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Neue Runde im Atompoker

Nordkorea will nach UN-Beschluss Sechser-Gespräche boykottieren

Von Olaf Standke *

Aus Protest gegen eine Erklärung des UN-Sicherheitsrats will Nordkorea die Sechs-Parteien-Gespräche zu seinem Atomprogramm boykottieren. Zugleich drohte das KDVR-Außenministerium am Dienstag (14. April), man werde die nukleare Abschreckung wieder ausbauen.

»Wir werden niemals mehr an diesen Gesprächen teilnehmen«, kündigte das Außenministerium in Pjöngjang am Dienstag an. Gemeint ist die Sechs-Staaten-Runde zum Atomprogramm des Landes. Grund für diesen nicht zum ersten Mal verkündeten Ausstieg aus den 2003 begonnenen Verhandlungen mit Südkorea, den USA, China, Russland und Japan ist die jüngste Verurteilung der KDVR durch den Weltsicherheitsrat nach dem international kritisierten Start einer Rakete mit der Reichweite von Tausenden Kilometern. Nach Angaben Nordkoreas beförderte sie am 5. April einen Kommunikationssatelliten. Die USA, Japan und Südkorea werfen Pjöngjang jedoch vor, unter dem Vorwand des Satellitentransports eine Langstreckenrakete für sein Atomwaffenprogramm getestet zu haben. Dabei handelt es sich um eine Trägerrakete vom Typ Unha-2, im Westen als Taepodong-2 geführt, die theoretisch die US-amerikanische Westküste erreichen könnte.

Erst nach zähem Ringen hatte das wichtigste Gremium der Vereinten Nationen Nordkorea am Montag (13. April) aufgefordert, keine weiteren Raketentests vorzunehmen und sich an Verhandlungen zu beteiligen. Schon unmittelbar nach dem jüngsten Start sprach USA-Präsident Barack Obama von einer »klaren Verletzung« der UN-Resolution 1718. Die Entschließung war nach dem nordkoreanischen Atomwaffentest im Jahr 2006 verabschiedet worden. Sie untersagt dem Land auch jegliche Tests mit ballistischen Raketen – dabei ist eine friedliche und zivile Nutzung durch keinen völkerrechtlichen Vertrag verboten.

Washington und Tokio konnten sich allerdings nicht mit ihrer Forderung nach einer neuen Resolution durchsetzen. Wegen Bedenken Chinas und Russlands blieb es jetzt bei einer Präsidialerklärung, die in ihrer rechtlichen Wirkung weniger stark ist als eine direkte Verurteilung durch die 15 Mitgliedstaaten. Peking gestand Nordkorea erneut »wie jedem anderen Land« die friedliche Nutzung der Raumfahrt zu. Die UN-Vertreterin der USA, Susan Rice, sprach dennoch von einem starken und eindeutigen Beschluss. Zumindest kündigten die Ratsmitglieder an, dass ein vor drei Jahren prinzipiell beschlossener Ausschuss zusammentreten solle, um die angedrohten Sanktionen zu konkretisieren. Nach Angaben von UN-Diplomaten könnte er noch in diesem Monat festlegen, für welche Waffen und waffenfähigen Materialien sowie Atom- und Raketentechnologie Pressionen in Kraft treten.

Der Protest aus Pjöngjang kam prompt. Der Weltsicherheitsrat habe mutwillig die Souveränität des Landes verletzt. »Wir haben keine andere Wahl, als unsere atomare Abschreckung für die Selbstverteidigung weiter auszubauen«, erklärte das Außenministerium, das u. a. mit einer erneuten Inbetriebnahme der Nuklearanlagen in Yongbyon drohte. Hier wäre dann die Produktion von kernwaffentauglichem Material möglich. Zudem plane man einen eigenen Leichtwasserreaktor. Experten bezweifeln jedoch, dass das verarmte Land über die dafür erforderliche Technologie verfüge. Dagegen sei sei es durchaus möglich, dass man die Wiederaufbereitungsanlage innerhalb weniger Monate erneut in Betrieb nehmen könnte. Nordkorea hatte wesentliche Teile im Rahmen eines 2007 bei den Sechser-Gesprächen erzielten Abkommens stillgelegt. Im Juni 2008 übergab es eine Liste mit Einzelheiten des umstrittenen Nuklearprogramms an China. Im Gegenzug erhielt man Heizöl und andere Hilfen. Im vergangenen Dezember stockten die Atomverhandlungen aber wegen strittiger Kontrollfragen erneut.

China und Russland mahnten gestern zur Besonnenheit. Peking hofft, dass die maßgeblichen Parteien »Ruhe und Zurückhaltung« zeigen. Moskaus Außenminister Sergej Lawrow rief laut Agentur Interfax alle Seiten »ungeachtet unausweichlicher Emotionen« auf, möglichst rasch an den Verhandlungstisch zurückzukehren: »Nur so können wir weiter unser gemeinsam vereinbartes Ziel einer nuklearen Abrüstung auf der koreanischen Halbinsel erreichen.« Nach Meinung von Beobachtern versuche Nordkorea vor allem, die USA zu bilateralen Gesprächen zu zwingen und sich in eine bessere Verhandlungsposition zu bringen.

Anfang des Jahres hieß es, man werde am Besitz von Atomwaffen festhalten, solange man sich von den USA bedroht fühle. All das sei Teil des »Spiels« Pjöngjangs, wurde Südkoreas Atomunterhändler Wi Sung Lac von der nationalen Nachrichtenagentur Yonhap zitiert. Jetzt gebe es »eine Phase der Konfrontation, die eines Tages in einen Dialog umschlagen könnte«. Einen Boykott der Sechs-Parteien-Gespräche könne sich Pjöngjang auf Dauer gar nicht leisten, meinte Yoo Ho Yeol, Professor an der Korea-Universität in Seoul. An den asiatischen Finanzmärkten jedenfalls wollten Investoren diesem »Säbelgerassel« zunächst keine größere Bedeutung beimessen.

* Aus: Neues Deutschland, 15. April 2009


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