Nordkoreas Dialogbereitschaft – Auftakt für Verhandlungen über das Atomwaffenprogramm?
Ein Beitrag von Jerry Sommer in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *
Andreas Flocken (Moderator):
Rätselhaftes Nordkorea. Vor einigen Monaten sah sich das Land noch im Kriegszustand, drohte Südkorea und den USA mit Raketenangriffen. In der vergangenen Woche signalisierte Pjöngjang dann überraschend Dialogbereitschaft. Die für diese Woche angesetzten Gespräche mit südkoreanischen Vertretern wurden jedoch wieder abgesagt.
Wie also umgehen mit der Atommacht Nordkorea? Jerry Sommer ist dieser Frage nachgegangen:
Manuskript Jerry Sommer
Bei den vorläufig abgesagten Gesprächen stand das nordkoreanische Atomprogramm nicht auf der Tagesordnung. Das wird sich auch nicht ändern, wenn diese Gespräche in naher Zukunft doch noch zustande kommen sollten. Der Sicherheitsexperte Michael Elleman vom Londoner „International Institute for Strategic Studies“ hält die Ausklammerung dieses diffizilen Themas für verständlich:
O-Ton Elleman (overvoice)
„Nordkorea muss erst einmal seine Beziehungen zu Südkorea verbessern. Es muss zum Beispiel die ökonomische Zone Kaesong wieder öffnen. Ich denke, es müssen kleine Dinge sein, die nichts mit dem Atomwaffenprogramm zu tun haben, um wieder Vertrauen zu schaffen und einen Dialog aufzubauen.“
Sollte es zu einer innerkoreanischen Annäherung kommen, dürfte dies jedoch nicht ausreichen, um die mit dem nordkoreanischen Atomwaffen- und Raketenprogramm verbundenen Probleme zu lösen. Pjöngjang hat sich zwar auch zu einem Dialog mit allen relevanten Parteien über seine Atomwaffen bereit erklärt. Aber der junge Führer Kim Jong Un hat gleichzeitig verkündet, dass Nordkorea auch in Zukunft sowohl auf Atomenergie als auch auf Nuklearwaffen setzt. Wörtlich sagte er kürzlich:
Zitat:
„Die nuklearen Streitkräfte werden qualitativ und quantitativ ausgebaut bis eine Denuklearisierung der Welt erreicht ist.“
Das Nuklearprogramm Nordkoreas lässt sich nicht mit ökonomischen Zugeständnissen wegverhandeln, sagt der US-Politikwissenschaftler Leon Sigal:
O-Ton Sigal (overvoice)
„Die USA würden einen schweren Fehler begehen, wenn sie glauben, dass Nordkorea seine Atomwaffen gegen wirtschaftliche Vergünstigungen eintauscht. Die nordkoreanische Führung sagt, dass diese Waffen ein allmächtiges Schwert sind, das die Souveränität und die Sicherheit des Landes gewährleistet. Die Nuklearwaffen seien daher nicht verhandelbar, solange - und das ist eine interessante Formulierung – ‚die nukleare Bedrohung und die feindliche Politik der USA andauern‘.“
Bisher hat Washington von Nordkorea gefordert, es müsse seine Bereitschaft zu einer völligen Denuklearisierung erklären, bevor neue Verhandlungen über das Atomprogramm beginnen könnten. Zu dem Ziel einer völligen nuklearen Abrüstung hatte sich Nordkorea 2005 im Rahmen der sogenannten Sechs-Parteien-Gespräche mit China, Russland, den USA, Japan und Südkorea bekannt. Eine solche Vorbedingung sei diesmal kontraproduktiv, meint Greg Thielmann von dem Washingtoner Think Tank „Arms Control Association“:
O-Ton Thielmann (overvoice)
„Es ist unwahrscheinlich, dass die Nordkoreaner dies vor dem Beginn von Verhandlungen akzeptieren würden. Die Denuklearisierung ist für mich ein sehr wichtiges Ziel. Sie sollte aber nicht eine Vorbedingung für Verhandlungen sein. Anderenfalls werden wir niemals wieder Gespräche führen.“
Nordkorea hat inzwischen drei Nukleartests durchgeführt. Allerdings hat es noch keine einsatzfähige Atomwaffe. Dazu wären weitere Atomtests notwendig. Statt mit unrealistischen Vorbedingungen die Aufnahme von Verhandlungen zu erschweren, wäre es deshalb sinnvoll, wenn die USA ernsthafte und kreative Angebote machten, um Nordkorea zum Beispiel von weiteren Atomtests abzuhalten. Man könnte auch auf Pjöngjangs Forderung eingehen und über einen Friedensvertrag verhandeln. Greg Thielmann von der „Arms Control Association“ hält es für einen Fehler, dass die US-Regierung hierzu bislang nicht bereit ist:
O-Ton Thielmann (overvoice)
„Es ist ganz eindeutig in unserem Interesse, mit Nordkorea wieder diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Es ist inakzeptabel und eigentlich nicht zu glauben, dass wir immer noch eine Waffenstillstandsvereinbarung von 1953 haben und keinen Friedensvertrag. Ein Friedensvertrag muss ganz eindeutig beinhalten, dass keine Seite die andere Seite angreifen wird.“
Die USA könnten auch anbieten, dass sie künftig den Start nordkoreanischer Satelliten in die Erdumlaufbahn akzeptieren. Das geht zwar nur mit Raketen. Doch ein entscheidender militärischer Erkenntnisgewinn ist damit nicht verbunden. Im vergangenen Jahr haben die USA jedoch einen solchen Satellitenstart durch Nordkorea zum Anlass genommen, um neue UN-Resolutionen und Sanktionen gegen Nordkorea durchzusetzen. Zwischen Satellitenstarts und dem Test von Interkontinentalraketen bestünden wesentliche Unterschiede, erklärt Michael Elleman vom Londoner „International Institute for Strategic Studies“:
O-Ton Elleman (overvoice)
„Satellitenstarts sind zwar nicht zu begrüßen, aber sie sind auch nicht von größerer strategischer Bedeutung. Denn noch nie hat ein Land eine Satellitenabschussvorrichtung in eine militärische Rakete umgewandelt. Insofern glaube ich, dass die USA und die Welt auf die Ereignisse des letzten April überreagiert haben.“
Nordkorea braucht nach Auffassung von Experten wie Elleman noch mindestens fünf Jahre, um eine einsatzfähige Interkontinentalrakete zu entwickeln. Wenn man Nordkorea die richtigen Angebote unterbreitet, könnte man ein Einfrieren des Raketenprogramms erreichen, meint der Rüstungsexperte Greg Thielmann:
O-Ton Thielmann (overvoice)
„Entgegen all dem, was man in der Presse liest, hat es bisher keinen einzigen Langstreckenraketentest von Nordkorea gegeben. Vielleicht gibt es die Möglichkeit, es dabei zu belassen, wenn wir einfallsreich genug sind.“
Die US-Regierung geht offensichtlich davon aus, dass China Druck auf Pjöngjang ausüben kann, um das nordkoreanische Atomwaffen- und Raketenprogramm zu beenden. Doch diese Hoffnung dürfte unrealistisch sein. China hat nach wie vor kein Interesse an einem Zusammenbruch des nordkoreanischen Regimes und wird deshalb die Energie- und Nahrungsmittellieferungen fortsetzen. Das weiß auch Kim Jong Un. Und daher kann er sich einige Freiheiten erlauben. Außerdem ist die nordkoreanische Führung durchaus daran interessiert, Beziehungen zu den USA aufzubauen, um nicht vollkommen von China abhängig zu sein. Deshalb sei es entscheidend, inwieweit die US-Regierung von einer einseitig auf Sanktionen und Isolierung Nordkoreas gerichteten Politik abrückt, erklärt Nadine Godehardt, die Asienexpertin der Berliner „Stiftung Wissenschaft und Politik“:
O-Ton Godehardt
„Ganz zentral ist, dass auch die USA in einen Dialog mit Nordkorea treten wollen. Darauf hat China kaum Einfluss. Das können sie ansprechen, aber das können sie nicht direkt beeinflussen.“
Eine Veränderung der politischen Rahmenbedingungen hin zum Abbau von Feindschaften und Bedrohungswahrnehmungen kann helfen, die Atomproblematik zu relativieren – so wie in den 1970er Jahren die Entspannungspolitik zwischen den beiden deutschen Staaten die militärische Konfrontation von NATO und Warschauer Pakt in den Hintergrund gedrängt hat, sagt Nadine Godehardt:
O-Ton Godehardt
„Es gibt langfristig kaum eine andere Möglichkeit, als Nordkorea einzubinden und das Nuklearprogramm immer mehr zu marginalisieren - so dass es für Nordkorea unwichtig wird, ähnlich wie durch die Ostpolitik, die wir früher hier in Deutschland eingeführt hatten.“
Mit Gesprächen zwischen Nordkorea und Südkorea würde sich ein Fenster der Gelegenheit für ein besseres politisches Klima auf der koreanischen Halbinsel öffnen. Aber nur, wenn die US-Regierung bereit ist, sich ebenfalls in einen Verhandlungsprozess mit Nordkorea ohne Vorbedingungen einzulassen, kann auch längerfristige Stabilität entstehen. Dagegen gibt es in den USA allerdings auch innenpolitische Vorbehalte, glaubt Nadine Godehart:
O-Ton Godehardt
„Die USA müssen bereit sein für diesen Prozess, der auch langwierig ist, so wie es schon einmal war. Und möglicherweise, das kann niemand vorher sehen, kann der Prozess auch wieder scheitern. Und das ist im Moment auch für Obama sehr schwierig durchzusetzen.“
Greg Thielmann von der Washingtoner „Arms Control Association“ ist da ein wenig optimistischer. Die Chance, dass die Obama-Regierung eine neue Nordkoreapolitik wagt, schätzt er auf fünfzig Prozent ein.
* Aus: NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien", 15. Juni 2013; www.ndr.de
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