Die koreanische Halbinsel und die US-Strategie
Folgt der Sonnenscheinpolitik eine neue Eiszeit?
Rainer Werning analysierte in der Wochenzeitung "Freitag" vom 18. Mai 2001 die Hintergründe für die ins Stocken geratene Annäherung der beiden koreanischen Staaten.
Washingtons Kaltfront
Die politische Entspannung gerät unter die Räder einer neuen US-Militärstrategie
Im Sommer 1994 hatte es den Anschein, als stünde die koreanische
Halbinsel an der Schwelle eines neuerlichen militärischen Konflikts.
US-Medien beschworen den "nuklearen Gangster" Pjöngjang herauf,
während Endlosbilder von CNN das Klima aufheizten und allerorten
Verunsicherung schürten. Nordkorea, so die Botschaft, sei imstande, in
seinem Kernkraftkomplex "Yongbyon" waffenfähiges Plutonium zu
erzeugen, eigene Atomwaffen zu produzieren und gefährde akut die
Sicherheit in ganz Ostasien.
Auf dem Höhepunkt dieser brenzligen Situation zeichnete sich dennoch
eine gewisse Entspannung ab. Erstmalig seit dem Koreakrieg war -
eingefädelt von Expräsident Jimmy Carter - ein gemeinsames Treffen der
damaligen Präsidenten Kim Young Sam und Kim Il Sung geplant. Inmitten
der Vorbereitungen aber starb plötzlich der "Große Führer" Kim Il Sung.
Washington reaktivierte den Vorwurf des "Schurkenstaates", während
hochdotierte Analysten diverser Denkfabriken Nordkorea als Hort erbitterter
Diadochenkämpfe ausmachten und dem Land eine rasche Implosion
prophezeiten.
Doch Totgesagte leben länger: Am 13. Juni 2000 genoss die Führung in
Pjöngjang als Gastgeber des ersten innerkoreanischen Gipfels den
geschichtsträchtigen Moment, dass die Staatschefs beider Teilstaaten,
Kim Dae Jung und Kim Jong Il - offiziell immerhin noch im Kriegszustand -,
Freundlichkeiten per Handschlag austauschten, über
Familienzusammenführung und den Ausbau bilateraler
Wirtschaftsbeziehungen redeten. Ein Durchbruch auch für Südkoreas seit
Frühjahr 1998 gegenüber dem Norden praktizierte "Sonnenscheinpolitik".
Wenn´gleich die Clinton-Administration am Vorwurf des "Schurkenstaats"
festhielt, versuchte sie hinter den Kulissen einen Modus vivendi mit
Pjöngjang zu finden. Ein Prozess, der in dem Maß an Konturen gewann,
wie Seoul seine innenpolitisch keineswegs unumstrittene
"Sonnenscheinpolitik" intensivierte. So unterschiedlich die damit
verbundenen Kalküle in Washington und Seoul waren, so sehr einte sie in
der Endphase der Clinton-Regierung die Erwartung, ein halbwegs stabiles
nordkoreanisches Regime, dem in Notzeiten unter die Arme gegriffen
werde, biete am ehesten die Gewähr dafür, das regionale
Sicherheitsgefüge zu festigen.
Sonnenschein für den Schurkenstaat
Seoul, kein Befürworter der "Schurkenstaaten"-Theorie, interessiert sich für
gegenseitige Besucherprogramme von Wirtschaftsmanagern und Politikern
und will auf keinen Fall abseits stehen, wenn das von Pjöngjang bereits vor
Jahren verabschiedete Joint venture-Gesetz und das Projekt einer freien
Wirtschafts- und Handelszone im Grenzgebiet zu Russland und China
Gestalt annimmt. Vier Wirtschaftssonderzonen sollen ausländisches
Kapital anlocken und das Land in reglementierten Schritten der Außenwelt
öffnen. Darüber hinaus toleriert Pjöngjang jetzt auch sogenannte "soziale
kooperative Organisationen" und gesteht seinen Bürgern das Recht zu, in
kleinem Umfang privat Landwirtschaft zu betreiben. Nordkorea erhofft sich
im Gegenzug fortgesetzte Hilfe für die seit Jahren infolge verheerender
Naturkatastrophen von Hungersnot geplagte Bevölkerung - eine
Notsituation, die erschwert wird durch unausgelastete, veraltete
Produktionsanlagen und die Umstellung des Handels auf Devisenbasis mit
den beiden wichtigsten Partnern Russland und China.
Nahrungsmittel für Inspektionen
Die Krise der Volksrepublik ist wesentlich eine ökonomische, keine
politische. Inzwischen hat Kim Jong Il den Ausbau der eigenen Machtbasis
abgeschlossen und schickt sich an, das Land weiter zu öffnen. Doch das
passt ganz offensichtlich nicht mehr in das strategische Konzept der
neuen US-Administration.
Die zur Entschärfung der sogenannten Atomkrise im Oktober 1994 von den
USA und Nordkorea getroffenen Rahmenvereinbarungen über den Umbau
des nordkoreanischen Nuklearprogramms sahen im Gegenzug die
Lieferung von zwei 1.000 Megawatt-Leichtwasserreaktoren bis zum Jahr
2003 vor. Bis zu deren Inbetriebnahme hatten sich die USA verpflichtet, an
Pjöngjang jährlich 500.000 Tonnen Schweröl und Kohle im Gesamtwert von
umgerechnet knapp 4,6 Milliarden Dollar zu liefern. Mit der Umsetzung der
technischen Hilfe wurde ein Jahr später das Nuklearkonsortium Korean
Peninsula Energy Development Organisation (KEDO) betraut, dem
ursprünglich die drei Gründungsmitglieder und Hauptfinanziers USA, Japan
und Südkorea (das den Löwenanteil trägt) angehörten und dem später
auch EURATOM beitrat.
Seitdem aber verdächtigten die USA Nordkorea, nördlich von Pjöngjang in
Kumchangri Bauarbeiten für eine andere unterirdische Anlage
durchzuführen, die der Produktion von Plutonium zu militärischen Zwecken
diene. Ein Vorwurf, den Nordkorea bestritt und der die Realisierung der
ausgehandelten Vertragspunkte gefährdete. Schließlich willigte die
nordkoreanische Regierung im März 1999 ein, US-Inspektoren den Zutritt
in Kumchangri zu gestatten, nicht jedoch ohne zuvor eine weitere
US-Hilfslieferung von 100.000 Tonnen Nahrungsmitteln und zusätzlich
200.000 Tonnen seitens des Welternährungsprogramms erstritten zu
haben. Das von Nordkorea mehrfach praktizierte, recht erfolgreiche Junktim
- Nahrungsmittel für Inspektionen - sorgte im US-Kongress für wachsenden
Missmut.
Der ehemalige US-Verteidigungsminister William J. Perry kam in seiner
von der Clinton-Regierung bestellten Nordkorea-Empfehlung im Herbst
1999 zu dem Ergebnis, das Rahmenabkommen müsse weiterhin Bestand
haben, wenngleich kooperative und konfrontative Elemente künftig stärker
zu berücksichtigen seien. Der Perry-Report revidierte die ursprüngliche
Prämisse eines kurz- bis mittelfristigen Zusammenbruchs Nordkoreas und
befürwortete ausdrücklich Kim Dae Jungs "Sonnenscheinpolitik". Als
Konsequenz erklärte sich Nordkorea zum Verzicht weiterer Raketentests
bereit, während Washington einige seiner Wirtschaftssanktionen lockerte
und sich für weitere Hilfslieferungen an die Volksrepublik einsetzte.
Gleichzeitig suchte Pjöngjang die außenpolitische Offensive und bat in
Westeuropa um die Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen. Italien
und Kanada reagierten bereits Anfang 2000 positiv, während Berlin,
London, Madrid und Brüssel noch im selben Jahr solche Beziehungen als
flankierende Maßnahme des innerkoreanischen Entspannungsprozess
binnen weniger Monate in Aussicht stellten. Höhepunkt dieser Diplomatie
war der Nordkorea-Besuch von US-Außenministerin Madeleine Albright im
Oktober 2000.
Ohrfeigen für den Gast
Was zu Jahresbeginn noch auf kontinuierliche Entspannung in Korea
hindeutete, wurde mit dem Amtsantritt George W. Bushs aufs Spiel
gesetzt. Selten ist ein Staatsgast dermaßen brüskiert worden, wie das
Anfang März Kim Dae Jung widerfuhr. Anlässlich seines Besuchs im
Weißen Haus nannte Präsident Bush Nordkorea einen Bedrohungsfaktor in
Ostasien, mit dem weitere Gespräche ausgesetzt und erst nach einer
Neubestimmung der eigenen Asienpolitik wieder aufgenommen würden.
Als er auch noch den innerkoreanischen Dialog in Zweifel zog und
signalisierte, die USA würden dessen Unterstützung vorerst einstellen, ließ
das den südkoreanischen Staatsgast als naiven Eiferer dastehen. Einen
Tag zuvor hatte der neue Außenminister Colin Powell noch versichert, er
werde die "vielversprechenden Elemente" der Nordkorea-Politik seiner
Vorgängerin weiterführen.
Stattdessen soll nun im Rahmen der neuformulierten US-Militärdoktrin eine
Konfrontationspolitik mit einer Fokussierung auf Asien wiederbelebt
werden. Da China als Regionalmacht gilt, ist eine ebenso kostspielige wie
strategische Umwandlung der Armee von einer Land- in eine Luft- und
Seestreitmacht avisiert, die über Tausende von Meilen hinweg operieren
kann, ohne auf Stützpunkte in der Nähe des Kriegsschauplatzes
angewiesen zu sein.
Eine sensible Nordkoreapolitik ist folglich von Washington nicht
beabsichtigt. Japans neuer Ministerpräsident Junichiro Koizumi ist zu kurz
im Amt, um bereits schon jetzt erkennen zu lassen, ob sich seine
Regierung engagiert für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit
Nordkorea einsetzt. Peking ist und bleibt Nordkoreas engster Verbündeter,
während Russland geneigt scheint, im Falle der Umsetzung der neuen
Pentagon-Strategie den Schulterschluss mit China und Nordkorea zu
suchen. Die größten Schwierigkeiten hat augenblicklich Kim Dae Jung.
Der Anfang Mai erfolgte Besuch einer hochrangigen EU-Delegation unter
Leitung des schwedischen Premiers Göran Persson in Nord- und Südkorea
ist dort als Goodwill-Geste willkommen geheißen und von Pjöngjang
genutzt worden, Kooperationsbereitschaft zu signalisieren. Ob die EU als
Gegengewicht zu den USA politisch-diplomatisch die Initiative auf der
Halbinsel ergreift, ist nicht ausgemacht. Vielleicht auch gar nicht
realistisch, implizierte dies doch ein Wagnis, das kein EU-Land in den
vergangenen Jahren eingegangen ist - die notfalls kritische Distanz zu
Washington.
Aus: Freitag, Nr. 21, 18. Mai 2001
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