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Zu weit getrieben

US-Regierung will angeblich ihre Provokationen gegen Nordkorea bremsen, um "Überreaktionen" zu vermeiden. Spekulationen um Raketenstationierung Pjöngjangs

Von Knut Mellenthin *

Die US-Regierung fürchtet, daß ihr die Kontrolle der von ihr selbst provozierten Krise auf der koreanischen Halbinsel entgleiten könnte. Das ist einem Artikel des Wall Street Journal zu entnehmen, der aufgrund von offenbar gezielt zugespielten Insiderinformationen die Diskussionen im Weißen Haus detailliert und plausibel beschreibt. Das Blatt, das den Republikanern und Neokonservativen nahesteht, zitierte am Freitag einen namentlich nicht identifizierten »hochrangigen Regierungsbeamten« mit der Aussage: »Man hat den Eindruck, daß wir gewissermaßen mehr erreicht haben, als wir wollten. Daß wir nämlich so erfolgreich waren, daß es jetzt Überlegungen gibt, ein bißchen zurückzurudern, während wir gleichzeitig fortfahren, beruhigend auf die Südkoreaner einzuwirken.«

Das Wall Street Journal beschreibt, daß im Weißen Haus schon vor einigen Wochen ein genauer Plan für die derzeitige Eskalation der Krise entwickelt worden sei. Dieses »Playbook«, Drehbuch, sehe aufeinanderfolgende Schritte vor, die als eine Art psychologischer und propagandistischer Begleitung für die schon seit Anfang März laufenden amerikanisch-südkoreanischen Kriegsspiele und Militärübungen gedacht sind. Die »War games«, die noch bis Ende April dauern sollen, finden alljährlich statt, sind aber 2013 zumindest nach Wahrnehmung der nordkoreanischen Führung deutlich aggressiver als üblich.

Teil des »Drehbuchs« war laut Wall Street Journal die Entsendung von strategischen Bombern der Typen B-52 und B-2 nach Südkorea. Sie können sowohl konventionelle als auch nukleare Waffen tragen. Geplant sei auch gewesen, daß der Einsatz dieser Flugzeuge öffentlich groß herausgestellt wurde, »um den Nordkoreanern eine klare Botschaft zu senden«. Offenbar sollten diese dadurch nervös gemacht und zu rhetorischen Reaktionen provoziert werden. Das wurde auch tatsächlich erreicht. Doch halten es Mitglieder der US-Administration, dem Blatt zufolge, inzwischen nicht mehr für ausgeschlossen, daß die Demokratische Volksrepublik (DVRK) durch die kunstvoll aufgebaute Drohkulisse zu ernsthaften militärischen Aktionen veranlaßt werden könnte.

Außerdem sei nicht geplant gewesen, die am vorigen Wochenende erfolgte Verlegung von zwei US-Kriegsschiffen in die Umgebung der koreanischen Halbinsel bekannt werden zu lassen, schreibt das Wall Street Journal. Gemeint sind die Zerstörer »McCain« und »Decatur«, die mit dem Raketenabwehrsystem »Aegis« ausgerüstet sind. Ursprünglich seien sie gar nicht Teil des »Drehbuchs« gewesen. Nach Ansicht von nicht näher bezeichneten Regierungsbeamten könnte die Entsendung der beiden Schiffe von der nordkoreanischen Seite stärker als beabsichtigt als Bedrohung aufgefaßt werden. Die US-Regierung habe sich vor diesem Hintergrund aktuell entschieden, die Umsetzung des »Playbooks« zu unterbrechen, behauptet das Wall Street Journal zu wissen. Zwar rechne man im Weißen Haus nicht mit unmittelbar bevorstehenden Kriegshandlungen der DVRK, wolle aber keine »Überreak­tion« der Gegenseite riskieren.

Südkoreanische und japanische Medien hatten am Donnerstag und Freitag gemeldet, daß Nordkorea mindestens zwei Raketen auf mobile Abschußrampen an der Ostküste verlegt habe. Eine offizielle Bestätigung gibt es dafür nicht. Südkoreas Verteidigungsminister Kim Kwan-Jin widersprach indessen Spekulationen, daß es sich um Langstreckenraketen eines im Ausland als KN-08 bezeichneten Typs handeln könnte, die angeblich eine Reichweite von bis zu 10000 Kilometern haben sollen. Vielmehr handle es sich wahrscheinlich um »Musudan«-Mittel­streckenraketen, die immerhin jeden Punkt in Südkorea oder Japan und nach einigen Mutmaßungen sogar den US-Stützpunkt Guam im Westpazifik erreichen könnten. Es könne sich bei der Verlegung sowohl um einen geplanten Test als auch eine Militärübung handeln, sagte der Minister.

* Aus: junge Welt, Samstag, 6. April 2013


Wegen Korea-Krise: USA verschieben Raketentest

Washington will offenbar mögliche Missverständnisse vermeiden Korea **

Die USA haben einen für kommende Woche geplanten Raketentest wegen der Spannungen auf der koreanischen Halbinsel verschoben. Damit sollten mögliche Missverständnisse vermieden werden, sagte ein hoher Beamter des US-Verteidigungsministeriums am Samstag nach Angaben des US-Senders CNN. Der Raketenstart war ursprünglich für Dienstag von der kalifornischen US-Luftwaffenbasis Vandenberg geplant.

Der Test habe nichts mit Korea zu tun, aber die USA hätten sich wegen der jüngsten Spannungen auf der koreanischen Halbinsel für die Verschiebung entschieden, sagte der namentlich nicht genannte Beamte. Er sei nicht befugt gewesen, Details über den Start bekanntzugeben. Welcher Raketentyp getestet werden sollte, war laut CNN nicht bekannt.

Washington schließt dagegen einen erneuten Raketenstart der Nordkoreaner nicht aus. »Wir wären nicht überrascht, wenn wir eine solche Aktion sehen würden«, sagte Regierungssprecher Jay Carney am Freitag. Ein solcher Schritt würde zur kriegerischen Rhetorik des Regimes passen.

Nordkoreas Militär hatte nach südkoreanischen Angaben am Freitag eine zweite Mittelstreckenrakete an die Ostküste des Landes verlegt. Die Raketen haben eine Reichweite von bis zu 4000 Kilometern und könnten Südkorea, Japan oder eine US-Militärbasis auf der Insel Guam im Pazifik treffen.

Nach japanischen Berichten erwägt das US-Militär angesichts der angespannten Lage die Stationierung einer Aufklärungsdrohne in der Krisenregion. Der unbemannte Flugkörper vom Typ »Global Hawk«, der in großer Höhe operieren kann, solle auf einem US-Stützpunkt in Japan stationiert werden, berichtete die Nachrichtenagentur Kyodo.

Schon vor rund drei Wochen ordnete Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un eine Steigerung der Produktion von Artilleriegeschützen und Granaten an. Laut der südkoreanischen Nachrichtenagentur Yonhap geht dies aus einer am Samstag vom nordkoreanischen Fernsehen ausgestrahlten Dokumentation hervor, die Kim Jong Un Mitte März bei einem Treffen mit Arbeitern der Rüstungsindustrie zeige. »Wenn erst der Krieg ausbricht, müssen wir die Schlüsselpositionen des feindlichen Militärs und die Regierungseinrichtungen mit einem schnellen und überraschenden Schlag zerstören«, sagte Kim demnach.

Die Lage auf der koreanischen Halbinsel gilt seit dem dritten Atomtest in Nordkorea im Februar als extrem gespannt. Pjöngjang hatte als Reaktion auf die Ausweitung von UN-Sanktionen und südkoreanisch- amerikanische Militärmanöver den Waffenstillstandsvertrag von 1953 aufgekündigt und den »Kriegszustand« im Verhältnis zu Südkorea ausgerufen. Seit den 1950er Jahren befinden sich die Nachbarn formell weiter im Krieg.

Trotz der Warnungen Nordkoreas vor möglichen Gefahren für ausländische Botschaften bleiben die Diplomaten und ihre Mitarbeiter vorerst in Pjöngjang. Bislang habe kein Land Botschaftspersonal aus dem Land abgezogen, berichtete Yonhap am Samstag. Auch Deutschland belässt seine Diplomaten zunächst in Nordkorea.

** Aus: neues deutschland (online-Ausgabe), Sonntag, 7. April 2013


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