Kims Rakete abgestürzt
Dennoch Empörung über nordkoreanischen Satellitenstart
Von Detlef D. Pries *
Der »Helle Stern« ist abgestürzt, bevor er zu leuchten begann. Der nordkoreanische Versuch, einen Beobachtungssatelliten ins All zu befördern, scheiterte am Freitag bereits kurz nach dem Raketenstart. Dennoch wurde der UN-Sicherheitsrat zu einer Dringlichkeitssitzung zusammengerufen.
Am Freitagmorgen, fünf Sekunden vor 7.39 Uhr Ortszeit (0.39 Uhr MESZ), sei die Rakete mit dem Satelliten Kwangmyongsong-3 (Heller Stern) vom Kosmodrom Sohae in der Provinz Nord Pjongan gestartet. »Der Erdbeobachtungssatellit hat die geplante Umlaufbahn nicht erreicht. Wissenschaftler, Techniker und Experten untersuchen nun die Gründe des Fehlschlags«, hieß es in einer lakonischen Mitteilung der Nachrichtenagentur KCNA.
Zwei Minuten nach dem Start sei die Rakete in 151 Kilometer Höhe explodiert, meldeten ausländische Beobachtungsstationen. Die Trümmer seien etwa 200 Kilometer von der südkoreanischen Küste entfernt ins Gelbe Meer gestürzt. Südkoreas Kriegsmarine suche an der Absturzstelle nach Bruchstücken.
Der Versuch der nordkoreanischen Führung, sich anlässlich des 100. Geburtstages des »ewigen Präsidenten« Kim Il Sung am 15. April als Weltraumnation zu präsentieren, ist also fehlgeschlagen. Der Satellit sollte zwei Jahre lang unter anderem Wälder und Wetter auf der Koreanischen Halbinsel beobachten. Die USA und ihre Verbündeten argwöhnten indes, der Raketenstart sei ein Test im Rahmen des nordkoreanischen militärischen Atomprogramms. Von einem »provokativen Akt« war die Rede und einem »klaren Verstoß gegen Resolutionen des UN-Sicherheitsrates«.
Tatsächlich verabschiedete der Sicherheitsrat im Juni 2009 nach einem nordkoreanischen Atomtest die
Resolution 1874, in der Pjöngjang aufgefordert wird, alle Atomwaffen und Nuklearprogramme »vollständig, nachweisbar und unwiderruflich aufzugeben«, aber auch zivile Tests »unter Verwendung ballistischer Raketentechnologie« zu unterlassen. Die Führung der KDVR sieht sich dadurch jedoch ungerecht behandelt. Nachbar Japan hatte erst am 12. Dezember vergangenen Jahres vom Weltraumzentrum Tanegashima einen Beobachtungssatelliten ins All befördert, den die Presse als Spionagesatellit bezeichnete.
Trotz des Fehlschlags rief der nordkoreanische Raketenstart harsche Kritik hervor. NATO-Sprecherin Oana Lungescu befand, die Aktion untergrabe die Bemühungen um eine Verringerung der Spannungen in der Region. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton äußerte sich »tief besorgt« über das »gefährliche und destabilisierende« Vorgehen Pjöngjangs.
Der UN-Sicherheitsrat wollte sich noch am Freitag in einer Dringlichkeitssitzung mit dem Fall beschäftigen. Erwartet wurde eine formelle Verurteilung Nordkoreas. Russlands Außenminister Sergej Lawrow »bedauerte« das Vorgehen Pjöngjangs zwar, schloss aber neue Sanktionen gegen das Land aus. Alle Beteiligten müssten ein »Höchstmaß an Verantwortung und Zurückhaltung zeigen« und Anstrengungen für eine Wiederaufnahme der Sechs-Staaten-Gespräche über Nordkoreas Atomprogramm unternehmen, sagte Lawrow nach einem Treffen mit seinen Kollegen aus China und Indien am Freitag in Moskau.
Nach Angaben südkoreanischer Geheimdienste, die gewiss mit Vorsicht zu behandeln sind, hat das missglückte Unternehmen die KDVR 850 Millionen Dollar gekostet. Die Summe hätte ausgereicht, Nordkoreas Bevölkerung ein Jahr lang zu ernähren.
* Aus: neues deutschland, Samstag, 14. April 2012
Ins Wasser gefallen
Nordkoreanischer Satellit kurz nach dem Start abgestürzt. Washington stellt Lebensmittelhilfe in Frage
Von Rainer Matthias **
Rußland hat sich dagegen ausgesprochen, gegen Nordkorea nach dem Fehlstart eines Weltraumsatelliten am Freitag neue Strafmaßnahmen zu verhängen. Zwar habe die Demokratische Volksrepublik mit dem Abschuß der Rakete, die nach einer Minute zerbrochen und ins Meer gefallen war, gegen mehrere Resolutionen des UN-Sicherheitsrats verstoßen, sagte Außenminister Sergej Lawrow. Das müsse von dem Gremium beraten und beantwortet werden, doch müsse die Reaktion »verhältnismäßig« und »verantwortlich« ausfallen. »Wir glauben nicht an Sanktionen, sie wären zur Lösung des Konfliktes nicht hilfreich«, setzte Lawrow hinzu.
Zuvor hatte Rußland im Rahmen der G-8-Außenminister eine Stellungnahme mitgetragen, in der der versuchte Satellitenstart als »Untergrabung von Frieden und Sicherheit in der Region« verurteilt wird. Der Achtergruppe der führenden Industrienationen gehören auch die USA, Japan, Deutschland, Großbritannien, Kanada, Frankreich und Italien an.
China, das als ständiges Mitglied des Sicherheitsrats dort ein Vetorecht hat, reagierte deutlich zurückhaltender. Peking sei über die Vorgänge »sehr besorgt«, sagte der chinesische UN-Botschafter Li Baodong. Zugleich ermahnte er die Staatengemeinschaft, »alles nur Mögliche zu tun, um die Spannung abzubauen, statt die Lage dort anzuheizen«. Der Rat trat am Freitag vormittag (Ortszeit) in New York zusammen. Eine Entschließung lag bei Redaktionsschluß noch nicht vor.
Die US-Regierung hatte zuvor den Startversuch als »provokatorische Aktion« verdammt. Nach Ansicht Washingtons hat die DVRK damit nicht nur gegen UN-Resolutionen, sondern auch gegen ein freiwilliges Moratorium verstoßen. Pjöngjang hatte am 29. Februar angekündigt, vorläufig auf Atomwaffen- und Raketentests zu verzichten und die Anreicherung von Uran zu unterbrechen. Dabei soll es sich um vertrauensbildende Maßnahmen zur Erleichterung der internationalen Gespräche über das nordkoreanische Atomprogramm handeln. Beteiligt sind daran die USA, China, Rußland, Südkorea und Japan. Die DVRK hatte 2009 die Verhandlungen abgebrochen, bemüht sich aber schon seit einiger Zeit, sie wieder in Gang zu bringen. Das wird jedoch von Südkorea und den USA blockiert.
Gleichzeitig mit dem Moratorium, wenn auch nicht als offizielles Tauschgeschäft, hatte Washington die Lieferung von 240000 Tonnen »Nahrungsmittelhilfe« nach Nordkorea versprochen. Diese Zusage, deren Einlösung noch nicht begonnen hat, wird jetzt von US-Politikern in Frage gestellt.
Die Demokratische Volksrepublik hatte den Satellitenstart als Beitrag zu den umfangreichen Feiern anläßlich des 100. Jahrestags der Geburt von Staatsgründer Kim Il Sung, die ihren Höhepunkt am Sonntag erreichen sollen, geplant. Nordkorea hatte zuvor schon zweimal, 1998 und 2009, versucht, künstliche Erdtrabanten ins All zu schießen. Nach westlichen und russischen Erkenntnissen waren auch diese Unternehmen erfolglos verlaufen.
** Aus: junge Welt, Samstag, 14. April 2012
Launch of DPR Korea’s satellite ‘deplorable,’ says Ban
13 April 2012 – Despite its failure, the launch of a so-called ‘application satellite’ by the Democratic People’s Republic of Korea (DPRK) is “deplorable,” Secretary-General Ban Ki-moon said today, and urged the country to not undertake further actions that could increase tension in the region.
http://www.un.org
Early this morning, DPRK authorities launched the satellite, but, according to media reports, it flew less than two minutes before exploding and crashing into the waters of the Korean peninsula.
http://www.un.org
The Secretary-General said the launch “defies the firm and unanimous stance of the international community” and threatens regional stability, according to statement issued by his spokesperson.
http://www.un.org
Mr. Ban has consistently been calling on the DPRK Government to reconsider its decision to launch the satellite, noting that it violates the Security Council resolution 1874 of 2009, which bans “any launch using ballistic missile technology.” That resolution imposed additional sanctions on DPRK after previous demands that the country not conduct any further nuclear or missile tests went unheeded.
http://www.un.org
In the statement, Mr. Ban reaffirmed his commitment to work for peace and stability on the Korean peninsula and help the people of the DPRK, in particular, by addressing the serious food and nutrition needs of the most vulnerable.
http://www.un.org
“The Secretary-General renews his call on the DPRK authorities to work towards building confidence with neighbouring countries and improving the life of its people,” the statement said.
Source: United Nations, News Centre, 13 April 2012; www.un.org
Schatten über dem »Tag der Sonne«
Im Norden Koreas wird am Sonntag der 100. Geburtstag des »ewigen« Präsidenten Kim Il Sung begangen
Von Peter Kirschey ***
Der »Tag der Sonne«, zu dem der bevorstehende
100. Geburtstag Kim Il
Sungs in Nordkorea erklärt worden
war, wird durch den missglückten Satellitenstart
vom Freitag überschattet.
Für die Bevölkerung ändert sich dadurch
allerdings wenig.
Als Kim, der Älteste, am 8. Juli
1994 im Alter von 82 Jahren starb,
war er von seinen Getreuen schon
längst in den Stand eines Überirdischen
erhoben worden: Kim Il
Sung, der Mann, der die Welt auf
einzigartige Weise verändert, das
Tor zu einem neuen Zeitalter aufgestoßen,
mit der Dschutsche-
Ideologie eine Weltreligion geschaffen
hatte, die den geknechteten
Völkern der Erde den Weg in
eine lichte Zukunft zeige. Der Start
eines weiteren Satelliten in das
Weltall anlässlich seines 100. Geburtstages
sollte zum weithin
leuchtenden Symbol eines modernen
aufstrebenden Nordkoreas
werden, zum Höhepunkt der monatelangen
Vorbereitungen auf die
Geburtstagsfeiern am 15. April.
Wie weit Wirklichkeit und Propaganda
auseinanderliegen, lässt
sich an kaum einem anderen Ort
deutlicher erleben als in Pjöngjang,
wo seit Wochen Tausende Hauptstädter,
Soldaten und Kinder vom
frühen Morgen bis in den späten
Abend trainieren, um am Sonntag
ein einzigartiges Spektakel zu veranstalten.
Doch hinter der Kulisse
aus paradierenden Militärs, bunten
Bildern, Fahnen und jubelnden
Massen verbirgt sich ein armes,
weitgehend isoliertes, aber hochgerüstetes
Land, dessen Führung
durch Säbelrasseln und Drohungen
mit einem »heiligen Krieg«
nordkoreanischer Prägung gegen
den Süden Aufmerksamkeit in der
Welt zu erringen sucht.
Kim Il Sung hatte am 9. September
1948 im Nordteil der nach
dem Zweiten Weltkrieg durch die
Besatzungsmächte USA und Sowjetunion
geteilten Koreanischen
Halbinsel die Demokratische
Volksrepublik Korea proklamiert.
Bereits am 15. August hatte eine
von den USA installierte Regierung
im Süden die Republik Korea ausgerufen.
Beide Staaten erhoben
den Anspruch, das einzig rechtmäßige
Korea zu sein. Der Versuch,
die Vereinigung gewaltsam
zu erzwingen, führte zwischen
1950 und 1953 zu einem Krieg mit
Millionen Toten, der zum Weltkrieg
auszuufern drohte, schließlich
aber mit einem bis heute gültigen
Waffenstillstand endete.
Der heiße Krieg hatte beide
Landesteile verwüstet, sie gehörten
danach zu den ärmsten Regionen
der Welt. Dank einer geschickt
praktizierten Neutralität im erbitterten
Streit zwischen der Sowjetunion
und China brachte es Nordkorea
immerhin zu bescheidener
wirtschaftlicher Kraft. Kim Il Sung
trieb seine Landsleute zu immensen
Anstrengungen an, forcierte
den Aufbau der Schwerindustrie,
nahm von allen, grenzte sich von
allen ab und arbeitete schon früh
an dem Mythos, dass Nordkorea
ein einzigartiges Land sei, das über
besondere Kräfte verfüge. Derweil
der Süden noch in halbfeudalem
Schlaf lag, glaubte Kim, die Erde
liege ihm zu Füßen. Seine Schriften,
von den diplomatischen Vertretungen
Nordkoreas verbreitet,
überschwemmten die Welt und
propagierten ihn als neuen Messias
für die unterdrückten Völker. Im
Lande selbst konzentrierte sich alle
Macht in den Händen des großen
Führers und geliebten Präsidenten
Kim Il Sung.
Das sollte sich unter seinem
Sohn und Nachfolger Kim Jong Il
fortsetzen. Doch die Welt hatte sich
inzwischen grundsätzlich verändert.
Das sozialistische Lager hatte
aufgehört zu existieren, Geschenke
und günstige Lieferungen blieben
aus, während der Erzfeind im Süden
zu einer Wirtschaftsmacht
aufgestiegen war. Pjöngjang geriet
in immer größere Isolation und
begann einen gewaltsamen, von
außen geschürten »Regimewechsel
« zu fürchten. Um dem zu entgehen,
setzten die Machthaber
aufs Militär. Gnadenlose Aufrüstung
und ein Massenheer bilden
die Grundlage des Systems; andere
Bereiche, darunter die Landwirtschaft,
verfielen. Seit Jahren ist
Nordkorea auf Nahrungsmittellieferungen
angewiesen. Doch hat
das die Führung nicht zum Umdenken
veranlasst. Sie glaubt, als
Atommacht unangreifbar zu sein.
Die Hoffnung, dass der jüngste
»oberste Führer« Kim Jong Un
andere Akzente setzt, hat sich bisher
nicht erfüllt. Er werde die revolutionären
Ideen des »Kimilsungismus-
Kimjongilismus« hochhalten,
hieß es diese Woche in der
Meldung über seine Wahl zum
Ersten Sekretär der Partei der Arbeit
Koreas. Und der Bevölkerung
wurde die Losung verschrieben:
»Solange wir dem teuren, geachteten
Genossen Kim Jong Un folgen,
sind uns Freuden und Sorgen
und Härten eine Ehre.«
*** Aus: neues deutschland, Samstag, 14. April 2012
Zurück zur Korea-Seite
Zurück zur Homepage