‹ wollte der General von mir wissen. Ich antwortete wahrheitsgemäß, daß ich es nicht wüßte. Aber bitte, meinte ich: Laßt sie gehen, ohne sie zu schlagen.« Mitte 2007 beträgt der serbische Bevölkerungsanteil, der vor dem Krieg über zwölf Prozent ausgemacht hatte, knapp sechs Prozent, »und weitere zwei Prozent, die sich nicht zu bekennen getrauen«.

Kroatiens Linke

Kroatien ist ein hartes Pflaster für linke Politik. Der identitätsstiftende »Heimatkrieg« mit seiner Vertreibung der serbischen Bevölkerung hat so gut wie sämtliche politischen Akteure nationalisiert, dem nationalen Lager zugeordnet. Wer in den 90er Jahren keinen Sinn für den nationalistischen Widersinn aufbrachte, wie der frühere jugoslawische Bildungsminister Stipe Suvar, der mußte um sein Leben fürchten. Nachdem er sich an die Spitze einer kleinen Demonstration gestellt hatte, die gegen den NATO-Angriff auf (Rest-)Jugoslawien protestierte, wurde Suvar am 3. Juni 1999 mitten in Zagreb mit einer Pistole attackiert. Es war bereits das dritte Attentat auf den bekannten kroatischen Jugoslawen. Mittlerweile ist der frühere kommunistische Chefideologe verstorben, nicht ohne allerdings zuvor eine kleine Linkspartei gegründet zu haben. Die Socijalisticka Radnicka Partija (SRP, Sozialistische Arbeiterpartei) kann als letzter Ausläufer titoistischer Ideologie in Kroatien betrachtet werden. Ihr politischer Sekretär, Goiko Maricic, 67 Jahre alt, nennt im Gespräch die »Wiederherstellung der Arbeiterselbstverwaltung« als Parteiziel.

Im Garten vor dem SRP-Büro in der Zagreber Innenstadt hält ein halbes Dutzend junger Leute ein politisches Seminar ab. Die bevorstehenden Parlamentswahlen im November 2007 werden mitten im Hochsommer vorbereitet. Insgesamt 1800 Mitglieder, so die Auskunft von Maricic, zählt die SRP über das Land verteilt. Mit knapp einem Prozent der Stimmen blieb sie bei den Wahlen 2003 unterhalb der Fünf-Prozent-Klausel. »Wir leiden unter der schlechten Reputation des alten Regimes und unter dem Ustascha-Revival der 90er Jahre«, versucht Goiko Maricic die Schwäche seiner Partei zu erklären. Und unter Nostalgie, möchte man als Grund dafür ergänzen, warum dieser Linken der Schwung fehlt, dessen es in Umbruchszeiten bedürfte. Die Europäische Union wird von Maricic als »imperialistisches Projekt« begriffen, gleichzeitig vermerkt er aber, daß es in der SRP auch Stimmen gibt, die der »externen Dynamik der EU« ein Gewicht zumessen, das für Kroatien z.B. im Sinne antikorruptionistischer Maßnahmen positiv bewertet wird.

Nicht viel besser als die radikale Linke steht die kroatische Gewerkschaftsbewegung da. Die schiere Anzahl von Vereinigungen und Bünden zeugt von ihrer Zersplitterung. Insgesamt 23 sich als zentral verstehende Gewerkschaftsföderationen sowie über 100 Berufs- und Branchengruppen bemühen sich um die Vertretung von abhängig Beschäftigten. Die weitaus größte Konföderation, die SSSH, weist einen Mitgliederstand von 250 000 auf. Der Savez samostalnih sindikata Hrvatske (SSSH, Bund autonomer Gewerkschaften Kroatiens) steht in der Nachfolge der ehemaligen Staatsgewerkschaft. Im Büro des Gewerkschaftshauses, einem beeindruckenden konstruktivistischen Bau aus der Zwischenkriegszeit, empfängt mich Mario Svigir.

Die in 15 Jahren halbierte Mitgliederzahl verschweigt der Chefökonom keineswegs. Er ist sich der Schwierigkeiten gewerkschaftlicher Arbeit in Wendezeiten bewußt. Seine Hoffnung ruht auf der Europäischen Union. Nicht, daß er ein blinder Anhänger der Brüsseler Union wäre, aber »wir unterstützen den Beitritt Kroatiens, weil wir damit auf einem politischen Terrain agieren können, das wir national nicht zur Verfügung haben«. Gemeint sind Forderungen nach mehr Sozialpolitik und die (Wieder-)Einführung wohlfahrtstaatlicher Einrichtungen. Der fast naiv wirkende Wunsch ist auch Vater des gewerkschaftlichen Gedankens, wenn der SSSH-Chefökonom über seine Zielvorstellungen schwärmt: »Die SSSH beschwört das österreichische System als Vorbild, es ist sehr nahe am Optimum.« Wenn Svigir damit den nominellen Durchschnittslohn meint, ist sein Traum verständlich, allerdings: Politischen Voluntarismus verträgt eine Gewerkschaft nur in Maßen.

* Hannes Hofbauer ist Historiker und Publizist aus Wien. Von ihm erscheint im November 2007 das Buch "EU-Osterweiterung. Historische Basis – ökonomische Triebkräfte – soziale Folgen" im Wiener Promedia Verlag.

Aus: junge Welt, 25. August 2007



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