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Entscheidende Schlacht

Südkoreas Regierung versucht, linke Lehrergewerkschaft KTU zu zerschlagen.Untertanengeist soll wieder in Schulen einziehen

Von Raoul Rigault *

In Südkorea sorgen gegenwärtig zwei Unterschriftensammlungen der Korean Teachers and Education Workers Union (KTU) für eine beispiellose Repressionswelle der rechten Regierung von Staatspräsident Lee Myung Bak. Das Vergehen der linken Lehrergewerkschaft, die zum Gewerkschaftsbund KCTU gehört: Sie hatte Mitte Juni eine von 17147 Beschäftigten unterzeichnete Petition veröffentlicht, in der die jüngsten Maßnahmen zur Förderung von Privatschulen, Schulautonomie bzw. die Benachteiligung von Arbeiterkindern kritisiert und mehr Demokratie und ein sozialer Dialog im Bildungswesen gefordert werden.

Die Reaktion des Adressaten war alles andere als dialogorientiert. Das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Technologie verhängte gegen 89 führende KTU-Funktionäre, darunter die zehn Mitglieder des Zentralkomitees sowie der Gewerkschaftsvorsitzende Jeong Jin Hoo, Berufsverbote. Zur Begründung dienen der Artikel 66 des National Civil Servants Law, der kollektive Aktionen verbietet, und das Educational Workers Union Law, das Kampfaktionen im Erziehungswesen untersagt, wenn sie nicht in direkter Beziehung zu den Arbeitsbedingungen stehen. Beides höchst fragwürdige Vermächtnisse der erst 1992 zu Ende gegangenen Militärherrschaft. So verwundert es nicht, daß selbst eine erste Untersuchung des Bildungsministeriums am 18. Juni zu dem Ergebnis kam, die Protestaktion seien wahrscheinlich durch den Artikel 21 der Verfassung gedeckt, der die Versammlungsfreiheit garantiert.

Dennoch wurde Gewerkschaftschef Jeong am 29. Juni vor dem Präsidentensitz von der Polizei festgenommen, als er einen Protestbrief übergeben wollte. Am 3. Juli durchsuchte eine halbe Hundertschaft der politischen Polizei um fünf Uhr morgens die Hauptquartiere der KTU. Dabei beschlagnahmte sie u. a. Computer, Dokumente und die komplette Kartei der 76000 Mitglieder starken Organisation

Das Vorgehen von Bildungsminister Ahn Byong Man kritisieren selbst weniger progressive Gruppierungen. So sprach der Vorsitzende der Lehrervereinigung Good Teacher, Kim Jin Woo, von »einem typischen Fall exzessiver Disziplinierung und Mißbrauch der Amtsgewalt«. Das Ganze sei »ein politisch motivierter Akt, um eine spezielle Lehrergewerkschaft zu ächten« und werfe »Südkoreas Demokratie um zwei Jahrzehnte zurück«. Ähnlich äußerten sich Shin Sun Yong vom Elternverband Parents Solidarity for Humane Education sowie das Bildungsbündnis Stand Together for Better Education. Außerdem wiesen Lee Jong Gu von der National Association of Professors for Democratic Society, als auch der Abgeordnete Kim Young Jin darauf hin, daß die KTU in den letzten Jahren diverse öffentliche Erklärungen abgegeben habe (2008 sogar eine gegen die Einfuhr von US-amerikanischem Rindfleisch), ohne daß die Regierung intervenierte. Offensichtlich werde jetzt die Gelegenheit ergriffen, eine kritische Stimme zum Schweigen zu bringen.

Die letzten Entwicklungen bestätigen diese Vermutung. Auf die Repressionswelle antwortete die KTU mit einer zweiten Unterschriftensammlung. Die neue Protestpetition wurde bislang von 28635 Personen unterzeichnet und rief eine noch wütendere Reaktion der Staatsmacht hervor. Da die Gewerkschaft die Namen der Unterstützer nicht preisgab, habe das Bildungsministerium »eine professionelle Organisation damit beauftragt die Namen auf der Liste zu entziffern«. Man habe auch bereits versucht, einen auf der KTU-Website geposteten Videofilm entsprechend auszuwerten, doch »die Auflösung war zu gering, und es war unmöglich, die Namen zu erkennen«, beklagte Ministeriumssprecher Lee Seong Hee. Ob es sich bei der »professionellen Organisation« um den Inlandsgeheimdienst oder eine Privatdetektei handelt, ließ er offen. Die linke Tageszeitung Hankyoreh Sinmun sprach in einem Leitartikel von einer »politischen Entscheidung, der KTU den entscheidenden Schlag zu versetzen«.

Als erstem Schritt wurde wegen angeblicher Verletzung des Beamtengesetzes bei der Staatsanwaltschaft Anzeige gegen die 89 bereits Sanktionierten erstattet und die Entlassung des KTU-Vorsitzenden Jeong Jin Hoo in eine fristlose Kündigung umgewandelt, was einen Verlust der Renten- und anderer Ansprüche bedeuten würde. Der Geschaßte zeigte sich im Gespräch mit Hankyoreh davon allerdings wenig beeindruckt. »Ich wurde schon dreimal (1988, 1989 und 2000) entlassen -- und jedes Mal erwies sich, daß meine Aktionen gerechtfertigt waren. Und ich glaube, das wird dieses Mal nicht anders sein.« Mehr Sorgen macht er sich, weil es wohl auf lange Zeit zu keinem Dialog mit den Schulbehörden kommen werde. Außerdem hat Regierung die zuständigen Stellen angewiesen, alle Tarifabkommen mit der KTU zu kündigen. Die Gewerkschaft ihrerseits will in der zweiten Jahreshälfte unter der Bevölkerung »für bildungspolitische Alternativen, inklusive einer Versorgung mit freien Mahlzeiten und einer Halbierung des Schulgeldes, werben«.

Bis dahin baut sie auch auf internationale Solidarität. Einen ersten Erfolg gab es bereits: Fred van Leeuwen, Generalsekretär von Education International, die weltweit 401 Lehrergewerkschaften in 172 Ländern repräsentiert, protestierte in einem Brief an den Staatspräsidenten und ehemaligen Hyundai-Manager Lee Myung Bbak gegen die Repressalien. Er verlangte, daß entsprechend der Regularien der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) »alle nachteiligen Maßnahmen gegen KTU-Mitglieder und -führer aufgehoben und die notwendigen Schritte unternommen werden, damit koreanische Lehrergewerkschafter ihr Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit ohne Angst vor Einmischung staatlicher Stellen wahrnehmen können«.

* Aus: junge Welt, 25. August 2009


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