Zagreb pflegt Kriegsmythen
Der serbisch-kroatische Politiker Milorad Pupovac über Kroatiens Verhältnis zu seiner Minderheit *
Am 5. August feiert Kroatien den »Tag des Sieges und der heimatlichen Dankbarkeit«. Man gedenkt des Jahrestages der »Operation Oluja« (Sturm), durch die Kroatien 1995 die »Republik Serbische Krajina« mit der Hauptstadt Knin eroberte. Die Krajina-Serben hatten die Trennung Kroatiens vom damaligen Jugoslawien nicht hinnehmen wollen, ihre Streitkräfte hatten 1991 viele kroatische Zivilisten aus ihrer »Republik« vertrieben und getötet. Bei der »Rückeroberung« durch die kroatische Armee kam es zu Massakern an serbischen Zivilisten, nach Angaben von Nichtregierungsorganisationen wurden rund 22 000 Häuser zerstört. Binnen weniger Tage flohen 200 000 Serben aus Kroatien.
Die Ereignisse im August 1995 belasten die kroatisch-serbischen Beziehungen bis heute. Angesichts der kroatischen Siegermentalität und der Vernachlässigung der serbischen Opfer hat bisher nie ein offizieller Vertreter der serbischen Minderheit an der Gedenkfeier zum Jahrestag der »Operation Sturm« teilgenommen.
»nd« befragte Milorad Pupovac (58), Vizevorsitzender der Unabhängigen Serbisch-Demokratischen Partei (SDSS) und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des kroatisches Parlaments. Pupovac steht dem Serbischen Nationalrat vor, der Dachorganisation der Serben in Kroatien. Mit ihm sprach Jerko Bakotin.
Herr Pupovac, werden Sie oder ein anderer Vertreter der SDSS dieses Jahr bei der Feier zum Jahrestag der »Operation Sturm« anwesend sein?
Wir haben keinerlei Kenntnis davon, wie die Gedenkfeier dieses Jahr verlaufen wird. Also vermuten wir, dass sie genauso wie in den Vorjahren abläuft. Überdies sehen wir in einem Jahr, in dem Serben verhaftet werden – auf eine Art und Weise, die Ängste vertieft und die Rückkehr der Flüchtlinge unmöglich macht – und in dem wieder einmal Denkmäler für die Opfer des Ustascha-Regimes 1941 abgerissen werden, keine Grundlage dafür, dass Vertreter der Institutionen der serbischen Gemeinschaft an den Feierlichkeiten in Knin teilnehmen könnten.
Wie beurteilen Sie allgemein die Lage der serbischen und anderer Minderheiten in Kroatien?
Natürlich wurden in den vergangenen Jahren Fortschritte gemacht, aber es gibt nach wie vor Probleme, darunter die Verhetzung, die Diskriminierung und die Vernachlässigung der Gebiete, in denen Serben ansässig sind – Gebiete, die im Krieg verwüstet wurden und in die serbische Bewohner zurückgekehrt sind. Weitere Fortschritte sind notwendig, vor allem was die Beschäftigung im öffentlichen Dienst betrifft. Der Anteil der Serben und der Mitglieder anderer Minderheiten in Polizei, Justiz, Verwaltung und öffentlichem Dienst hat sich nicht vergrößert, er verringert sich vielmehr. Dabei gehörte die Verbesserung der Lage zu den Voraussetzungen für den Abschluss der Verhandlungen mit der EU.
Offen bleiben darüber hinaus Fragen des Schutzes des Grundeigentums oder der Wohnungsversorgung derer, die im Krieg ihre Häuser verloren haben. Da geht es sehr langsam voran. Auch das Gesetz, das den offiziellen Gebrauch der Sprache und der Schrift regelt, wird nur auf sehr niedrigem Niveau eingehalten – vor allem, was die Toleranz gegenüber der kyrillischen Schrift anbetrifft. Zudem leiden die Gebiete, in denen Serben als Rückkehrer leben, unter hoher Arbeitslosigkeit – zwischen 50 und 80 Prozent – und einer sehr wenig entwickelten Infrastruktur.
Was bedeutet der EU-Beitritt für die Minderheit und für Kroatien als Ganzes? Vor dem Hintergrund, dass Kroatien ein relativ armer Staat ist, und in Anbetracht der neoliberalen EU-Politik herrschen besonders in der Linken Ängste, dass sich die wirtschaftliche Situation weiter verschlechtert.
Leider hat sich Kroatien zu wenig sich selbst gewidmet. Es hat sich mit seinen Kriegsmythen beschäftigt, es war bemüht, den Bevölkerungsanteil der Serben und anderer Minderheiten unter einer bestimmten Prozentmarke zu halten, und es hat an der Distanz gegenüber den anderen Saaten des ehemaligen Jugoslawiens gearbeitet. Damit und mit der Anstrengung, so bald wie möglich EU-Mitglied zu werden, hat sich Kroatien erschöpft, statt sich mit den Kriegsfolgen und der Tatsache auseinanderzusetzen, dass die Transition vielfach räuberisch war und dass unsere Wirtschaft auf einem besonders schlechten Niveau ist. Daher erwarten wir, dass Kroatien seinen Platz in der EU findet und sich nun seiner Wirtschaft, seinen Bürgern und ihren Interessen widmet – auch den eigenen Minderheiten, vor allem den Serben. Die Serben in Kroatien sind der erste Teil des serbischen Volkes, der zusammen mit Kroatien in die EU eintritt. Deswegen werden Probleme der serbischen Gemeinschaft künftig nicht mehr nur ein kroatisches, sondern ein europäisches Problem sein. Sie stellen eine Herausforderung hinsichtlich der neuen Minderheiten innerhalb der Union dar.
Wie beurteilen Sie die heutigen Beziehungen zwischen Kroatien und Serbien?
Die Beziehungen waren in den vergangenen ein bis zwei Jahren unterkühlt, mit der Tendenz zur Verschlechterung. Doch dank der Tatsache, dass die neue Regierung Serbiens einen pro-europäischen Kurs eingeschlagen hat und zur regionalen Politik zurückgekehrt ist, wie sie der ehemalige Präsident Boris Tadic betrieben hatte, beginnen sie sich zu normalisieren. Zu Beginn der Amtszeit des derzeitigen serbischen Präsidenten Tomislav Nikolic gab es Aussagen, die manche Staaten der Region nicht nur verwirrt, sondern beunruhigt haben, vor allem in Bezug auf die kroatisch-serbischen Beziehungen. Aber das hat sich geändert, Präsident Nikolic trägt nun zur Entwicklung der Regionalpolitik bei.
Die ausgeprägt pro-europäische Politik der serbischen Regierung überrascht angesichts der Tatsache, dass sie von Politikern mit sehr nationalistischem Hintergrund verfolgt wird.
Was die politische Umkehr der serbischen Regierung – vor allem der führenden Serbischen Fortschrittspartei (SNS) – in Bezug auf die EU betrifft, erinnert sie an die Zeit, als um das Jahr 2003 in Kroatien Ivo Sanader und die Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) an die Macht kamen und zu einer stark pro-europäischen Politik übergingen, ebenso wie zu einer aktiveren Minderheitenpolitik. Wir hoffen, dass in Serbien nicht die gleichen Probleme produziert werden wie in Kroatien unter Sanader (Der ehemalige Premier wurde 2012 wegen Korruption zu zehn Jahren Haft verurteilt, ein Prozess gegen seine Partei HDZ läuft noch – d.Red.). Doch sehen wir die positiven Komponenten, die bei Sanader erkennbar waren, auch in der Politik des serbischen Präsidenten Nikolic und des Vizepremiers Aleksandar Vucic. Bezüglich der Beziehungen zu Kosovo – so sehr dies auch der früheren SNS-Rhetorik widersprechen mag – war zu erwarten, dass eine solche Umkehr für eine rechte Partei, die ihren Patriotismus nicht beweisen muss, einfacher ist. Dabei war auch die Rolle von Premierminister Ivica Dacic herausragend, und sie bleibt es.
* Aus: neues deutschland, Montag, 5. August 2013
Serben in Kroatien
Nach den jüngsten verfügbaren Angaben (aus dem Jahr 2011) gehören von Kroatiens knapp 4,3 Millionen Einwohnern 186 000 der serbischen Minderheit an. Das sind etwa 4,4 Prozent der gesamten Bevölkerung.
Während des Krieges zwischen 1991 und 1995 haben rund 300 000 Serben Kroatien verlassen. Offiziell sind bis heute 132 000 zurückkehrt – also fast die Hälfte. Aber 45 Prozent davon haben das Land wegen der schwierigen Lebensbedingungen wieder verlassen.
Zum Vergleich: 1991 lebten in Kroatien 582 000 Serben (12,2 Prozent). Dazu kamen 106 000 (2,2 Prozent), die sich »Jugoslawen« nannten und sicherlich zu einem guten Teil Serben waren.
Im Vergleich zur Vorkriegszeit hat sich die Zahl der Serben in Kroatien um mehr als zwei Drittel verringert.
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