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Die Armen zahlen

Kroatien macht sich mit Sozialabbau fit für die EU. Referendum am Sonntag

Von Inge Höger und Carsten Albrecht *

In der Europäischen ­Union herrscht Krisenstimmung. Aber viele Kroaten verbinden mit dem Beitritt ihres Landes zu »Europa« Hoffnungen auf eine bessere Zukunft, auf Wohlstand und eine Reisefreiheit, die die älteren noch aus jugoslawischen Zeiten kennen. Anfang 2011 gab es dennoch Demonstrationen gegen die EU in mehreren kroatischen Städten. Sie ließen sich nicht eindeutig politisch einordnen, denn neben linken Gruppen hatten sich auch Nationalisten daran beteiligt. Dennoch waren diese Proteste Ausdruck einer wachsenden Skepsis gegenüber der »europäischen Integration«. Gerade das Beispiel Griechenland zeigt den Kroaten, was ihnen blüht, wenn sie zu diesem Staatenbund gehören: von Brüssel diktierter Sozialabbau.

Am Sonntag (22. Jan.) wird es ein Referendum über den geplanten EU-Beitritt geben. Laut Umfragen ist eine Zweidrittelmehrheit für den Anschluß an den Block sicher. Die linksgerichtete dänische »Volksbewegung gegen die EU« hat die Kroaten dazu aufgerufen, mit Nein zu stimmen. Jetzt sei der »denkbar schlechteste Zeitpunkt«, heißt es in der Erklärung. Die aktuelle Euro-Krise stelle eine große Gefahr für die demokratische und wirtschaftliche Entwicklung Kroatiens dar, so die dänische Gruppierung.

Die kroatische Nichtregierungsorganisation GONG hat den Termin als zu kurzfristig kritisiert– schließlich hatte ihn Präsident Ivo Josipovi erst kurz vor Weihnachten bekanntgegeben. Die Bürger seien nicht ausreichend informiert, was die EU für Kroatien bedeute, so GONG-Sprecher Bert Salaj gegenüber dem Nachrichtenportal »tportal.hr«. Seite Mitstreiterin Tamara Capeta fügte hinzu, daß die Zusammensetzung der Wahlkommissionen genauso unklar sei wie der Modus für Kroaten, die im Ausland leben. Mit diesen Ausgangsbedingungen wird das Referendum wohl nicht den starken Legitimationsschub bringen, den sich die Herrschenden in Brüssel und Zagreb für den EU-Beitritt gewünscht hatten.

Bereits jetzt sagt die Weltbank Kroatien für 2012 eine wirtschaftliche Rezession voraus und nennt auch gleich die »nötigen« Gegenmaßnahmen: den Finanzmärkten Vertrauen einflößen, Steuern senken und andere neoliberale »Strukturreformen« unternehmen. Mit diesen Forderungen an Kroatien arbeitet die Weltbank Hand in Hand mit den EU-Staats- und Regierungschefs, die vor kurzem die »europäische Schuldenbremse« beschlossen haben. Diese ist zwar vorerst nur für Euro-Staaten gültig, drückt aber auch eine Erwartungshaltung an die Länder aus, die sich bislang nicht der Währungsunion angeschlossen haben.

Diesen Erwartungen entsprechen die kroatischen »Eliten« sehr gern, schließlich bedeutet die EU-Spar- und Kürzungspolitik eine weitere Umverteilung zugunsten der Reichen auch in ihrem Land.

Eine gewisse Unzufriedenheit darüber hatte die Bevölkerung Anfang Dezember bei den Parlamentswahlen zum Ausdruck gebracht. Die bislang regierende rechtskonservative HDZ verlor ein Drittel ihrer Stimmen, die marktradikale FDP-Schwester- und bisherige Regierungspartei HSLS schied sogar aus dem Parlament aus. Das Mitte-links-Wahlbündnis »Kikeriki« war mit 45 Prozent der Sieger. Zudem konnte die neugegründete gewerkschaftsnahe Partei »Kroatische Arbeiter« sechs Mandate erlangen. Die Liste des linken, kirchenkritischen Pfarrers Ivan Grubiši kam auf zwei Abgeordnete.

Das neue Kabinett wird nun vom Sozialdemokraten Zoran Milanovic geführt. Sein Wahlbündnis wurde in der Hoffnung auf eine soziale Wende gewählt. Die bisherigen Verlautbarungen deuten aber nicht auf einen politischen Wandel hin, gerade mit Blick auf die Auflagen von Weltbank und EU. »Von der neuen Regierung erwarten wir nichts als neoliberale Politik«, sagte Goran Markovic, Redakteur der linken Zeitschrift Novi Plamen (Neue Flamme). Dennoch sei es erfreulich, daß die nationalistische HDZ, die das Land bislang regierte, eine historische Niederlage erlitten habe. Den Einzug der »Kroatischen Arbeiter« ins Parlament bewertete Markovic als »interessantes Phänomen«, das zeige, »daß es linke Perspektiven jenseits der Sozialdemokratie« gibt.

* Aus: junge Welt, 20. Januar 2012


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