"Kleines Land mit großer Chuzpe"
Nordkorea trotzt der Supermacht Gespräche ab
Den folgenden Kommentar zu den koreanisch-amerikanischen Verhandlungen haben wir der Wochenzeitung "Freitag" entnommen.
Von Reiner Werning
Für den nordkoreanischen David sind die Gespräche in Peking ein
Teilerfolg im diplomatischen Tauziehen mit den USA. Dort zählte man zwar
seit Januar 2002 zusammen mit dem Irak und Iran zur so genannten
"Achse des Bösen". Doch böse ist offenbar nicht gleich böse. Irak wurde
zerbombt, weil - so der wesentliche Kriegsgrund - seiner Führung der
Besitz von Massenvernichtungswaffen unterstellt wurde. Dem Iran werden
Ambitionen nachgesagt, sich eben solche Waffen zu beschaffen.
Nordkorea indes hatte im Vorfeld des Irak-Krieges die Inspekteure der
Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) des Landes verwiesen, den
Atomwaffensperrvertrag aufgekündigt, seinen Atomreaktor in Yongbyon
wieder hochgefahren, und angedeutet, dass es über Nuklearwaffen verfügt
und für sich das Recht beansprucht, diese zu testen und notfalls
einzusetzen. Das Resultat: In Peking trafen sich James A. Kelly, als
Unterstaatssekretär im State Department verantwortlich für Ostasiatische
und Pazifische Angelegenheiten, Li Gun, Vizedirektor des
nordkoreanischen Außenministeriums, und der stellvertretende chinesische
Außenminister Wang Yi, um die aktuelle Krise auf der koreanischen
Halbinsel durch Verhandlungen zu lösen. Peking konnte mit seiner
Maklerrolle zufrieden sein und wertete die Gespräche denn auch als
vielversprechenden Neubeginn. Doch vieles bleibt im Dunkeln: So die
zentrale Frage, ob Pjöngjang tatsächlich Nuklearwaffen besitzt. Im
Augenblick jedenfalls ist das genauso wenig zu verifizieren wie das
Gegenteil. Selbst südkoreanische Atomexperten weisen darauf hin, allein
der Besitz einer Atombombe ohne geeignete Trägersysteme nütze wenig
und Nordkoreas 8.000 verbrauchte nukleare Brennstäbe könnten bis dato
unmöglich wieder aufbereitet worden sein. US-Außenminister Powell
betonte derweil, Pjöngjang liege falsch, wenn es das gegenwärtige Problem
als rein amerikanisch-nordkoreanisches betrachte.Wurde Nordkorea zur
Deeskalation des letzten Nuklearpokers (1994) seitens der USA die
Lieferung von zwei Leichtwasserreaktoren und Heizöl zugesichert, so
haben die verzögerten Material- und Hilfslieferungen in Verbindung mit
Bushs Ostasienpolitik in Pjöngjang die Befürchtung genährt, zur nächsten
Zielscheibe "vorbeugender" amerikanischer Militäraktionen zu werden. Die
Crux: Pjöngjang beharrt auf Sicherheitsgarantien. Die hatte Washington
1994 bereits gegeben, woran sich die Bush-Administration allerdings nicht
gebunden fühlt. "Der trotz des Widerstandes der internationalen
Gemeinschaft geführte Krieg in Irak hat gelehrt", so die staatliche
Koreanische Nachrichtenagentur KCNA, "dass eine Nation über eine
angemessene militärische Stärke verfügen sollte, um ihre Souveränität zu
verteidigen." Eine Sprache, die auch Gastgeber China - vor allem seit dem
Amtsantritt von George W. Bush - sehr wohl versteht. Noch Anfang Mai
2001 hatte der damalige Präsident Jiang Zemin den heutigen
US-Präsidenten bei einem Sondertreffen von Mitgliedern des Politbüros der
KP Chinas sowie außenpolitischen Experten als "logisch unbedarft, konfus
und prinzipienlos" charakterisiert. Der Hintergrund: Militärstrategen im
Pentagon und Experten des State Department feilten bereits an einer
neuen Sicherheitsdoktrin der USA und entwarfen mit Blick auf die Region
Ostasien/Pazifik das Konzept der Nationalen Raketenverteidigung (NMD),
wobei die Bush-Administration China explizit als "aufstrebende Macht"
beziehungsweise "strategischen Feind" bezeichnete. Überdeckt wurde
eine heraufziehende Konfrontation dann aber durch die Anschläge vom 11.
September. Seitdem witterte China die Chance, dank des
"Antiterrorfeldzugs" nunmehr auch seine "unruhigen" Provinzen im
Südwesten fernab ausländischer (Menschenrechts-)Kritik befrieden zu
können.
Nach Beginn des Irak-Krieges haben das chinesische Außenministerium
und der Nationale Volkskongress die unilaterale Politik Washingtons
attackiert. Peking sah internationales Recht ausgehebelt und forderte als
ständiges, mit einer Veto-Vollmacht ausgestattetes Mitglied des
Sicherheitsrates einen Stopp der Bombardements.
Ohne Zweifel bleibt die Volksrepublik auch weiterhin Nordkoreas engster
Verbündeter. Eine Grundlage dafür ist die Waffenbrüderschaft, die es
während des Koreakrieges (1950-53) gab, eine andere der Freundschafts-
und Beistandspakt zwischen beiden Staaten vom 11. Juli 1961. Außerdem
erhält Nordkorea über den Bezug von Erdöl, Lebensmitteln und anderen
wichtigen Gütern hinaus vom Nachbarn inzwischen auch Hilfen für seine
Freihandels- und Exportproduktionszone in Sinuiju (gegenüber der
chinesischen Grenzstadt Dandong). Schließlich jährt sich am 27. Juli zum
50. Mal der Jahrestag der Unterzeichnung des
Waffenstillstandsabkommens von Panmunjom, das seinerzeit den
Koreakrieg beendete. Unterzeichnet wurde es lediglich von der VR China,
Nordkorea und einem US-General im Auftrag der Vereinten Nationen. Da
passte es gut ins Bild, wenn von Peking zumindest Entspannungssignale
ausgehen. An eine dauerhafte Friedensregelung auf der koreanischen
Halbinsel ist vorerst nicht zu denken.
Aus: Freitag 19, 2. Mai 2003
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