Die Eskalationsschraube dreht sich
Nordkorea droht offiziell mit einem Nuklearschlag, die USA rüsten in der Konfliktregion weiter auf
Von Olaf Standke *
Pjöngjang droht nun auch ganz offiziell mit einem Atomschlag und schickt eine Mittelstreckenrakete in den Landessüden, Washington verstärkt im Gegenzug seine Militärpräsenz in der Krisenregion - im Konflikt zwischen Nordkorea auf der einen und den USA wie Südkorea auf der anderen Seite wird weiter an der Eskalationsschraube gedreht.
Den zweiten Tag in Folge hat
Pjöngjang gestern Pendlern aus
dem Nachbarland die Einreise in
den gemeinsam betriebenen Industriepark
von Käsong verweigert.
Dort arbeiten etwa 50 000
Nordkoreaner für über 120 Firmen
aus Südkorea. Die appellierten
jetzt an die nordkoreanische
Führung, das Verbot im Interesse
stabiler Produktionsabläufe aufzuheben.
Zudem wächst in Seoul
die Sorge, dass nach den wochenlangen
Wortgefechten als nächster
Schritt eine militärische Provokation
folgen könnte. Das Verteidigungsministerium
will von einer Mittelstreckenrakete wissen, die
an die Ostküste Nordkoreas verlegt
werde. Es könne sich um einen
ballistischen Flugkörper vom
Typ Musudan handeln, der bei einer
Militärparade im Oktober 2010
erstmals gezeigt wurde. Die
Reichweite dieser Rakete soll bis
zu 4000 Kilometer betragen.
Warum sie verlegt wird, weiß
man allerdings nicht, wie die
Nachrichtenagentur Yonhap berichtete.
Denkbar sei selbst ein besonderer
Salut während der Feierlichkeiten
zum 101. Geburtstag
von Staatsgründer Kim Il Sung am
15. April. Mit Sicherheit geht es
nicht um die neueste Drohung
Richtung Washington: Nachdem
Pjöngjang den gestern auch von
der EU bedauerten Neustart des
Kernreaktors im Nuklearzentrum
Yongbyon verkündet hatte, teilte
der Generalstab dem Weißen Haus
und dem Pentagon über die amtliche
Nachrichtenagentur KCNA formell mit, dass nun militärische
»Operationen ohne jede Rücksicht« bewilligt worden seien. Das
schließe auch Kernwaffen neuester
Bauart ein. Der Rüstungsexperte
Siegfried Hecker von der
Stanford-Universität sieht jedoch
keine Atomraketen, mit denen
man die USA angreifen könnte. USamerikanische
Truppen in Südkorea
oder US-Basen in Japan liegen
aber durchaus in der Reichweite
nordkoreanischer Raketen.
Pjöngjang nannte auch die Pazifikinseln
Guam und Hawaii als potenzielle
Ziele. Nur – »die Kurzund
Mittelstreckenraketen haben
den Ruf der Unzuverlässigkeit und
sind sehr ungenau«, sagt Korea-
Experte Peter Hayes vom kalifornischen
Nautilus-Institut.
Dessen ungeachtet hat der neue
Pentagon-Chef Chuck Hagel in seiner
ersten Grundsatzrede an der
Universität des US-Militärs in Washington
am Mittwoch (Ortszeit)
eindringlich vor der »echten Gefahr
« durch Nordkoreas Atomprogramm
und Raketen für die
USA und ihre Verbündeten Südkorea
und Japan gewarnt. Die Supermacht,
die in Südkorea über
28 000 Soldaten stationiert hat
und in den vergangenen Tagen
schon atomwaffenfähige B52-
Bomber und B2-Tarnkappenjäger
zur Machtdemonstration aufsteigen
ließ, will ihre militärische Präsenz
weiter verstärken. So verlegte
die Marine Zerstörer und eine gigantische
schwimmende Radarstation.
In den nächsten Wochen
soll auf der Pazifikinsel Guam ein
auf Lastwagen montiertes mobiles
ballistisches Abwehrsystem eintreffen.
Peter Hayes warnt, dass sich
etwa die Verlegung der B52 noch
als strategischer Fehler herausstellen
könnte. Denn damit bestehe
zum einen die Gefahr, dass die
in Nordkorea historisch tief verwurzelte
Angst vor einem USamerikanischen
Atomangriff wiederbelebt
werde, und zum anderen
könnte sich Pjöngjang durch
diese Aufrüstung darin bestätigt
fühlen, dass man nun »den heiligen
Status eines Nuklearstaates
erreicht habe«.
* Aus: neues deutschland, Freitag, 5. April 2013
Russland warnt alle Seiten
Spannungen auf der Halbinsel sollten nicht weiter angeheizt werden
Von Irina Wolkowa, Moskau **
In Russland glaubt man trotz aller akuten Spannungen, dass weder Nord- noch Südkorea oder die USA einen Krieg vom Zaun brechen wollen. Dennoch werden alle Beteiligten zu Zurückhaltung aufgefordert.
»Statt seine engstirnigen Vorhaben in der Region zu verfolgen, sollte man von Rhetorik und Handlungen absehen, die die Spannungen schüren«, sagte Russlands Sonderbotschafter Grigori Logwinow vor der Presse in Moskau. Derzeit komme es vor allem darauf an, »kein militärisches Szenario zuzulassen«. Politische und diplomatische Mittel zur Beilegung des Konfliktes sollten Priorität haben. Der Appell richtete sich sowohl an Nordkorea als auch an die USA, Südkorea und Japan.
Ähnlich hatte sich zuvor Außenminister Sergej Lawrow geäußert. »Wir verhalten uns prinzipiell ablehnend zu beliebigen Schritten beliebiger Seiten, mit denen Spannungen angeheizt werden.« Russland werde seine Haltung zur Situation auf der Halbinsel nicht aufgrund militärischer Drohungen - darunter aus Pjöngjang - festlegen, sondern sich von »realen Handlungen« leiten lassen.
Experten nannten Moskaus offizielle Position »ausgewogen und selbstbewusst«. Auch sie gehen davon aus, dass Nordkorea wieder einmal kräftig blufft. Deshalb tue Russland gut daran, auf Provokationen aus Pjöngjang nicht zu reagieren, meint Alexej Arbatow, Direktor des Zentrums für internationale Sicherheit an der Akademie der Wissenschaften. Lawrow hätte jedoch darauf verweisen müssen, dass die nordkoreanischen Drohungen unakzeptabel sind und allen Normen zivilisierten Umgangs widersprechen.
Erhöhte Aufmerksamkeit, warnte auch der Politikwissenschaftler Dmitri Polikanow in Anspielung auf die Manöver der USA und ihrer Verbündeten vor den Küsten Südkoreas, würden eher Eskalation als zur Deeskalation führen. Wachsamkeit sei dennoch geboten. Zwar seien Nordkoreas Möglichkeiten für den Einsatz von Kernwaffen bescheiden, bei einer Verzweiflungstat der Führung in Pjöngjang wäre jedoch der Ferne Osten Russlands betroffen.
** Aus: neues deutschland, Freitag, 5. April 2013
Hagels Botschaft
Von Olaf Standke ***
Die Aufregung um die tägliche Drohung Nordkoreas hat auch das mediale Echo auf die erste Grundsatzrede des neuen Pentagon-Chefs Chuck Hagel geprägt. Dabei ging es bei seinem Auftritt in der National Defense University in Washington um weit mehr: die Sicherung der selbst verordneten globalen Führungsrolle der USA, die sich entscheidend auf ein überlegenes Waffenpotenzial und die Fähigkeit zur militärischen Intervention in aller Welt gründet.
Hagels Botschaft ist klar: Die wirtschaftlich und fiskalisch schwächelnde Supermacht dürfe kein Machtvakuum zulassen. Trotz der unlängst in Kraft getretenen Haushaltskürzungen, die auch den Pentagon-Etat mit einem Minus von 7,9 Prozent massiv treffen, wollen die USA weiter militärische Stärke demonstrieren - wofür bei allen Sparzwängen nach wie vor weit über 40 Prozent der weltweiten Ausgaben für Streitkräfte und Rüstung durchaus die Basis bilden dürften. Zugleich soll Hagel aber das noch immer auf langwierige Kriegseinsätze wie zuletzt in Irak und Afghanistan fokussierte Militär reformieren. Hochmobile und schlagkräftige Spezialkräfte, Kampfdrohnen oder der sogenannte Cyberwar sind da die Schlagworte der neuen Strategie unter Präsident Barack Obama, die im starken Maße auf den asiatisch-pazifischen Raum ausgerichtet ist. Auch vor diesem Hintergrund haben die USA im Konflikt mit Nordkorea jetzt zusätzliche Zerstörer, Kampfjets und Bomber in die Region verlegt und mit dem Ausbau ihrer Raketenabwehr begonnen.
*** Aus: neues deutschland, Freitag, 5. April 2013 (Kommentar)
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