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Glaubwürdige Dialogbereitschaft? Nach dem nordkoreanischen Atom-Moratorium

Ein Beitrag von Jerry Sommer aus der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator):
In der südkoreanischen Hauptstadt Seoul beginnt kommende Woche ein sogenannter Nuklear-Gipfel. Das Ziel der Konferenz: zu verhindern, dass nukleares Material in die Hände von Terroristen gelangt. Am Rande des Treffens wird es aber auch um das nordkoreanische Atomprogramm gehen. Denn nach dem Tod des langjährigen Machthabers Kim Jong Il hatte sich die neue Führung in Pjöngjang im vergangenen Monat, zur Überraschung vieler Experten, kompromissbereit gezeigt. Einzelheiten von Jerry Sommer:


Manuskript Jerry Sommer

Nordkorea hat sich Ende Februar bereiterklärt, keine Atomtests und keine Versuche mit Langstreckenraketen durchzuführen. Pjöngjang will außerdem die Anreicherung von Uran suspendieren sowie Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde wieder zur Kontrolle der Atomanlagen ins Land lassen. Im Gegenzug wollen die USA 240.000 Tonnen an Nahrungsmitteln nach Nordkorea liefern.

Die Grundzüge dieses Deals waren schon im Dezember, kurz vor dem Tod des nordkoreanischen Führers Kim Jong Il, ausgehandelt worden. Nordkorea wollte Ruhe an der internationalen Front haben, um die im kommenden Monat anstehenden Feierlichkeiten zum hundertsten Geburtstag von Staatsgründer Kim Il Sung mit ökonomischen und sozialen Fortschritten verbinden zu können. Die Machtübergabe an den jungen Kim Jong Un habe dieses Anliegen nur noch dringender gemacht, erklärt der britische Diplomat Jim Hoare, der lange Zeit in Korea gearbeitet hat:

O-Ton Hoare (overvoice)
„Nordkorea strebt ein friedliches Umfeld an, damit der Wechsel an der Spitze vollzogen werden kann und um die Feiern im April in einer positiven Atmosphäre abhalten zu können. Das ist das Motiv für die Politik der Verständigung.”

Der Korea-Spezialist von der amerikanischen Stanford-Universität, David Straub, vermutet auch noch andere Gründe:

O-Ton Straub (overvoice)
„Die neue Führung will der eigenen Gesellschaft wahrscheinlich zeigen, dass sie mit äußeren Bedrohungen fertig wird. Und Nordkorea leidet auch unter einem chronischen Mangel an Nahrungsmitteln.“

Möglich wurde die Vereinbarung aber auch durch einen Kurswechsel der Obama-Administration. Washington ist inzwischen wieder dialogbereit, nachdem man zuvor lange Zeit eine Politik der sogenannten „strategischen Geduld“ verfolgt hatte: Sie setzte auf einen Zusammenbruch des Regimes und war zu diplomatischen Gesprächen mit den gegenwärtigen Machthabern in Nordkorea und ökonomischen Offerten kaum bereit. Damit lag die US-Regierung auch auf einer Linie mit dem konservativen südkoreanischen Präsidenten Lee Myung Bak. Dieser hatte seit seiner Wahl 2008 einen harten Kurs gegenüber Nordkorea verfolgt. Er machte Nordkorea insbesondere für den Untergang eines südkoreanischen Kriegsschiffs im März 2010 verantwortlich – was Nordkorea allerdings abstreitet - und stellte daraufhin wirtschaftliche und andere Beziehungen zu Nordkorea fast vollständig ein. Doch damit trifft er immer weniger die Stimmung im Land. Bei den im kommenden Monat anstehenden Parlamentswahlen in Südkorea und den Präsidentschaftswahlen im Dezember hat die Opposition gute Chancen. Korea-Experte David Straub:

O-Ton Straub (overvoice)
„Die Linke könnte die Wahlen gewinnen und dann eine ‚Sonnenschein-‚ und Entspannungspolitik‘ gegenüber dem Norden einleiten, die sich deutlich von der Politik der bisherigen US-Administrationen unterscheidet. Mit der jetzigen Vereinbarung und der Aussicht auf weitere Verhandlungen mit Nordkorea sind die USA nun besser in der Lage, auch mit Südkorea zusammen zu arbeiten, falls die Linke die Wahlen gewinnt.“

Ein weiterer Grund für den amerikanischen Politikwechsel dürfte die Erkenntnis sein, dass der Spatz in der Hand besser ist als die Taube auf dem Dach. Denn Kompromisslosigkeit, Sanktionen und Isolierung haben die USA dem angestrebten Ziel einer schnellen vollständigen Denuklearisierung Nordkoreas nicht näher gebracht. Das nun vereinbarte Einfrieren des Atom- und Raketenprogramms Nordkoreas würde immerhin verhindern, dass Nordkorea sein Potenzial ausbaut. Es könnte zugleich den Weg zu einer Denuklearisierung wieder öffnen.

Nordkorea hat zwar 2006 und 2009 jeweils einen Atomtest durchgeführt. Doch ohne weitere Versuche ist nach Expertenmeinung das Land nicht in der Lage, einen Atomsprengkopf zu bauen, der auch auf eine Rakete montiert werden könnte. Und ohne weitere Raketentests können auch keine Flugkörper längerer Reichweite entwickelt werden. Schließlich kann die Urananreicherungsanlage, die Nordkorea in Betrieb genommen hat, nicht nur Kernbrennstoff für im Bau befindliche Kernkraftwerke, sondern auch Nuklearmaterial für weitere Atombomben produzieren. Nordkorea verfügt nach Schätzungen über Plutonium-Vorräte, mit denen rund acht Sprengköpfe hergestellt werden könnten. Das Plutonium kommt aus den wiederaufbereiteten Brennstäben des inzwischen stillgelegten Reaktors.

Ein Einfrieren solcher Aktivitäten und eine Kontrolle durch die internationale Atomenergiebehörde ist für die die Obama-Administration ein Schritt in die richtige Richtung. Kritiker halten jedoch nichts von den Vereinbarungen. Zum Beispiel der einflussreiche amerikanische Publizist Charles Krauthammer:

O-Ton Krauthammer (overvoice)
„Der Vereinbarung zuzustimmen, ist verrückt. Denn die Nordkoreaner werden uns betrügen. Das haben sie immer gemacht seit der Vereinbarung mit Clinton 1994. Und wir geben ihnen Nahrungsmittel, die das Regime zum Überleben braucht, und sie werden ihre Zusagen nicht einhalten.“

Kritiker fühlen sich durch die jüngste Ankündigung der nordkoreanischen Regierung bestätigt. Pjöngjang hat in der vergangenen Woche mitgeteilt, einen nichtmilitärischen Beobachtungs-Satelliten ins All zu schießen. Die US-Regierung sprach von einer Provokation. Die Ankündigung stehe im Widerspruch zum Versprechen, auf Versuche mit Langstreckenraketen zu verzichten. Die Regierung in Pjöngjang verweist dagegen darauf, der geplante Satelliten-Start ins All diene ausschließlich friedlichen Zwecken. Unter das vereinbarte Moratorium von Raketentests fielen ausschließlich militärische Projekte.

Möglicherweise haben sich die Hoffnungen auf einen Neuanfang damit wieder einmal als trügerisch erwiesen. Die USA stellen nun die Vereinbarung über die Lieferung von Nahrungsmitteln wieder in Frage. Seit 1994 wurden zwischen Washington und Pjöngjang immer wieder Verträge abgeschlossen und aufgekündigt, die etappenweise die Denuklearisierung Nordkoreas vorsahen – als Gegenleistung für wirtschaftliche Hilfen und die Aussicht auf eine Normalisierung der Beziehungen zu den USA. Trotzdem: Einseitige Schuldzuweisungen sind nicht angebracht.

Schon in der Vergangenheit war Nordkorea keineswegs allein verantwortlich dafür, wenn Vereinbarungen nicht umgesetzt wurden. So hat 2002 der damalige Präsident George W. Bush Nordkorea zur „Achse des Bösen“ erklärt und den Vertrag zwischen Clinton und Nordkorea über eine Denuklearisierung Nordkoreas auf Eis gelegt. Damit war der versprochene Bau von zwei Leichtwasserreaktoren in Nordkorea hinfällig. Die Folge: Nordkorea begann - nach acht Jahren Pause - wieder Plutonium herzustellen.

2005 stimmte Nordkorea bei den sogenannten Sechs-Parteien-Gesprächen mit China, Russland, Japan, den USA und Südkorea erneut einem Abkommen über eine Denuklearisierung zu - im Gegenzug sollte das Land Energielieferungen erhalten. Doch wenig später verhängte Washington Sanktionen gegen die wichtigste Außenhandelsbank Nordkoreas. Die Reaktion Nordkoreas: Ausstieg aus den Gesprächen, Durchführung des ersten Atomtests. 2007 nahm die Bush-Administration die Bank-Sanktionen wieder zurück, Nordkorea bekannte sich wieder zu Denuklearisierung, stellte die Plutoniumgewinnung ein und zerstörte den Kühlturm seines Plutonium-Reaktors – alles unter Kontrolle der Internationalen Atomenergiebehörde.

Doch 2009 verweigerte das inzwischen konservativ regierte Südkorea, unterstützt von den USA, die versprochenen Öllieferungen, weil es die von Nordkorea zugesagten Verifikationsmaßnahmen für unzureichend hielt. Bald darauf verhängten die USA weitere Sanktionen gegen Nordkorea, weil sie es – anders als China und Russland - für vertragswidrig hielten, dass Nordkorea einen Satelliten mittels einer Rakete ins All zu schießen versuchte. Nordkorea kündigte wieder die Denuklarisierungsvereinbarung und führte einen weiteren Atomtest sowie einige Raketentests durch.

Trotz dieser vielen Rückschläge. Der ehemalige US-Botschafter in Südkorea, Donald Gregg, ist nach der jüngsten Vereinbarung mit Nordkorea zuversichtlich:

O-Ton Gregg (overvoice)
„Wir sollten nicht zurück, sondern nach vorn schauen. Die jetzt getroffene Vereinbarung kann die Grundlage schaffen für wichtige Verhandlungen über eine Denuklearisierung. Aber das braucht seine Zeit. Denn wir müssen Jahrzehnte von Misstrauen zwischen unseren Staaten überwinden.“

Die jüngste nordkoreanische Ankündigung, einen Satelliten ins All zu schießen, könnte eine solche positive Entwicklung vorerst zunichtemachen. Doch noch ist offen, ob es im kommenden Monat wirklich zum Raketenstart kommen wird. Nicht ausgeschlossen ist auch, dass die USA trotzdem an der Vereinbarung mit Pjöngjang festhalten – weil ihnen das Einfrieren des nordkoreanischen Atomprogramms sehr wichtig ist. Langfristig gibt es ohnehin keine Alternative zu einer Verhandlungslösung. Strategische Durchbrüche sind allerdings selbst im besten Falle nicht vor den Präsidentschaftswahlen in den USA im November und in Südkorea im Dezember zu erwarten.

* Aus: NDR-Info-Sendung "Streitkräfte und Strategien", 24. März 2012


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