"Das könnt ihr auf ein iPhone schreiben"
Maritime Experten äußern massive Zweifel an der offiziellen Version des Untergangs der "Cheonan"
Von Daniel Kestenholz, Bangkok *
Während in der Japanischen See Südkorea und die USA gemeinsame
Militärmanöver begannen, wachsen in Südkorea Zweifel an der offiziellen
Version des
Untergangs einer südkoreanischen Korvette Ende März - angeblich geschah dies durch ein nordkoreanisches Torpedo.
Kritiker fahren jetzt schweres Geschütz gegen Südkoreas Präsident Lee
Myung Bak auf, der den Untersuchungsbericht zwei Monate nach dem Unglück
veröffentlichte, ausgerechnet am Tag, als der Wahlkampf für heiß
umkämpfte Lokalwahlen begann.
Der frühere Schiffsbauer Shin Sang Chul geht der Affäre »Cheonan« seit
März nach. »Ich fand nicht den geringsten Hinweis auf eine Explosion«,
so Shin. »Und die Matrosen ertranken. Ihre Leichen waren unversehrt. Wir
fanden im Meer nicht einmal tote Fische.« Shin meint, die »Cheonan« sei
in untiefem Wasser auf Grund gelaufen, habe Leck geschlagen und sei
später gesunken. »So etwas wie ein Verkehrsunfall auf dem Meer.«
Zwei in Südkorea geborene US-Akademiker stärken Shin den Rücken. Sie
zweifeln die »smoking gun« an, die aus dem Meer geborgene
Torpedoschraube mit der koreanischen Aufschrift »Nr. 1«. »Das könnt ihr
auf ein iPhone schreiben und behaupten, es wurde in Nordkorea
hergestellt«, spottet Professor Seunghun Lee, Physiker an der
Universität von Virginia. Die angebliche Torpedoschraube, die Seoul den
Medien vorführte, war stark angerostet. In nur 50 Tagen sei das nicht
möglich. »Die Regierung lügt, wenn sie sagt, das Teil wurde unter Wasser
gefunden«, so der Professor.
Beobachter halten die Attacke der Nordkoreaner nicht zuletzt für
ungewöhnlich, weil es Pjöngjang bisher noch immer bei verbalen Drohungen
beließ.
Auch werden südkoreanische Abgeordnete weiter im Dunkeln gelassen, was
genau am 26. März vorgefallen war. Der komplette Untersuchungsbericht
bleibt unter Verschluss und eine militärische Aufsichtsbehörde warf
führenden Marineoffizieren vor, zu lügen und
Informationen zu verschleiern. Auch ist die offizielle Version voller
Widersprüche. Erst hieß es, die »Cheonan« wurde von einem Torpedo
versenkt. Kurz danach, das Schiff sei auf ein Riff aufgelaufen. Wobei
ein Schiff nahe der Unfallstelle, die »Sokcho«, zur fraglichen Zeit 35
Schüsse mit einer 76-Millimeter-Kanone abfeuerte. Das Radar meldete ein
U-Boot im Gebiet. Später hieß es, die »Sokcho« habe auf Zugvögel gezielt.
Man habe alle Möglichkeiten in Betracht gezogen, so US-Konteradmiral
Thomas Eccles. Weder ein Auflaufen auf ein Riff noch eine Explosion an
Bord noch eine Mine kämen in Frage. Eccles spricht von einem »Bubble-Jet
Torpedo«, das unterhalb des Rumpfs explodiere und eine Blase bilde, die
sich ausdehne und zusammenziehe. »Das Wrack weist Schäden von genau
dieser Art von Waffe auf«, so Eccles. »Die ist so entworfen, dass sie
das Heck des Schiffes bricht.«
Verschwörungstheoretiker bleiben unbeeindruckt. Eine ihrer Theorien
lautet: ein moderner Tonkin-Zwischenfall. Damals fabrizierten die
US-Amerikaner eine Attacke der Nordvietnamesen im Golf von Tonkin, was
Präsident Lyndon Johnson als Vorwand für den Vietnamkrieg diente.
Washington kam der »Cheonan«-Fall insofern gelegen, als auch in Japan
die Debatte um den Abzug der Okinawa-Truppen der USA plötzlich verstummte.
* Aus: Neues Deutschland, 26. Juli 2010
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