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Kim will Tschollima noch einmal satteln

Nordkoreas dringendes Erfordernis ist Lebensmittelversorgung aus eigener Kraft

Von Peter Kirschey *

Während die Welt sich in Rätselraten über den Verbleib Kim Jong Ils ergeht und eine Spekulation über den Gesundheitszustand des großen Feldherrn die andere jagt, berichten Nordkoreas Medien Konkretes.

»Der Generalsekretär der Partei der Arbeit Koreas und Vorsitzende des Verteidigungskomitees der Republik zündete am 25. Dezember eine Fackel des großen revolutionären Aufschwungs an«, meldeten die Medien der KDVR. Kim Jong Il bewerkstelligte dies, indem er das Stahlwerk »Tschollima« anleitete. Mitgereisten Funktionären legte er ans Herz, dass es im ganzen Land nur brodeln könne, wenn Kangson, die Heimat von Tschollima, vor Tatendrang brodelt.

Tschollima ist ein sagenhaftes geflügeltes Pferd, das 1000-Ri-Sprünge (1 Ri entspricht knapp 4 Kilometer) vollführte. In der KDVR wurde es nach dem Ende des Koreakriegs 1953 zum Symbol des Wiederaufbaus und der stürmischen Industrialisierung. Jetzt rief Kim die Stahlwerker dazu auf, erneut für einen revolutionären Aufschwung zu sorgen. Die Bilder aus Kangson stehen allerdings ganz im Gegensatz zu dem flammenden Appell: Sie zeigen eine Gruppe steifer Funktionäre, die – um Kim Jong Il versammelt – eifrig Notizen machen. Von revolutionärer Begeisterung keine Spur.

Dennoch soll dieser 25. Dezember dem Land neue Impulse verleihen. Die Stahlwerksvisite nimmt deshalb einen besonderen Platz in der alljährlichen offiziellen Botschaft ein, die die nordkoreanischen Medien zu Jahresbeginn verbreiten. Sie trägt den Titel: »Unter lautem Trompetenklang zum Generalmarsch dieses Jahr als ein Jahr des neuen großen revolutionären Aufschwungs erstrahlen lassen«. Fakten zur wirtschaftlichen Entwicklung der letzten Jahre enthält die Botschaft nicht. An konkreten Zielen mangelt es ebenfalls. Deutlich wird jedoch, dass die Schwerindustrie angekurbelt und die energetische Basis gefestigt werden sollen. Die Lösung der Nahrungsmittelfrage sei die dringende Forderung der Wirklichkeit, heißt es in der Botschaft. Seit Jahren ist das Land auf Nahrungsmittellieferungen aus dem Ausland angewiesen. Ziel sei es, die Nahrungsfrage »um jeden Preis mit eigener Kraft zu bewältigen«. Alle Aufgaben seien aber nur durch die Politik der »Bevorzugung der Armee« zu bewerkstelligen. Ein wichtiger Zielpunkt ist 2012, das Jahr des 100. Geburtstages des »ewigen« Präsidenten Kim Il Sung.

Gegenüber Südkorea ist der Ton seit dem Machtantritt des konservativen Präsidenten Lee Myung Bak im Februar letzten Jahres deutlich schärfer geworden. Die Neujahrsbotschaft stellt den Süden in die Nähe einer faschistischen Diktatur. Immer wieder wird Lee als »Verräter« an der Sache des koreanischen Volkes bezeichnet. In einem Kommentar der nordkoreanischen Nachrichtenagentur KCNA heißt es dazu: »In Südkorea werden Machenschaften der Gruppierung um Lee Myung Bak zur Herstellung eines Systems der faschistischen Diktatur mit jedem Tag unverhohlener.« Das Regime verstärke seine repressiven Apparate und klammere sich an ihre »grausame Offensive zur Unterdrückung der patriotisch gesinnten Kräfte, die nach der Vereinigung des Landes streben«. Ein Ende der Eiszeit in den Beziehungen zwischen Nord und Süd ist demnach nicht zu erwarten.

Die USA werden in der Neujahrsbotschaft, anders als in früheren Jahren, nicht offen kritisiert. Der Abzug der knapp 30 000 USA-Soldaten aus dem Süden ist jedoch nach wie vor eines der Hauptziele des Nordens. Nur wenn der letzte USA-Soldat die Halbinsel verlassen hat, wird es nach nordkoreanischer Überzeugung die Chance auf Wiedervereinigung geben. Bis 2012 jedoch bleibt der militärische Oberbefehl bei einer kriegerischen Auseinandersetzung auf jeden Fall in den Händen der USA. Deshalb setzt die KDVR-Führung gewisse Hoffnungen auf einen USamerikanischen Politikwechsel.

* Aus: Neues Deutschland, 5. Januar 2009


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