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Kyrillisch unerwünscht

Kroatien: Nationalistische Ausschreitungen in Vukovar

Von Roland Zschächner *

An Montag kam es in der kroatischen Stadt Vukovar zu nationalistischen Ausschreitungen gegen »zweisprachige« Tafeln an staatlichen Gebäuden. Zu den Protesten hatte der »Rat für die Verteidigung eines kroatischen Vukovars«, ein Zusammenschluß von antiserbischen Veteranen, aufgerufen. Auch katholische Geistliche und Jugendliche folgten dem Aufruf. Die Demonstranten zogen vor öffentliche Einrichtungen und zerstörten mit Hämmern die dort angebrachten Beschilderungen. Auf diesen wurde neben der lateinischen auch die im Serbischen gängige kyrillische Schreibweise verwendet. Die Attacken richteten sich gegen die lokale Steuerbehörde, die Polizei sowie die Stadtverwaltung. Vier Polizisten und zwei Demonstranten wurden verletzt, sechs Personen, darunter auch einer der Organisatoren, festgenommen. Am Dienstag mittag marschierten erneut zirka 400 Demonstranten unter dem Motto »Wir geben Vukovar nicht her«, diesmal friedlich, durch die Stadt. Zudem forderten sie die Freilassung der am Vortag Inhaftierten.

In Vukovar, unmittelbar an der Grenze zu Serbien gelegen, haben sich bei der letzten Volkszählung 2011 über 33 Prozent der Einwohner als serbisch deklariert. Im gesamten Land fühlen sich knapp fünf Prozent der Bürger dieser Volksgruppe zugehörig. Nationalen Minderheiten werden in Kroatien durch entsprechende Gesetze weitreichende Rechte eingeräumt. In den Gebieten mit hohen Anteil von Minderheiten, ist eine zweisprachige Beschriftung öffentlicher Einrichtungen vorgesehen. Dies bedeutete für die Gemeinde Vukovar, daß sowohl lateinische wie auch kyrillische Schriftzeichen zur Anwendung kommen können.

Der sozialdemokratische Präsident Kroatiens, Ivo Josipovic, verurteilte die Ereignisse in Vukovar. Er wies darauf hin, daß die Rechte der Minderheiten gesetzlich verbrieft seien und dies zum politischen Konsens des Landes gehöre. Auch rief er dazu auf, nicht in das Jahr 1991 zurückzufallen. Damals begannen die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen serbischen und kroatischen Bevölkerungsgruppen und die anschließende 81tägige Belagerung der Stadt. Auch der sozialdemokratische Bürgermeister Vukovars, Zeljko Sabo, rief, wie die serbische Zeitung Danas am 3. September berichtete, zu friedlichen und würdigem Verhalten auf. Vukovar solle nicht Beirut werden, appellierte Sabo in einer Pressekonferenz an die Bevölkerung. Ein Vertreter der Unabhängigen Demokratischen Serbischen Partei, Srdjan Milakovic, sagt der Zeitung Slobodna Dalmacija vom 3. September, daß es sich bei den Protestierenden lediglich um einige hundert Menschen handele, die nicht die Mehrheitsmeinung der Stadt repräsentieren würden.

Der Protest wurde vor allem von ehemaligen Kriegsteilnehmern der 1990er Jahre organisiert und getragen. Die Veteranenverbände, sich als moralische Instanz und Wahrer der kroatischen Nation darstellen, haben einen nicht unerheblichen Einfluß auf die kroatische Politik. Ihre Aktionen sorgen immer wieder für Aufsehen und führen zu Spannungen zwischen den ehemaligen jugoslawischen Republiken Kroatien und Serbien. Die Verbände waren unter anderem im April 2011 maßgeblich bei gewalttätigen Ausschreitungen in fast allen großen Städten des Landes beteiligt. Auslöser damals war die Verurteilung des ehemaligen Generals und Fremdenlegionärs Ante Gotovina vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag. Das Tribunal, das für die einseitige Schuldzuweisung an serbische Militärs und Politiker eingerichtet wurde, verurteilte wider Erwarten den ehemaligen Mafioso und Befehlshaber während der Vertreibung der Serben 1995 zu einer 24jährigen Gefängnisstrafe. Diese wurde jedoch in der anschließenden Berufungsverhandlung Ende 2012 in einen Freispruch umgewandelt.

Vukovar ist sowohl für Serben wie auch Kroaten ein national stark aufgeladenes Symbol. Während des jugoslawischen Zerfallskrieges war die Stadt zwischen 1991 und 1995 massiv umkämpft. Neben der jugoslawischen und kroatischen Armee standen sich verschiedene Freiwilligen- und paramilitärische Verbände gegenüber. Zahlreiche Kriegsverbrechen an Zivilisten wurden begangen. Die Stadt wurde fast vollständig zerstört und der Großteil der Einwohner vertrieben. Erst 1998 kam es zu Wiedereingliederung Vukovars und des umliegenden Bezirkes in den kroatischen Staatsverband.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 5. September 2013


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