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Die Alten machen den Anfang

Im nordkoreanischen Diamantgebirge treffen sich Familienangehörige aus beiden Staaten der Halbinsel

Von Rainer Werning *

Am Donnerstag morgen sind 82 ausgewählte Südkoreaner mitsamt ihren engsten Verwandten über die Grenze nach Nordkorea in ein Touristenhotel im Diamantgebirge (Kumgangsan) gereist. Dort treffen sie sich mit 178 Familienangehörigen aus dem Norden. Die im Schnitt etwa 85jährigen Frauen und Männer hatten sich zuvor in einem Hotel nahe der Stadt Sokcho im äußersten Nordosten Südkoreas zusammengefunden und waren dort vom Roten Kreuz sowie von dem für die Beziehungen mit dem Norden zuständigen Vereinigungsministerium vorbereitet worden. Am Wochenende werden dann an gleicher Stelle 88 weitere, von nordkoreanischer Seite handverlesene Personen mit 372 Familienangehörigen aus dem Süden die Gelegenheit haben, sich bis zum 25. Februar auszutauschen. Für alle Beteiligten ist es ein Wiedersehen nach mehr als 60 Jahren Trennung. Seit dem Ende des Koreakrieges 1953 sind nur wenige, strikt staatlich reglementierte Besuche dieser Art gestattet worden.

Die Zusammenkunft ist das erste Treffen dieser Art seit dreieinhalb Jahren. In dieser Zeit standen extreme politische Spannungen zwischen Seoul und Pjöngjang weiteren Begegnungen im Wege. Erst seit Jahresbeginn waren aus beiden Hauptstädten wieder versöhnliche Töne zu vernehmen. Man wolle, so hieß es, das beidseitige Verhältnis durch vertrauensbildende Maßnahmen wie das nunmehr stattfindende Familientreffen verbessern. Fast wäre es abgesagt worden, hätten sich hochrangige Vertreter Nord- und Südkoreas nicht noch im letzten Augenblick darauf verständigen können, humanitäre und militärische Aspekte voneinander zu trennen. Am 24. Februar, dem vorletzten Tag des Besuchsprogramms, sollen die alljährlich stattfindenden US-amerikanisch-südkoreanischen Großmanöver »Foal Eagle« und »Key Resolve« beginnen. Nordkoreas Führung hat diese Truppenübungen stets heftig kritisiert; sie zielten darauf ab, das Land zu bedrohen und eine Invasion vorzubereiten. So kann es sein, daß trotz der gegenseitigen Gesten des guten Willens aus dem Diamantgebirge auf beiden Seiten der Grenze schon in der nächsten Woche wieder martialische Töne angeschlagen werden.

Allein in Südkorea haben sich seit 1988 annähernd 130000 Menschen registrieren lassen, um an den Besuchsprogrammen teilnehmen zu können. Von denen ist aber zwischenzeitlich fast die Hälfte verstorben. Möglich sind geregelte Treffen zwischen nord- und südkoreanischen Familienangehörigen erst seit dem Jahre 2000. Offiziell noch im Kriegszustand, trafen sich damals erstmalig die Staatschefs beider Teilstaaten, Kim Jong Il, Vater des jetzigen Amtsträgers Kim Jong Un, und Kim Dae Jung. Vorrangig ging es bei diesem ersten Gipfel um Familienzusammenführung und den Ausbau bilateraler Wirtschaftsbeziehungen – nicht wenig angesichts der gegenseitigen Feindbilder und des aggressiven Umgangs miteinander. Für die nordkoreanische Führung war die Ausrichtung dieses Treffens ein diplomatischer Coup, hatten ihr doch seit Anfang der 1990er Jahre Analysten im Westen eine ähnlich rasche Implosion ihres Staates wie in der Sowjetunion und Osteuropa prognostiziert.

Der Pjöngjanger Gipfel im Juni 2000 markierte den dritten größeren Versuch, für Entspannung auf der Koreanischen Halbinsel zu sorgen. Die beiden vorangegangenen Annäherungen geschahen jeweils in Situationen internationaler Umbrüche: Im Juli 1972 führten die gemeinsamen Rot-Kreuz-Gespräche zum »Nord-Süd-Kommuniqué«. Kurz zuvor war die erbitterte Feindschaft zwischen der VR China und den USA beigelegt worden, so daß die antikommunistische Propaganda in Südkorea ihr Bedrohungspotential einbüßte. Als im Dezember 1991 Seoul und Pjöngjang den »Aussöhnungsvertrag« unterzeichneten, verschwand im gleichen Jahr mit der Sowjetunion ein Bündnispartner Nordkoreas von der politischen Bühne, mit dem es seit Beginn der 1960er Jahre durch einen gemeinsamen Beistandspakt verbunden war.

Beide Male waren aber auch innerkoreanische Prozesse verantwortlich dafür, daß der Dialog abrupt endete. Im Herbst 1972 begann mit der Verhängung des Kriegsrechts im Süden die Militärdiktatur unter General Park Chung Hee, 1991 befürchtete Pjöngjang »ideologische Kontaminierungen« im Zuge des Berliner Mauerfalls und der Gorbatschow-Ära und schottete sich ab.

* Aus: junge Welt, Freitag, 21. Februar 2014


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