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Erfolgreicher Ausstand

Streik bei Südkoreas Bahnbeschäftigten beendet. Gewerkschaft erhielt Zusage: Betrieb soll auch in Teilbereichen nicht privatisiert werden

Von Wolfgang Pomrehn *

Die Gewerkschaft der staatlichen südkoreanischen Eisenbahngesellschaft Korail hat einem Ende ihres mehr als dreiwöchigen Streiks zugestimmt. Ab Dienstag sollten Tausende von Streikenden wieder an die Arbeit zurückkehren, hatte der Vorsitzende der Eisenbahnarbeiterorganisition Korean Railway Workers’ Union (KRWU) Kim Myung Hwan am Montag in Seoul angekündigt. Hintergrund für die Entscheidung ist eine Vereinbarung der Gewerkschaft mit den beiden größten politischen Parteien des Landes, einen parlamentarischen »Unterausschuß für die Entwicklung der Eisenbahnindustrie« einzurichten, berichtete die Nachrichtenagentur dpa am Montag. Geplante Privatisierungen seien angeblich vom Tisch.

In Südkorea hatten sich die Auseinandersetzungen zwischen der Regierung und der Gewerkschaft der Eisenbahner in den zurückliegenden Wochen zugespitzt. Im Kern ging und geht es bei der Auseinandersetzung um den Einstieg in die Privatisierung, die von den Arbeitern vehement abgelehnt wird. Am vergangenen Wochenende hatten die Behörden die Lizenz für ein weiteres Eisenbahnunternehmen ausgegeben. Die Beschäftigten befanden sich seit dem 9. Dezember im Arbeitskampf, weil sie in der Schaffung einer neuen Gesellschaft für den Betrieb eines Schnellzuges den ersten Schritt zur Veräußerung Korails sehen.

Unmittelbar vor der Veröffentlichung der Lizenzvergabe waren zunächst Verhandlungen zwischen der Gewerkschaft und dem Management gescheitert. Das Unternehmen hatte daraufhin angekündigt, die Streikenden mit Disziplinarmaßnahmen belegen zu wollen. Im ersten Schritt sollten 490 Funktionsträger der Organisation bestraft werden, so die Nachrichtenagentur Yonhap. Auch seien Schadenersatzforderungen gegen die Streikenden und ihre Gewerkschaft möglich.

Diese hatten das Vorgehen der Gegenseite als eine Kriegserklärung aufgefaßt. »Die Regierung ignoriert die Anstrengungen der Gewerkschaft, den Konflikt auf dem Verhandlungswege zu lösen. Statt dessen hat sie die Lizenz abrupt und mitten in der Nacht erteilt«, hatte Kim erklärt. Seine Organisation gehört dem Dachverband KCTU (Korean Confederation of Trade Unions, Koreanische Gewerkschaftskonföderation) an. In diesem sind die demokratischen Gewerkschaften des Landes zusammengeschlossen, die Ende der 1980er Jahre den Sturz der Militärdiktatur erkämpft hatten.

Die derzeitige Staatspräsidentin Park Guen-Hye ist die Tochter des ehemaligen Diktators Park Chung-Hee, der 1961 mit einem Militärputsch an die Macht kam und das Land bis 1979 regierte. Von 1974 bis 1979 hatte sie bereits als First Lady des Landes bei offiziellen Anlässen agiert, nachdem ihre Mutter einem Attentat zum Opfer gefallen war. Ihr Vater hatte 1972 das Kriegsrecht ausgerufen, die Verfassung suspendiert und sich zum Präsidenten auf Lebenszeit erklärt.

Entsprechend harsch ist auch das Vorgehen der von der Diktatorentochter geführten Regierung gegen die Streikenden zunächst gewesen. Bereits in der Woche vor Weihnachten wurde der Hauptsitz des KCTU in Seoul von mehreren hundert Polizisten gestürmt. Sechs führende Gewerkschaftsfunktionäre wurden dabei festgenommen. Insgesamt waren gegen 28 Organisatoren des Ausstands Haftbefehle erlassen worden. Der Vorwurf lautet nach Angaben der Internationalen Föderation der Transportarbeiter (ITF) »Behinderung des Geschäftsbetriebes«. Von dem Streik war vor allem der Güterverkehr betroffen, der um rund 70 Prozent reduziert wurde. Der Personenverkehr wurde hingegen nur zu einem runden Viertel beeinträchtigt.

Die ITF, deren Mitglied die KRWU ist, zeigt sich in einer Erklärung sehr besorgt über das Vorgehen der Regierung. 2009 sei es bei einem Eisenbahnerstreik zu einer ähnlichen Kriminalisierung mit massiven Verletzungen der Arbeiterrechte gekommen. Die Internationale Arbeitsorganisation ILO habe daraufhin 2012 die Maßnahmen der südkoreanischen Behörden scharf kritisiert und entsprechende Änderungen der Gesetze gefordert. Auch der Internationale Gewerkschaftsdachverband ICTU verurteilte in einer Erklärung die Verhaftungen und die Kriminalisierung. Zugleich wies er daraufhin, daß auch andere Organisationen in Südkorea mit ähnlichen Sanktionen zu kämpfen haben.

Daher war und ist der Ausstand bei der Bahn auch für die ganze Gewerkschaftsbewegung des Landes von herausragender Bedeutung. Entsprechend bekamen die Streikenden am Sonnabend letzter Woche auch kräftige Unterstützung aus anderen Branchen, als sie in der Landeshauptstadt erneut auf die Straße gingen. Nach Angaben der Veranstalter kam 100000 Menschen, um gegen die Bahnprivatisierung zu demonstrieren und den Ausständischen ihre Solidarität zu zeigen. Die Polizei, die mit einem Großaufgebot angetreten war, sprach von 20000 Teilnehmern. Nach Informationen von Yonhap handelte es sich um die größte Demonstration, die Seoul in den letzten Jahren gesehen hat.

Unterdessen ist die koreanische Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs, nach dem sie 2012 nahezu stagniert hatte. 2013 hat es ein Plus beim Bruttoinlandsprodukt von 2,8 Prozent gegeben, und für das neue Jahr sagt der Internationale Währungsfonds sogar eine Expansion von 3,6 Prozent voraus. Die Regierung des Landes, das seit Jahrzehnten rasches Wirtschaftswachstum gewöhnt ist, macht sich dennoch Sorgen. Die Inlandsnachfrage sei zu gering, heißt es in einem Bericht der Korea Times. Das Vorziehen von geplanten öffentlichen Investitionen, ein Konjunkturprogramm und eine expansive Geldpolitik mit niedrigen Zinsen sollen der Wirtschaft Beine machen. Die Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, die Inlandsnachfrage zu steigern. Allerdings weniger durch Lohnerhöhungen, die den privaten Konsum ankurbeln würden, als vielmehr durch die Förderung privater Investitionen. In fünf Kernbereichen soll die Privatwirtschaft gezielt stimuliert werden: Medizin, Tourismus, Softwareentwichklung, Bildung und Finanzwirtschaft.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 2. Januar 2014


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